Geschwisterstreit

Dauernd Zoff?

Streit unter Geschwistern - und wie Eltern damit umgehen können.
Geschwisterstreit

Wo es mehr als ein Kind in der Familie gibt, da ist auch der Streit unter Geschwistern nicht weit. Doch was tun, wenn die Kinder sich permanent zoffen? Wie viel Streit darf sein - wie viel Streit muss vielleicht sogar sein? Welche Botschaft an die Eltern liegt im Streit der Kinder? Wie können Eltern mit dem Zoff im Kinderzimmer hilfreich umgehen? - Die vierfache Mutter Karin Vorländer hat sich auf die Suche nach Ursachen und Antworten gemacht.

Sie stritten schon ehe sie geboren wurden. Wer würde zuerst das Licht der Welt erblicken? Im Kampf um die Liebe der Eltern suchte sich dann suchte sich jeder der beiden seine eigene Rolle: Der eine als sanfter Muttersohn, der andere wurde als Draufgänger der Favorit des Vaters. Ihre Konkurrenz um Vorherrschaft, Liebe und Besitz entzweite sie als junge Männer so sehr, dass nur die Flucht des einen vor dem anderen Schlimmeres verhinderte. Ihre erbitterte Feindschaft überwanden sie erst als sie längst erwachsen waren - und trotz Versöhnung gab es für sie es nur ein Leben auf Abstand. Die Rede ist von den biblischen Zwillingen Jakob und Esau (1. Mose 25-33).

Streit unter Geschwistern ist auch in der Bibel kein Tabu-Thema. Im Gegenteil. Schon auf den ersten Seiten wird von Kain erzählt, der im Kampf um die Gunst Gottes sogar zum Mörder an seinem Bruder wird. Und auch die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern weiss von Streit, Missgunst und Hass. Sie beschönigt den Anteil nicht, den der Vater an diesem Streit hat: Denn er zieht seine beiden Jüngsten ganz offensichtlich den anderen Söhnen vor.

Zum Glück sind nicht alle Auseinandersetzungen unter Geschwistern so dramatisch wie die, die in der Bibel erzählt werden. Aber Rangeleien, Aggressionen, Zickerein, verbale Attacken und auch handgreifliche Auseinandersetzungen unter Geschwistern verunsichern und nerven viele Eltern. "Was haben wir bloss falsch gemacht?", fragen sie. "Vermutlich weniger als Sie denken", antwortet Familientherapeutin Renate Lang dann oft. "Geschwister zu haben, das ist die elementarste Konkurrenzsituation, die wir erleben. Der Mensch bekommt nie wieder eine so harte Konkurrenz - und je geringer der Altersunterschied zwischen den Geschwistern ist, desto heftiger wird sie ausgelebt."

Nicht sofort in die Schiedsrichterrolle schlüpfen

Oft steckt hinter dem Streit der unbewusste Versuch der Kinder, herauszufinden, mit welcher Strategie sich die Aufmerksamkeit der Eltern erringen lässt. Wenn Kinder streiten, dann versuchen sie oft, die Eltern zum Schiedsrichter zu machen und zu sehen, wessen Partei sie ergreifen. "Verweigern Sie die Schiedsrichterrolle", rät Renate Lang, die auch aus der Erfahrung mit den eigenen drei Kindern weiss, dass sich der genaue Hergang in den seltensten Fällen rekonstruieren lässt. "Meine Frage an die Streithähne: ‚Und was soll ich jetzt tun?', hat oft Wunder gewirkt", erinnert sie sich.

Wichtiger als ein elterlicher "Schiedsspruch" ist es, Kindern zu helfen, selbst eine Lösung zu finden. Wenn die Gemüter sich etwas beruhigt haben, kann die Frage: "Wie fühlst du dich - und was denkst du, wie dein Bruder/deine Schwester sich jetzt fühlt?", der erste Schritt sein, um Verständnis für einander zu entwickeln und selbst einen Weg zur Konfliktlösung zu finden.

