Kriesen meistern

„Ich fühle mich vollkommen überfordert”

„Ehrlich gesagt, mir reicht es. Jetzt bin ich seit 14 Jahren engagierte Lehrerin in einer Realschule und plage mich mit den Schülern und Eltern gleichermassen”, so die 39-jährige Elke. „Ich hätte nie gedacht, dass mich mein Beruf um den Verstand bringen könnte. Aber die Erfahrungen der letzten zwei Jahre waren so belastend, dass ich am liebsten aussteigen möchte.
Wichtig ist, dass Sie Ihre Gefühle ehrlich Gott sagen und ihm Ihre Situation klagen.
Wichtig: Was kostet am wenigsten Kraft und hat einen hohen Entspannungseffekt.

Das Beste wäre, die Eltern würden selber den Unterricht übernehmen. Sie wissen alles besser und lassen an uns Lehrern nichts Gutes. Wenn ich morgens zur Schule fahre, steigt bereits Ärger in mir hoch. Es gibt Tage, da finde ich meine Schüler nur unerträglich. Im Kopf weiss ich, dass das nicht in Ordnung ist. Vielmehr sollte ich ein Vorbild sein. Aber, was soll ich machen? Solche Gefühle drängen sich mir einfach auf.”

Die Symptome, die Sie mir in Ihren Zeilen und in unserem kurzen Telefonat geschildert haben, erinnern an ein „Ausgebrannt-Sein”, oder dass Sie dem so genannten Burnout sehr nahe sind.

1. Eine ehrliche Bestandsaufnahme tut Not

Haben Sie Mut, genau festzuhalten, was bei Ihnen derzeit „Sache” ist. Ich schlage Ihnen vor, vierzehn Tage lang genau zu beobachten, in welcher Situation Sie welche Gedanken denken und welche Gefühle Sie dabei erleben. Gleich, ob dies bereits beim Aufstehen ist, auf dem Weg zur Schule, bei einer Unterrichtsvorbereitung oder beim Einschlafen – halten Sie jedes Mal fest, was da in Ihnen passiert. Danach können Sie herausfinden, welches typische Situationen, typische Gedanken und Gefühle sind, die Sie bewegen. Wichtig ist auch, dass Sie Ihre Gefühle ehrlich Gott sagen und ihm Ihre Situation klagen.

2. Erarbeiten Sie gezielt Gegenstrategien!

Stellen Sie sich bewusst die Zeit vor, in der Sie gerne Lehrerin waren. Warum sollten Sie diese innere Einstellung nicht wieder zurückgewinnen? Mit grosser Wahrscheinlichkeit sind Sie pädagogisch immer noch sehr gut qualifiziert. Mehr noch: Durch 14 Jahre Schulpraxis haben Sie ein erhebliches Mass an Erfahrung gewonnen. Ahnen Sie, was ich Ihnen sagen will? Wie hilfreich wäre es, wenn Sie Ihre alte Motivation zurückgewinnen und damit eine neue Sicht für Ihre Arbeit aufbauen könnten! Die Eltern lassen sich kaum ändern, die Schüler auch nicht. Aber was Sie ändern können, ist die Bewertung der Schüler und Eltern. „Zwar ist es mit den Schülern schwerer als früher, aber ...” Was könnten Sie hier einsetzen? Vielleicht: „... aber heute sind sie offener.” Oder: „Zwar ist es mit den Eltern komplizierter als früher, aber ... sie lassen sich eher zur Mitarbeit gewinnen.” Wichtig ist, dass Sie Ihre Situation nicht länger nur passiv hinnehmen, sondern die Kontrolle darüber zurückerhalten.

3. Weniger ist mehr!

Alles auf einmal ändern zu wollen, schafft noch mehr Druck. Daher wäre es gut, heute noch einen ersten kleinen Schritt zu tun. Vielleicht einen Brief an ein Elternpaar schreiben oder die Schublade in Ihrem Lehrerpult ordnen. Oder alte Schülerzeichnungen abhängen, um Platz für neue zu schaffen. Sie wissen, was der erste Schritt ist und welches weitere kleine sein könnten. Packen Sie es an!

4. Entspannen Sie sich!

Gönnen Sie sich bewusst etwas Schönes und entspannen Sie sich! Wählen Sie das aus, was Sie am wenigsten Kraft kostet, aber einen hohen Entspannungseffekt hat. Dies wird sich positiv auf Ihre Situation auswirken und Motivation zurückgeben. Sie haben die Aufgaben über viele Jahre hin geschafft. Warum sollte es jetzt plötzlich nicht mehr gelingen?

Hintergrund: Krisen meistern

Wenn jemand davon überzeugt ist, eine Krise erfolgreich meistern zu können, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich Erfolg zu haben. Man spricht dann von so genannten „selbstwirksamen" Menschen, die tatsächlich mit Stress besser umgehen können, mehr leisten und gesünder sind als andere. Sich zuzutrauen, eine Aufgabe meistern zu können, fördert die Motivation, neue und schwierige Aufgaben zu bearbeiten und dabei Ausdauer zu zeigen. Negative „Erwartungen” dagegen lassen Menschen initiativlos werden und vorzeitig aufgeben.

Um die Motivation zu erhalten, ist es zum Beispiel wichtig, daran zu arbeiten, Vertrauen in die eigene Person zu gewinnen, Zuversicht zu bewahren und Zweifel an sich selber einzuschränken. Und auch Misserfolge zu analysieren und daraus zu lernen — ihnen aber in Gedanken und Gefühlen nicht nachzuhängen. Gleiches gilt für Kritik von aussen. Diese sollte man nicht als verletzend erleben, sondern als ein Hinweise auf hilfreiche Veränderungen im eigenen Verhalten. Schafft man dies aus eigener Kraft nicht, empfiehlt sich, seelsorgerliche Hilfe oder Lebensberatung in Anspruch zu nehmen. So lässt sich auch am besten eine übersteigerte Selbstsicherheit vermeiden, die negative Seiten des eigenen Verhaltens ausblendet.

Datum: 16.01.2008
Autor: Wilfried Veeser
Quelle: Neues Leben

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