Beruf und Familie

Familienfreundliche Unternehmen zertifizieren?

Die Familienfreundlichkeit von Unternehmen ist zum Thema geworden. Am Dienstag hat der Blick Konzerne auf ihre Kinderfreundlichkeit geprüft und eine Hitparade erstellt. Anstrengungen für eine Zertifizierung von familienfreundlichen Unternehmen sind international im Gange.
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Kriterium für die Familienfreundlichkeit sind im Blick-Dossier die Anzahl der Krippenplätze, die Möglichkeit von Vaterschaftsferien sowie „sonstige familienfreundliche Massnahmen und Leistungen“. In einer Umfrage wurden die Daten erhoben und dann ausgewertet.

Bezahlte Schwangerschaftsferien und Teleworking

An der Spitze der familienfreundlichen Unternehmen steht der Konzern ABB. Er bietet nicht nur 110 Krippenplätze für mitarbeitende Mütter an, sondern auch Vaterschaftsferien und generell einen Berufsunterbruch von einigen Monaten bis zu drei Jahren. Müttern gewährt er – ohne eine geltende Mutterschaftsversicherung – vier Monate bezahlte Schwangerschaftsferien, ein Jahreszeitmodell, Teilzeitarbeit für alle – auch für die Kader und nicht zuletzt Teleworking, also Arbeit von zuhause aus.

In der Spitzengruppe der familienfreundlichen Unternehmen finden sich weiter die Creit-Suisse Gruppe, die Winterthur, Novartis, die Post, die SRG SSR idée suisse und die Zürcher Kantonalbank. Am Schluss der Rangliste stehen renommierte Unternehmen wie Nestlé, Schindler, Coop und McDonalds, die nur minimale oder keine Leistungen für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familiesein erbringen.

Eine Möglichkeit, die Unternehmen zu motivieren, hier tätig zu werden, ist eine Zertifizierung als „familienfreundliches Unternehmen“. Nationalrätin Jacqueline Fehr hat die Idee in der Schweiz aufgeworfen, neulich zum Beispiel in ihrem Buch „Luxus Kind? Vorschläge für eine neue Familienpolitik“. Sie macht darin auf die deutsche Hertie-Stiftung aufmerksam, die eigens ein „Management Tool“ entwickelt hat, das die Work-Life Balance in einem Unternehmen konkret angeht.

Hertie-Stiftung als Pionierin

1995 startete die Gemeinnützige Hertie-Stiftung das Forschungsprojekt „Familienbewusste Personalpolitik als Teil der Unternehmenspolitik“. Unter der Leitung von Prof. Artur Wollert wurde das Thema „Familie und Arbeitswelt“ angegangen mit dem Ziel, personalpolitische Konzepte zu fördern, die die Interessen des Unternehmens, die Wünsche der Kunden und die Belange der Beschäftigten in eine tragfähige Balance bringen.

Im Mittelpunkt der heutigen Aktivitäten der Stiftung steht das Audit Beruf & Familie, ein Managementinstrument zur Förderung der familienbewussten Personalpolitik, bei dem nicht nur bereits umgesetzte Massnahmen begutachtet, sondern auch das „betriebsindividuelle Entwicklungspotenzial aufgezeigt“ und weiterführende Zielvorgaben festgelegt werden. Damit können sich öffentliche und private Betriebe auf ihre Familienfreundlichkeit überprüfen lassen und danach betriebsspezifische Ziele vereinbaren. In diesem Prozess werden die Unternehmen von ausgebildeten Auditoren der „Beruf & Familie gGmbH“ begleitet.

Internationale Anstrenungen

Der Erfolg dieser „Zertifizierung“ liegt laut Fehr darin, dass sie von den bestehenden Verhältnissen eines Betriebes ausgehe und jeweils individuelle Ziele vereinbare. Weniger Chancen gibt sie einem Label, das bestimmte Mindeststandards setzen würde.

Die deutsche Regierung will künftig mit der „Beruf & Familie gGmbH“ zusammenarbeiten. Ausserdem ist eine Ausweitung des Verfahrens für den gesamten EU-Raum inklusive der neuen Länder im Osten geplant. Zu diesem Zweck wird laut Fehr ein Kernaudit erarbeitet, das für alle Länder gleich gelten soll. Das Kernaudit könne dann mit nationalstaatlichen Elementen ergänzt werden. Mit einem Postulat soll die Frage geklärt werden, ob dies auch für die Schweiz ein gangbarer Weg wäre.

In der Schweiz hat sich die „Fachstelle UND“ ( www.und-online.ch ) auf diese Art von Unternehmensberatung im Sinne der „Work-Life Balance“ spezialisiert. Sie hat kürzlich an einer Tagung in Bern (SSF 20/03) festgestellt, dass immer noch eine Mehrzahl von Unternehmen „die Arbeit vom Leben trennt“ und nur diejenigen als leistungsfähig ansehe, „die ihr Privatleben den Anforderungen des Betriebes anpassen“. Diese Betriebe müssten einsehen, dass „die Heranbildung von Humankapital“ nicht nur viel „’Life’, sondern auch viel ‚Work’ bedeutet und nicht nur Frauensache ist“. Sie hat in Bern deshalb den Begriff „Work-Life Balance“ sogar kritisiert und dafür die „Work-Work Balance ins Spiel gebracht.

Quelle: SSF/ Livenet

Datum: 12.06.2003
Autor: Fritz Imhof

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