Beziehungssache

Vergeben und vergessen?

„Ein Kollege und guter Freund hat mich kürzlich mit einer Aussage sehr verletzt. Ich war unglaublich wütend und enttäuscht! Dann, nach ein paar Tagen, entschuldigte er sich und bat mich um Verzeihung. Natürlich will ich ihm seinen Fehler nicht ständig vorhalten, und so sagte ich ja. Aber seitdem muss ich trotzdem immer noch an das denken, was er mir angetan hat. Dabei möchte ich doch so gerne nicht nur vergeben, sondern auch vergessen. Aber geht das überhaupt?“
Wer ohne Bedingungen vergibt, zeigt Gnade.

Vergeben tut gut! Das weiss nicht nur die Bibel, sondern auch in der Psychologie hat man das „Prinzip Vergebung“ neu entdeckt. So schrieb bereits vor mehr als einem Jahrzehnt der bekannte Psychotherapeut Reinhard Tausch in einem Artikel mit dem Titel „Verzeihen: Die doppelte Wohltat“, dass die Vergebung unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten positiv verändert.

Was Vergebung nicht ist

Dennoch sollte von Anfang an eins klar sein: Vergeben und Vergessen sind zwei unterschiedliche Dinge! Etwas zu vergessen ist vom Menschen kaum bewusst zu steuern, wohl aber zu vergeben. Auch sollten Versöhnung und Vergebung nicht gleichgesetzt werden. Vergebung kann der Verletzte vollziehen, selbst dann, wenn der Verursacher der Verletzung nicht zu einer Aussprache bereit ist oder bereits verstorben ist. Versöhnung hingegen braucht immer zwei.

Warum sollen wir vergeben? Ganz einfach: Weil wir verletzbar sind. Und wenn wir verletzt werden und uns etwas schmerzt, haben wir nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir denken an Rache oder wir vergeben.

Doch bevor wir uns mit der „Kunst der Vergebung“ beschäftigen, müssen wir erst einmal klären, was uns in die Situationen führt, in denen wir vergeben müssen. Zum einen können wir uns selbst nämlich vor manchen Verletzungen durchaus schützen. Zum anderen können wir darauf achten, unsere Mitmenschen nicht zu verletzen.

Wir brauchen Mitgefühl

Wir verletzen uns gegenseitig, weil wir uns häufig zu wenig in den anderen hineinversetzen, etwa: „Warum sagt sie das?“ „Was hat er damit gemeint?“ – Mitgefühl entwickelt sich aus einer besonnenen Haltung. Schliessen Sie keine zu vorschnellen Rückschlüsse. Mitgefühl schaut von sich weg und sieht den anderen. Bleiben Sie nicht bei Ihrer Betroffenheit und Schmerz stehen!

Wir brauchen Selbstlosigkeit

Menschen verletzen einander, weil sie gedankenlos sind und nur ihr eigenes Vorwärtskommen sehen. König Saul im Alten Testament der Bibel sah auf seinen Vorteil und verfolgte David. König Davids Sohn Absalom sah nur seinen Vorteil und wiegelte das Volk gegen seinen eigenen Vater auf. Als hingegen Abraham mit seinem Neffen Lot in eine Konfliktsituation kam – für beide Herden gab es zu wenig Weide und Wasser –, verzichtet Abraham bewusst auf seinen Vorteil. So verhinderte er den Konflikt, Verletzungen blieben aus.

Im bekannten Gebet Vaterunser heisst es: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hier spüren wir etwas davon, wie nah Jesus unsere eigene Sündenvergebung an die Vergebung knüpft, die wir denen gewährleisten, die an uns schuldig geworden sind. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Wer selbst die Vergebung seiner Schuld erlebt hat, kann viel eher anderen vergeben. Darüber hinaus hat Vergebung wichtige Funktionen.

1. Kopf und Herz werden frei

Ich kann das Positive in meinem Leben wieder geniessen, denn ich bin unabhängig von meinem Verletzer.

2. Beziehungen werden wieder hergestellt

Vergebung stellt Beziehungen wieder her und eröffnet neue Perspektiven. Gerade in der Ehe- und Partnerbeziehung spielt die Vergebung eine wichtige Rolle. Wenn wir hier nicht Vergebung praktizieren, haben Beziehungen keine Chance. Denn Kommunikation und Konfliktfähigkeit sind das A und O jeglicher guten Beziehung.

3. Die Persönlichkeit reift

Wer ohne Bedingungen vergibt, zeigt Gnade. Gnade aber kann nur von jemandem gewährt werden, der „grösser“ ist. Diese Aussage dürfen Sie ruhig so annehmen – ohne gleich des Hochmuts beschuldigt zu werden. Denn es gehört schon sehr viel Mut zur vergeben und dazu verzichtet man auf sein Recht. Aber auch Vergebung annehmen will gelernt sein. Beides – Vergebung gewähren und empfangen – gehört zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung.

Vergebung einüben

Vergebung ist kein einzelner Akt. Vergebung ist eingebunden in einen Reifungsprozess, indem man sich zuerst den Grund der Wut und/oder Trauer bewusst macht: „Durch wen und durch was wurde ich verletzt?, „Was habe ich zu der Situation beigetragen?“ etc. Schreiben Sie alles auf und zerreissen Sie dann symbolisch das Blatt, um den Vergebungsprozess einzuleiten. Die immer wiederkehrenden Gedanken der Wut, des Zorns oder der Trauer müssen bewusst abgelegt werden. Hilfreich ist hier der Satz aus dem Gebet, das uns Jesus Christus gelehrt hat: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Autor: Peter Schulte

Datum: 30.04.2008
Quelle: Neues Leben

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