„Geldgeschäfte und Religion hatten immer wieder Berührungspunkte“

Beat Bernet

St. Gallen. Auch wenn ihre Bedeutung zur Zeit nicht überschätzt werden darf: Islam-Banken gewinnen parallel mit dem Aufschwung der religiösen Orientierung der Muslime an Bedeutung, sagt Beat Bernet, Professor für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Banking an der Universität St. Gallen und Mitglied verschiedener Verwaltungsräte. Bernet: Wer sich zu den Prinzipien einer Religion bekennt, wird auch im Finanzgeschäft die religiösen Grundsätze respektieren wollen.

Georges Scherrer: Welcher Wirtschaftsphilosophie folgt eine Islam-Bank, und was sind die wesentlichen Unterschiede zu einer westlichen zinsgebenden Bank?
Beat Bernet: Wichtigster Unterschied ist die Ausrichtung des "Islamic Banking" auf religiöse Grundlagen, konkret auf die Prinzipien des Islam. Während bei westlich orientierten Banken der Verwaltungsrat als oberstes Entscheidungsgremium die strategischen Richtlinien definiert, nimmt in einer islamischen Bank ein so genannter 'Scharia-Rat' diese Funktionen wahr. Er muss sicherstellen, dass alle Bankaktivitäten nach den Prinzipien des Islam ausgerichtet sind. So sind etwa Zinsen verboten, ebenso alle Formen von Wetten und Spiel - darunter fallen nach gängiger Auslegung auch viele Derivatkontrakte.

Islamische Banken betreiben ihr Geschäft primär auf der Basis der Gewinnbeteiligung; so kann das Zinsverbot faktisch umgangen werden. Finanzkontrakte sind weit stärker als bei westlichen Banken kurzfristig orientiert. Investitionen in Gesellschaften, die so genannt 'verbotene' Aktivitäten (wie etwa Alkoholproduktion, Spielangebote, etc.) ausüben, sind verboten. Die Kundenbindung ist aufgrund der religiösen Basis stärker als bei unseren Banken.

Sie sprechen von Kundenbindung. Ist der Vergleich einer Islam-Bank mit einer Raiffeisenbank oder einer anderen Genossenschaftsbank statthaft?
Nein. Zwar sind viele islamische Banken ebenfalls nach genossenschaftlichen Prinzipien organisiert. Die Tatsache, dass die Kunden direkt oder indirekt am Gewinn der Bank beteiligt werden (als Zinsersatz), basiert aber auf einer anderen Überlegung als unser auf das Prinzip der Selbsthilfe zurückgehendes Genossenschaftswesen.

Welche Bedeutung haben Islam-Banken gesellschaftlich in der Schweiz?
Sie spielen gesellschaftlich in der Schweiz keine grosse, beziehungsweise überhaupt keine Rolle. Innerhalb der islamischen Gemeinschaft wächst ihre Bedeutung aber parallel mit dem Aufschwung der religiösen Orientierung der Muslime in der Schweiz. Auch aus einer gesamteuropäischen Sicht spielen islamische Banken noch eine geringe Rolle, mit allerdings stark steigender Tendenz.

Welche Bedeutung haben Islam-Banken in der Wirtschaft?
Sowohl in Europa als auch in islamischen Ländern wird Banking primär nach westlichen Prinzipien und Standards betrieben. Die Bedeutung der islamischen Banken nimmt aber zu. Im Vermögensverwaltungsgeschäft wächst die Summe der nach islamischen Prinzipien verwalteten Aktiven zur Zeit sehr stark. Sie wird heute auf deutlich über 200 Milliarden Euro geschätzt - was allerdings nur einen kleinen Prozentsatz der von Muslimen verwalteten Vermögen ausmacht.

Nimmt die Zahl der Islam-Banken in der westlichen Industrieländern zu?
Ja, die Tendenz ist seit gut zwei Jahren zunehmend. Weltweit gibt es heute über 200 verschiedene Banken in mehr als 20 Ländern, die nach den Prinzipien des "Islamic Banking" geführt werden.

Der Islam Bank sitzt per Definition nicht ein Verwaltungsrat, sondern ein Scharia-Rat vor. Kann diese Vermischung von Religion und Geschäft gut gehen oder besteht die Gefahr einer idealisierenden Betrachtungsweise des Geldgeschäftes aufgrund religiöser Überlegungen?
Geldgeschäfte und Religion hatten in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder Berührungspunkte. Selbst in der Bibel lassen sich entsprechende Stellen finden. Denken wir auch daran, dass im Mittelalter während langer Zeit auch für Christen Zinsen als unmoralisch und mit der Bibel nicht vereinbar betrachtet wurden - weswegen das 'schmutzige' Geldgeschäft ja auch den Angehörigen anderer Religionen übertragen wurde. Grundsätzlich ist aber wohl kaum etwas gegen eine ethische Grundhaltung auch im Finanzgeschäft einzuwenden - die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit lassen etwas mehr Finanzethik geradezu als wünschenswert erscheinen.

Lässt sich abschätzen, an welche Art von Anlegern sich die Islam-Bank wendet: kleine Unternehmen oder Grossunternehmen?
Weder noch - islamische Banken richten sich, genauso wie westliche Banken, an alle Anlegerkreise wie auch an alle Kreditnachfrager. Für fast jeden Finanzkontrakt gibt es heute spezifische Lösungen, die den Prinzipien des Islam entsprechen.

Sind Islam-Banken Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins der Muslime in der Schweiz oder auch eines Protests gegen die westliche Gesellschaft?
Wohl kaum. Ich glaube eher, sie sind Ausdruck eines Erstarkens der religiösen Grundströmungen in unserer Gesellschaft - nicht nur im islamischen Bereich. Wer sich zu den Prinzipien einer Religion bekennt, wird auch im Finanzgeschäft die religiösen Grundsätze respektieren wollen.

Datum: 16.04.2003
Quelle: Kipa

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