Der Weg des Dienens – die lohnendste Laufbahn

Gespräch mit Chrischona-Direktor Markus Müller

Das Dienen ist wieder zu entdecken – als Gesinnung, als Perspektive fürs sinnvolle Leben, als Schlüssel für die menschliche Gemeinschaft. Ohne Dienen hat der Sozialstaat keine Zukunft. Am Rande des Chrischona-Männertags in Winterthur hat Livenet mit Dr. Markus Müller gesprochen, seit Ende 2001 Direktor der Pilgermission St. Chrischona in Bettingen bei Basel. Müller arbeitete früher als Heilpädagoge; er steht nun dem Chrischonawerk vor, zu dem gegen 190 Gemeinden in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Südafrika gehören.
Wer dient, kommt nicht zu kurz: Markus Müller
Diakonie

Livenet: Markus Müller, Sie haben heute gesagt, Dienen sei eine Karriere nach unten. Von unserer Gesellschaft lässt sich sagen: Dienen ist nicht in. Man will nach oben, frau will vorwärtskommen. Das ist doch tief in uns drin, nicht erst seit es das Wort Karriere gibt.
Markus Müller:
Ich glaube nicht, dass das Dienen ein Schritt nach unten ist. Die Verheissung im Neuen Testament lautet: Die Letzten werden die Ersten sein. Wer am Tisch bedient, der kommt selbst nicht zu kurz. Wer sich zur Verfügung stellt, dem wird’s gut gehen, der hat die Verheissung des Lebens. Wer sein Leben verliert, der gewinnt. Das scheint mir die biblische Begründung zu sein. Ich hege die tiefe Hoffnung, dass derjenige die beste Laufbahn hat, der den Weg des Dienens geht.

In diesem Sinne dienen heisst, dass man auf Träume verzichtet, denen andere nachjagen.
Die Anwort fällt mir schwer, weil ich glaube: Genau dieses Bild vom Dienen – verzichten und tun, was man tun muss – ist bei uns üblicherweise gespeichert. Wenn ich jedoch versuche, mich in die Melodie des Dienens einzuklinken, dann merke ich: Das eigentlich Befriedigende, das Höchste des Lebens, ereignet sich in meiner Dienerschaft. Das sehe ich bei Jesus. Und bei vielen wirklich glücklichen Menschen, die ihr Leben zur Verfügung gestellt und gesagt haben: Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.

Es ist nicht schlecht, wenn auch ich das einzuüben habe: Nicht was ich will, muss jetzt passieren, sondern was dir ein Anliegen ist, tue ich. Gerne. Nicht gezwungen, nicht getrieben, sondern aus tiefer Beauftragung – aus der Gewissheit heraus, dass das Beste im Leben das Dienen ist.

Dienen nicht nur an einem Ort, nicht bloss von acht bis zwölf, in einer bestimmten Funktion, sondern als Lebensstil…
Ich würde es nicht als Lebensstil bezeichnen – der ist eine Auswirkung. Nach meinem Dafürhalten ist das Dienen eine Grundgesinnung. Gesinnung kommt vom Wort Sinnen und meint eigentlich nichts Anderes, als was ich im Herzen denke, mir vornehme, meine Regungen zwischen den Haarwurzeln und meinem Bauch. Mein Sinnen lenkt mich in den Anschauungen zu bestimmen Themen. Es leitet mich in der Frage, wie ich auf andere Menschen zugehe und mich benehme. Es geschieht 24 Stunden am Tag, nicht eingrenzbar. Psalm 1 sagt eindringlich, dass unser Sinnen ausgerichtet sein soll auf das Wort des Höchsten, auf Gottes Wort. Dabei wird meine Gesinnung geschärft.

Das zeigt sich an Vorbildern, an Menschen der Vergangenheit. Jakob Spener zum Beispiel hat im 17. Jahrhundert das ganze Sozialwesen der Stadt Frankfurt und der Stadt Berlin auf den Kopf gestellt. Er sagte: Wir wollen wegkommen vom Almosengeben und Arbeitsplätze für Obdachlose schaffen. Er tat dies im Glauben, dass sie, wenn sie arbeiten, wieder für sich selbst sorgen können. Auf dieses Konzept geht der moderne Sozialstaat zurück. Man hat bloss vergessen, dass da die Wurzeln liegen.

Bei solchen Menschen sehe ich Dienerschaft. Ich halte es auch für möglich, dass in Zukunft solche Menschen notwendig sind, dass Gott solche Menschen braucht, um wirklich gesellschaftspolitisch umwälzend zu wirken, im öffentlichen Raum revolutionäre Dinge zu tun.

Es gibt die gesellschaftliche Ebene und die des privaten Lebens. Dazwischen liegt die der kleinen Gemeinschaften. Der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks gehört zu denen, die mehr Aktivität auf dieser Zwischenebene fordern – dass miteinander gedient wird. Eigentlich sollten Christen da an vorderster Front mitwirken. Offenbar haben sie sich zur Ruhe setzen können, weil der Sozialstaat ihnen die Arbeit abgenommen hat.
Christen waren da Pioniere! Denken Sie an die Väter des Pietismus im deutschsprachigen Raum, Spener, Francke und Zinzendorf. Spittler, der die Pilgermission St. Chrischona gegründet hat, gründete auch das Kinderspital in Basel, die Taubstummenanstalt und weitere solche Werke. All diesen Leuten war der Begriff der Sozietät sehr wichtig. Sie haben betont, dass alles über Gemeinschaften geschieht.

Zinzendorf, von dem das Losungsbüchlein herstammt, sprach von „Banden“: Männer und Frauen, die sich verbindlich zusammenschliessen, um einen Boden zu schaffen, auf dem das Leben gedeihen kann.

Heute gibt es Soziologen in unserem Sprachraum, die genau davon reden: Unsere Gesellschaft lebt von Zusammenschlüssen, die freiwillig eingegangen werden. Nachdem die Ehe und die Familie nicht mehr tragen wie früher, braucht es Organisationen, Verbindungen von Menschen, die sich freiwillig (Peter Gross sagt sogar: lebenslänglich) zusammengetan haben.

Und diese freiwillige Bereitschaft zum Dienen brauchen wir als Gegengewicht zum Individualismus. Können Christen da noch viel mehr tun?
Natürlich. Ich glaube, sie müssen sehr viel mehr tun, wenn sie als Christen Zukunft haben wollen. Es geht darum, dass wir nicht uns selber in den Strudel hineinziehen lassen und Umstände bejammern, da die Dinge nicht mehr so sind wie vor Jahren. Wir kommen nicht darum herum zu lernen: Was heisst es, diese freiwillig eingegangenen Gemeinschaften zu leben? Vertrauen, Verantwortung und Versöhnung spielen darin eine grosse Rolle.

(Der zweite Teil des Gesprächs folgt morgen.)

Bericht über den Chrischona-Männertag: http://www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/12208/

Chrischona-Webseite: www.chrischona.ch

Datum: 29.01.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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