Interview mit Lebensberater und Theologe Matthias Hipler

Gesundheit für die Seele

Arztbesuche, Medikamente, Massagen - was unternimmt der Mensch nicht alles, um körperlich gesund zu sein. Was aber ist mit seiner Seele? Viele Menschen leben seit Jahren mit seelischen «Prellungen», innerer Zerrissenheit und tieferen Verletzungen, manchmal ohne ihren Schmerz bewusst einordnen zu können.
Wer in sich hineinschaut, wird sich seiner selbst bewusster.
Wer in sich zerrissen ist, wird sich auch zerrissen in Beziehungen erleben. Der versöhnte Mensch dagegen wirkt versöhnlich in seine Umgebung hinein.
Matthias Hipler

Sie haben vielleicht das Gefühl, das Leben müsste irgendwie anders sein, sich anders anfühlen, irgendwie freier und leichter sein. Andere sind sich ihren seelischen Schmerzen durchaus bewusst, aber reagieren hilflos. Dass nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele eine Veränderung möglich ist, davon ist der Lebensberater und Theologe Matthias Hipler überzeugt. Warum es sich lohnt, dafür einen Blick in unser Inneres zu werfen, erklärt er im Gespräch mit dem Ratgeber-Magazin «NEUES LEBEN».

Neues Leben: Herr Hipler, was meinen Sie: Wonach sehnt sich der Mensch am meisten?
Matthias Hipler:
In uns allen lebt eine tiefe Sehnsucht nach einem erfüllten, heilen, versöhnten Leben. In manchen Momenten können wir sie deutlich spüren. Und zugleich erleben wir auch Defizite, wünschen uns in manchen Lebensbereichen, dass es doch anders wäre, als es ist.

Gibt es also gar keine «gesunde» Seele?
Den vollkommen heilen Menschen gibt es nicht. Weil wir alle verletzliche Wesen sind, tragen wir auch alle Wunden und Narben auf der Seele. Bildlich gesprochen hat also jeder seine «inneren Baustellen», aber die sehen sehr unterschiedlich aus. Sie reichen von alltäglichen Sorgen über unbewältigte Erfahrungen aus der Vergangenheit bis hin zu tieferen psychischen Störungen und Erkrankungen. Je zentraler und grösser die «Baustelle» ist, umso stärker wird sie dann auch das eigene Leben beeinträchtigen.

Finden wir die Ursache für diese Baustellen denn immer in den Verletzungen aus der Vergangenheit?
Nicht nur. Ich sehe den Menschen als eine Einheit von Körper, Seele und Geist. So können beispielsweise körperliche Beschwerden auf seelische Probleme hinweisen. Oder wir erleben uns aus dem Gleichgewicht geraten, wenn die Beziehung zu uns selbst oder zu anderen Menschen belastet ist. Oder falsche Denk- und Verhaltensmuster rufen unangemessene Ängste hervor oder führen zu Minderwertigkeitsgefühlen.

Und wenn ich nun behaupte: «Mir geht es gut, mit mir ist alles in Ordnung» und mich diesen inneren Dingen nicht stelle?
Leider sind wir Meister im Verdrängen von Problemen. Wir blenden lieber aus, was uns im Innersten beschwert. Wir fürchten den Schmerz, weil es erst mal sehr weh tut, eigene Verletzungen anzuschauen. Seelische Abgründe tun sich auf, wenn ich entdecke, was so alles in mir verborgen liegt.

Es ist wie bei einem Abstieg in den dunklen Keller der Seele, wo aus der Vergangenheit schmerzvolle Erfahrungen ruhen. Wenn wir diesen Ballast ins Licht holen, kann das erschüttern und schmerzen. Es bedeutet manchmal seelische Schwerstarbeit, sich inneren Verletzungen zu stellen. Deshalb sind wir oft erst bereit, uns mit dem eigenen seelischen Ballast auseinanderzusetzen, wenn der Leidendruck sehr hoch geworden ist. Aber nur durch diese Schwerstarbeit können wir lernen, mit unserem Schmerz umzugehen und Brücken über seelische Abgründe zu bauen.

