Missbrauch

Wenn der liebe Onkel zum bösen Täter wird

Wo beginnt Missbrauch? Hinter den Zahlen steckt ein weites Problemfeld, denn nicht erst eine Vergewaltigung ist Missbrauch. Viele Formen sexueller Handlungen fallen darunter, bei denen Erwachsene in den Umgang mit Kindern eine sexuelle Intention zur eigenen Befriedigung der Gedanken oder des Sexualtriebes legen. In etwa 85 Prozent der Fälle kennt das Opfer den Täter, von denen 90 Prozent Männer und 10 Prozent Frauen sind. Die klassische Warnung vor dem fremden, bösen Onkel greift zu kurz.

Vertrauen zerstört

Wie kommt ein Täter zum Ziel? Durch Bestechungen, Drohungen, Ausnutzung des kindlichen Unwissens und durch die Machtposition machen sich Täter die Kinder gefügig. Der Widerstand des Kindes wird langsam abgebaut oder gebrochen. Schlimmer als manche körperliche Qual ist für Kinder, wenn bestehendes Vertrauen durch Missbrauch zerstört wird. Die Welt des Kindes bricht zusammen. Wo es Halt gesucht hat, fällt es ins Bodenlose. Gerade weil ein Kind vertraut, können Täter ihr Ziel erreichen, indem sie das Vertrauen brutal ausnutzen.

Kaum Worte

Opfer möchten sich mitteilen, finden aber kaum Worte für das Schreckliche. Und wenn doch, wird ihnen oft nicht geglaubt, oder alles wird verharmlost. Missbrauch in Familien zerstört den Ort, an dem Kinder gerade ihre Fragen und Ängste abladen sollten. Das Heim wird Ort des Grauens. Das Kind versteht sich selbst und die Welt nicht mehr. Enttäuschungen durch Täter und Personen, die nicht helfen, werden auf andere Beziehungen übertragen.

Missbrauch erkennen

Mögliche Erkennungsmerkmale sind:

- Missbrauch macht Angst, führt zur inneren Erstarrung

- Auffällige Ängste, zum Beispiel vor Männern oder bestimmten Orten

- Andeutung von besonderen Geheimnissen

- Aggressionen gegen sich selbst

- Auffällige Isolation

- Einkoten, Bettnässen, Schlafstörungen, Leistungsabfall

- "Komische" Zeichnungen

- Dem Alter nicht entsprechendes Sexualverhalten

Kinder sind anders! Sie verarbeiten schwere Erlebnisse oft anders als Erwachsene: mal spielerisch, mal durch Übertreibung, aber auch durch Verharmlosung und unrealistische Einschätzung. Ein Kind kann sagen: "Es ist nicht mehr so schlimm", aber es kann nicht abschätzen, welche Folgen eines Mißbrauchs sich später bei ihm zeigen können.

Schuldgefühle der Opfer

Der Täter erzeugt durch Angst oder Mitleid Schuldgefühle beim Opfer und bringt es damit zum Schweigen. Handelt es sich beim Täter um einen Menschen, den das Kind liebt, entwickeln sich Schuldgefühle, sobald das Kind den Wunsch des Täters nicht mehr erfüllt oder über das Verbrechen redet und damit Konsequenzen auslöst, zum Beispiel Strafanzeige oder Zerbruch der Familie.

Nicht verharmlosen

Was soll man bei Verdachtsmomenten tun? Nicht verharmlosen! Sensibel sein! Beobachten! Hinhören! Gespräche erlauben, aber nicht erzwingen! Qualifizierte Beratung in Anspruch nehmen! Vor "unbarmherzigen" Dritten schützen! Gebet!
Bei akuter Gefahr muss zum Schutz eines Kindes sofort gehandelt werden, auch wenn dadurch eine Not ans Licht kommt! Unüberlegte Aktionen und Alleingänge, beispielsweise in der Konfrontation mit Tätern, können schlimme Folgen haben. Man sollte Gespräche anbieten, aber nicht erzwingen! Der Schrecken eines Missbrauchs lässt sich oft nicht in Worte fassen. Es braucht Zeit, einen Ort des Vertrauens, keinerlei Druck. Das Verhalten des Opfers sagt oft mehr als Worte. Welcher Verdacht ist begründet, welcher nicht? Eine schwere Aufgabe, die Laien oft überfordert! Auch Missbrauch, der noch nicht bis zum Geschlechtsverkehr ging, ist schlimm und ernst zu nehmen.

Täter und Opfer helfen

In der Seelsorge gilt Schweigepflicht. Der Schutz von Personen hat aber Vorrang. Beteuerungen der Täter, ""so etwas" nie wieder zu tun, reichen in der Regel nicht aus, denn Menschen mit krankhaftem Verhalten überschätzen sich. Beide, Täter und Opfer, brauchen Hilfe. Aber niemand kann in diesem Konflikt wirklich das Vertrauen beider haben oder beiden "gerecht" werden. Ein therapeutisches Aufarbeiten der Not entzieht sich den Möglichkeiten eines Laien. Kindesmissbrauch ist nicht nur ein seelsorgerliches Problem, sondern auch ein juristisches Delikt. Begleitende Seelsorge ist wichtig!

Juristische Schritte?

Auch wenn keine Anzeigepflicht besteht, können juristische Schritte notwendig sein, um Opfer zu schützen und das Täterverhalten zu unterbinden. Eine räumliche Trennung kann das Familiengericht anordnen, ein Kontaktverbot kann ausgesprochen werden und so weiter. Wer Straftaten verschweigt, dem kann eventuell Mitschuld vorgeworfen werden.

Vergebung als Ziel!

Vergebung kann am Anfang nicht gelingen, denn sie ist das Ergebnis eines Heilungsprozesses beim Opfer. Solche Vergebung braucht Zeit. Wer dabei Druck erzeugt, hilft nicht, sondern schadet! Vergebung ist nicht mit Vergessen gleichzusetzen. Vergebung darf die Sachlage nicht beschönigen. Vergebung entschuldigt den Täter juristisch nicht. Bei Schuldgefühlen hilft keine Vergebung.

Selbständigkeit fördern

Wie ist Vorbeugung möglich? Indem man die Selbständigkeit der Kinder fördert, ihre Persönlichkeit achtet, Mut macht, "nein" zu sagen und den eigenen Willen zu bekunden. Durch gute Orientierungspunkte, auch in der sexuellen Aufklärung. Allgemein ist es wichtig, dass Kinder lernen, mit schwierigen Situationen umgehen zu können, das heisst, nie alle Probleme "gut gemeint" aus dem Weg räumen. Beten wir darum, dass Gott den Heilungsprozessen bei allen Beteiligten, auch den indirekt Betroffenen, Gelingen schenkt!

Datum: 29.03.2002
Autor: Harald Petersen
Quelle: Chrischona Magazin

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service