Wie frei ist der freie Markt?

Markus Braunschweiler

Wer vor drei Jahren nicht vom Börsenboom profitierte, war in den Augen vieler „selber schuld“. Wer jedoch heute hohe Gewinne einstreicht, muss diese oft rechtfertigen. Den Gründen ging der Autor am 22. März an einem VBG-Treffen nach.

Weil wir nur beschränkt Zeit, Energie und Geld haben, trachten wir im Normalfall danach, ein Ziel mit möglichst wenig Einsatz zu erreichen. Was wir erhalten, muss uns mehr wert sein als unser Einsatz. Dasselbe Prinzip gilt beim Tausch und beim Kauf: Abziehbildchen sammelnde Kinder sind bereit, für ein rares Bild zwei oder drei häufigere Bilder abzugeben. Aufgrund von Angebot und Nachfrage ergibt sich ein Marktpreis: Für etwas, das genügend vorhanden ist und niemand mehr will, erhalte ich fast nichts; für etwas Seltenes, Begehrtes dagegen erhalte ich viel und kann mir mit dem Gegenwert wieder mehr von dem beschaffen, was mir wichtig ist. Bereits der schottische Nationalökonom und Moralphilosoph Adam Smith (1723-1790) erkannte: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“.

Dieser „Egoismus“ erscheint verwerflich. Entspricht er aber nicht dem biblischen Bild des gefallenen Menschen, der primär den eigenen Vorteil sucht? Doch das Trachten nach eigenem Gewinn führt in einer Wettbewerbssituation dazu, dass alle profitieren: wenn in einem abgeschirmten Dorf zwei Bäckereien in Konkurrenz zueinander stehen, wird jene mehr verkaufen, die besser auf die Bedürfnisse der Kundschaft eingeht. Der Markt führt dazu, dass das erarbeitet wird, was der Bevölkerung wichtig ist.

Unvollkommenheiten

Der freie Markt regelt „von alleine“ bereits einiges. Allerdings geht die Theorie der freien Marktwirtschaft von Annahmen aus, die in der Praxis oft nicht erfüllt sind: statt vollkommenem Wettbewerb gibt es teilweise nur wenige Anbieter, die die Bedingungen diktieren können; statt vergleichbarer Produkte und vollkommener Information über den Markt fehlt uns oft der Marktüberblick, und wir stehen als Laien vor Experten; statt unmittelbarer Preis- und Mengenanpassungen gibt es meist einen „time lag“; und nicht jeder Markt steht allen offen.

Und selbst wenn alle theoretischen Annahmen zutreffen, hat ein solchermassen perfekter Markt drei elementare Schwächen: Erstens können im Markt nur die Leistungsstarken profitieren; bei Kindern, Kranken und Alten ist es offensichtlich, dass sie auf Fürsorge angewiesen sind. Zweitens ignoriert der Markt die externen Effekte. Würde man drittens alles alleine dem freien Markt überlassen, würde niemand öffentliche Güter produzieren, von denen alle profitieren können, auch wenn sie nichts dafür bezahlen, z.B. öffentliche Sicherheit.

Staat und Recht

Damit der Markt spielen kann und sich nicht nur der Stärkste rücksichtslos durchsetzt, braucht es den Staat mit Rechtsnormen. Um dieses Recht durchzusetzen, haben wir an den „Staat“ das Recht delegiert, Gewalt anzuwenden. Dieser Verzicht auf Freiheiten bringt uns Rechtssicherheit. Zudem hat die Gesellschaft Aufgaben wie öffentliche Sicherheit, Bildung oder Fürsorge an den Staat delegiert. Wie weit diese Delegation ab- oder ausgebaut werden soll und wer dafür wie viel bezahlen soll, ist die klassische politische Links-Rechts-Frage mit nachhaltigen Auswirkungen auf das Wohlergehen eines Volkes. Der Wirtschaft werden im Rahmen der Wirtschaftsordnung von Staat zu Staat unterschiedliche Regeln gesetzt. Die einen Länder überlassen mehr den Marktkräften, andere Staaten

Datum: 01.05.2003
Quelle: Bausteine/VBG

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