Brücken bauen - welche positiven Aspekte gibt es noch, wenn man sich mit seiner Seele auseinandersetzt?
Wer in sich hineinschaut, wird sich seiner selbst bewusster. Das ist ein wichtiger Schritt zum Selbstbewusstsein. Man nimmt eigene Stärken deutlicher wahr und entdeckt beispielsweise auch, welche Themen aus der Vergangenheit einen bis heute beschweren. Wir alle durchlaufen ja Reifungsprozesse, die uns jeweils ein Stückchen weiter in unserer Entwicklung bringen können.

Damit wir als Persönlichkeiten reifen, brauchen wir aber Mut zur Selbstreflexion. Das heisst, wir schauen uns genauer an: Was macht uns aus? Wir nehmen die positiven und auch die negativen Seiten unserer Persönlichkeit in den Blick: Was hat uns zum Guten, was zum Negativen geprägt?

Wenn ich meine Seele nun genauer angeschaut habe und weiss, dass mich zum Beispiel Schmerzen aus der Vergangenheit quälen - was kann ich dagegen tun?
Ich schaue auf meine Verletzungen und Altlasten, indem ich der Frage nachgehe, was genau mir Schmerzen bereitet, wo und wie die Wunde geschlagen wurde, welche Gefühle damit für mich verbunden sind. Vielleicht habe ich auch schon einiges unternommen, damit umzugehen. Was hat mir geholfen und was nicht? An diesem Punkt kann mir auch ein Seelsorger oder Therapeut helfen, klarer zu sehen, was mich belastet, und mit mir gemeinsam nach Wegen innerer Heilung suchen.

Manch einer scheut aber den Weg zu einem Berater und denkt sich: «Ich brauche nur genug zu beten oder in der zu Bibel lesen, dann wird das schon...»Jeder hat seine eigenen Strategien, um mit Problemen umzugehen. Dafür zu beten und in der Bibel nach Hilfe zu suchen ist wirklich ein guter Weg. Wenn ich aber merke, dass ich mich immer wieder im Kreis drehe, sollte ich weitere Hilfen in Anspruch nehmen. Manchmal kann ich für bestimmte Punkte bei mir selbst blind sein, und erst durch einen anderen Menschen weitet sich die Sicht dafür, was mit mir los ist.

Deshalb wünsche ich jedem Menschen die Chance zu einem echten Feedback. Es wäre doch töricht, auf die Begleitung durch Menschen unseres Vertrauens zu verzichten. Keiner muss als Einzelkämpfer seine Probleme bewältigen. Reife und Verantwortung zeichnen sich auch dadurch aus, dass ich mir ganz konkrete Hilfe suche, wenn ich selbst nicht weiterkomme.

Also werde ich meine Sorgen nicht allein durch irgendwelche Methoden los.
Seelsorge funktioniert nicht nach dem Kochbuch-Prinzip «Man nehme ein Gebet, einen guten Ratschlag und alles wird anders.» Der Seelsorger wendet sich mir zu und begleitet mich in dem Prozess der Selbsterkenntnis. Er schaut mit mir in den Keller meiner Seele und hilft mir dabei aufzuräumen und zu entsorgen, was mich im Inneren belastet. Er hilft dabei, schmerzliche Gefühle und Erfahrungen in Worte zu fassen. Nur was ich ausspreche, kann ich auch bewältigen. Der Seelsorger hält es mit mir und meinem Ballast aus und ermutigt mich, Schritte zu wagen, um Verletzungen zu bewältigen.

Ist Unzufriedenheit oder die Sehnsucht, von der wir anfangs sprachen, denn immer ein Hinweis darauf, dass etwas mit unserer Seele nicht stimmt?
Nicht unbedingt. Aber wir neigen dazu, unsere Sehnsucht nach Erfüllung an Menschen, Erfolgen oder Besitz festzumachen. Davon ist niemand frei. Die Werbung tut zum Beispiel nichts anderes, als uns falsche Sehnsuchtsversprechen zu machen, indem sie vorgaukelt, unsere Sehnsucht beim Kauf bestimmter Produkte stillen zu können. Aber unser Herz meldet sich trotzdem mit immer wiederkehrendem Unfrieden, weil tiefste Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Ich bin überzeugt, dass uns diese unbändige Lebenssehnsucht nach einem zufriedenen, heilen Leben auf Gott hinweist.

