Gott ist uns in Jesus nahegekommen. Das ist eine der
zentralen Aussagen des Evangeliums, der frohen Botschaft. Doch wie nah ist nah?
Können Menschen Freunde Gottes sein?
«Wenn du das machst, dann bin ich nicht mehr dein
Freund», droht Luca Leon im Kindergarten. Daneben nimmt Marie Selma in den Arm
und flüstert: «Du bist meine beste Freundin.» Fünf Minuten später spielen die
beiden Jungs bereits wieder miteinander, und die Mädchen gehen getrennte Wege
und beachten sich nicht mehr. So ähnlich üben wir das ein, was über 85 Prozent
aller Deutschen für «besonders wichtig und erstrebenswert» in ihrem Leben halten: Freundschaft.
Das Lexikon der Psychologie
definiert
Freundschaft als «eine zwischenmenschliche Beziehung, die besonders viel
individuellen Gestaltungsspielraum bietet. Freundinnen und Freunde bestimmen
selbst, wie die Freundschaft geführt werden soll, wie intensiv, wie nah, wie
offen, wie oft und in welcher Art und Weise sie füreinander da sein wollen.» Freundschaft
ist bestimmt von Gegenseitigkeit, besitzt für beide Teile einen Wert, ist
freiwillig und grundsätzlich positiv geprägt. Wie passt das mit dem biblischen
Bild von Freundschaft zusammen? Mit der oft genannten Idee, dass Jesus unser
Freund sein will?
Die Kumpelisierung von Jesus
Der US-Pastor Frederick Schmidt
sieht in den USA einen gewaltigen Trend in Richtung «buddy-fication»
(Kumpelisierung) von Jesus. Als Ursachen sieht er eine Überbetonung der
«persönlichen Beziehung zu Christus» und die weit verbreitete Einstellung, dass
wir «die Vertrautheit mit Gott spüren» müssen. So wichtig und schön eine
vertraute Beziehung zu Gott sei, Schmidt stellt klar, dass dieser nicht unser
«kosmischer Kumpel» ist. Die Verbindung zu ihm ist nicht «wie unsere besten
Freundschaften, nur besser».
Das mag manche irritieren, doch er führt aus, dass «wir
nicht auf Augenhöhe mit Gott sind. Unsere Beziehung zu Gott beruht nicht auf
Affinität oder Zuneigung. Gott ist Gott, und wir sind es nicht. Gott steht in
einer intimen Beziehung zu uns, aber diese Beziehung wird von Gott initiiert.»
All dies zeigt für ihn, dass eine innige Beziehung zu Christus paradoxerweise
durch die Jenseitigkeit, Allmacht und das Anderssein Gottes garantiert wird –
und nicht durch kumpelhafte Nähe.
Einseitige Freundschaft?
Nun ist in der Bibel an einigen Stellen die Rede von
einer Freundschaft mit Gott. Bereits im Alten Testament sagt Gott über Abraham,
dass dieser sein Freund war (Jesaja, Kapitel 41, Vers 8). Und im Neuen Testament
beschreibt Jesus die Beziehung zu seinen Jüngern folgendermassen: «Grössere
Liebe hat niemand als die, dass einer sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr
seid meine Freunde, wenn ihr tut, was immer ich euch gebiete» (Johannes,
Kapitel 15, Vers 13-14).
Manche Bibelausleger deuten diesen Freundschaftsbegriff
einseitig. Nach ihrer Meinung würde Gott uns zwar durch seine Freundschaft
adeln, aber diese Freundschaft wäre für uns als Menschen nur durch unseren
Gehorsam erreichbar und er bliebe trotzdem immer der «Herr», nicht unser
Freund.
Welch ein Freund …
Was stimmt nun? Bei aller Sehnsucht nach einem nahen
Gott wird der «best buddy», den man in die Tasche stecken kann, dem biblischen
Gottesbild nicht gerecht. Eine heilige Abstandsregel (Gott behandelt uns als
Freunde, wir nennen ihn Herr) verliert allerdings gerade die besondere Nähe,
die zwischen Gott und Menschen existieren kann – und soll. Gottes Freundschaft
hängt eben nicht von unserem Gehorsam ab. Das unterstreicht Jesus, als er den
Vorwurf seiner Gegner aufnimmt und als Titel für sich reklamiert: «ein Freund
der Zöllner und Sünder» (Lukas, Kapitel 7, Vers 34)
zu sein, also nicht nur der Gerechten und Gehorsamen.
In den sozialen Medien kann man manchmal seinen
Beziehungsstatus angeben: Single, verlobt, verheiratet, in einer festen
Lebenspartnerschaft oder eben «es ist kompliziert». Ein Stück weit ist es das
bei Jesus auch. Die Extrempunkte (Heiligkeit ohne Nähe und Nähe ohne
Heiligkeit) werden ihm nicht gerecht. Vielleicht, weil «Freund» und «Herr» bei
ihm einfach keine Gegensätze sind?
Der Prediger und Dichter Joseph M. Scriven sah darin auch keine
Gegensätze. So beginnt sein bekanntestes Lied:
«Welch ein Freund ist unser Jesus, o wie hoch ist er erhöht…»