Meinen Sie damit, dass Gott diese Sehnsucht stillen kann?
Wer damit beginnt, seine tiefste Sehnsucht auf Gott auszurichten, wählt einen ganz neuen Weg. Er wird entdecken: «Gott sieht mich. Ich bin vor ihm ein angesehener Mensch - so wie ich bin, nicht wie ich sein sollte. Ich darf vor ihm sein, ohne leisten zu müssen, muss nicht fertig sein, sondern darf „Baustellen" in mir tragen. Und gerade weil Gott mich annimmt, muss ich nicht stehen bleiben. Er wird zu meiner ersten Adresse für meinen Schmerz, aber auch für meine Freuden.»

Der Glaube an Gott also als eine Art «Allheilmittel» für die Seele?
Auch durch eine Beziehung zu Gott lösen sich nicht alle Probleme und seelischen Verletzungen in Luft auf. Vielmehr lerne ich, mich bewusster zu sehen, und da gehören auch meine Verwundungen und Schwierigkeiten dazu. Wenn ich Gott Raum gebe, werde ich mehr und mehr entdecken, was mit mir los ist. Wo beispielsweise alter seelischer Ballast steckt oder ich in einer unversöhnlichen Haltung zu einem anderen Menschen gefangen bin.

Stichwort: Unversöhnt - Welche Rolle spielt Versöhnung für unsere Seele?
Versöhnung befreit. Ein befreites Leben ist ein versöhntes Leben. Ganz allgemein gesagt bedeutet das: Ich bin mit mir selbst einverstanden und ausgesöhnt mit meiner Geschichte, auch wenn sie Wunden geschlagen hat. Die guten Erfahrungen nehme ich weiter mit auf meinem Weg, Verletzendes kann ich zurücklassen und abgeben. Es muss mich nicht weiter quälen. Und letztendlich spielt Versöhnung auch in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen eine entscheidende Rolle. Wer in sich zerrissen ist, wird sich auch zerrissen in Beziehungen erleben. Der versöhnte Mensch dagegen wirkt versöhnlich in seine Umgebung hinein.

Mal kritisch gefragt: Ist Veränderung durch Gott wirklich möglich oder kann es auch sein, dass wir uns das manchmal nur einbilden?
Jesus hat sich jedem Menschen zugewandt, der offen und ehrlich auf ihn zugegangen ist. Die Evangelien berichten von solchen eindrücklichen Begegnungen. Wer von seiner Sehnsucht geleitet auf Jesus zugeht, beispielsweise indem er zu ihm über sein Leben redet, wird nicht im Stich gelassen. Auch in meiner seelsorgerlichen und therapeutischen Arbeit erlebe ich, wie Menschen, die sich für Gott öffnen, den Mut gewinnen, ihr Inneres zu öffnen und sich mit seelischen Verwundungen auseinander zu setzen. Dadurch wird ein Prozess innerer Heilung angestossen.

Wenn dieser Prozess in Gang gesetzt wird, ist meine Seele aber dann nicht unbedingt gleich automatisch heil und gegen neue «Krankheiten» immunisiert, oder?
Es wäre zu schön, wenn es eine Art Instant-Heilung als Normalfall gäbe. Aus meiner Erfahrung bezieht uns Gott immer wieder in den Heilungsprozess mit ein. Er fordert heraus, an der Bewältigung unserer Probleme mitzuwirken. Dazu stellt er uns vielleicht auch einen konkreten Menschen zur Seite. Aber immer geht von Gott her eine heilsame Kraft für unsere Seele und in alle unsere Lebensbereiche hinein. Es schafft wirklich einen festen inneren Halt, geliebt und angenommen zu sein von Gott.

Dieses Gottvertrauen schafft neues Selbstvertrauen und ermutigt mich, das für meine Seele anzupacken, was jetzt dran ist. Wenn Gott zu mir steht, kann ich mutiger zu mir selbst stehen - mit allen Problemen, die auf mir lasten. Gott steht mir zur Seite.

Autorin: Nicole Schenderlein

Datum: 18.03.2009
Quelle: Neues Leben

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