Verständnis zeigen

Kinder sind gegenüber Streit oft viel toleranter als die Erwachsenen. Sie fühlen nicht gleich die Harmonie in der Familie bedroht. Für sie ist es oft kein Problem, sich morgens zu streiten und am Abend gemeinsam kichernd unter einer Bettdecke zu stecken. Aber manchmal erschrecken sie auch vor der Wucht der eigenen Aggression. Da ist es gut, wenn Eltern nicht mit Drohungen, Strafe oder Spott, sondern mit Verständnis reagieren. "So ein dicker Streit ist wirklich schlimm für dich. Manchmal schaffst du es einfach nicht aufzuhören, sogar wenn du willst. Dann ist deine Wut zu gross", könnte so ein Satz sein, der eine Brücke zur Versöhnung baut. Denn nur Kinder, die sich in ihrer Person wertgeschätzt fühlt, können sich auch in ihre "Gegner" hineinversetzen.

Kein Grund zur Aufregung

Wenn Eltern aus übersteigertem Harmoniestreben heraus jeden Streit im Keim ersticken, bringen sie die Kinder um Möglichkeit, eigene Lösungen zu finden.

Dort, wo Kinder sich allerdings durch Gewalttätigkeiten wie Schlagen, Beissen oder Treten gegenseitig ernsthaft gefährden, müssen Eltern eingreifen und die Kinder für eine Zeit räumlich trennen. Wichtig dabei ist allerdings, dass beide Parteien eine Konsequenz zu spüren bekommen und keiner zum alleinigen "Sündenbock" gemacht wird. Denn zum Streiten gehören immer zwei - egal, wer angeblich angefangen hat. Antworten Sie auf den Satz: "Der oder die hat aber angefangen", doch einfach mal mit: "Und du hast mitgemacht. Und wer hört zuerst auf?", und staunen Sie über die Reaktion.

So lässt sich Streit vermeiden

Oft gibt es im Tagesablauf kritische Zeiten. Etwa wenn die Kinder hungrig, müde oder enttäuscht aus dem Kindergarten oder der Schule nach Hause kommen. Dann wird ein Streit zum Blitzableiter. Eine freundliche Begrüssung, ein paar Minuten am Tisch bei einem Glas Saft - all das trägt dazu bei, Aggressionen rechtzeitig abzubauen.

" Manchmal brauchen Kinder es, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Erlauben und fördern Sie Ihrem Kind den Rückzug ins eigene Zimmer, auf den Hof, ins Freie. Dabei sollte das Alleinsein nicht als Strafe verhängt werden, sondern als Möglichkeit, erst einmal zu sich zu kommen.
" Sorgen Sie dafür, dass die Streithähne/Streithennen nicht immer zusammen sind. Fördern Sie Einzelaktivitäten, Verabredungen mit Freunden und Hobbys. Abstand tut gut.
" Sprechen Sie mit Ihren Kindern über Ihr eigenes inneres Mass oder Ihre Tagesform. "Heute bin ich selbst ziemlich nervös. Streit kann ich heute ganz schlecht aushalten." Solche Sätze verstehen auch schon Grundschulkinder.
" Manchmal ist ganz einfach Langeweile die Ursache für Kabbeleien und Streit unter Geschwistern. Ablenkung entspannt. Und sei es in Form von Aufgaben, die zu erledigen sind.
" Geben Sie den Kindern die Möglichkeit, Konflikte selbst zu lösen, indem sie sich nicht vorschnell zum Schiedsrichter machen lassen. Fragen Sie: "Was wollt ihr tun, damit es nicht an diesem Punkt immer wieder Streit gibt? Was wollt ihr verabreden? Braucht ihr dabei meine Hilfe?"
" Verabreden Sie in friedlichen Zeiten mit allen Kindern deutlich die Grenzen (etwa Schlagen, Beissen, Treten, Beleidigungen), die nicht überschritten werden dürfen. Trennen Sie die Streitenden schnell und ohne lange Diskussion, wenn sie sich gegenseitig gefährden.

Kinder sind wie ein Spiegel

Genervte Eltern sollten sich nicht scheuen, einen "Blick in den Spiegel" zu werfen und zu fragen, wie sie denn selbst mit Konflikten und Streit umgehen. Denn Kinder lernen am allermeisten durch das Vorbild der Eltern. Häufig reagierten Eltern mit einem Verhalten, das sie in ihrer Kindheit erlernt haben. Ohne sich dessen bewusst zu sein. Fragen Sie sich z. B.
" Wie wurde bei mir zu Hause gestritten? Durfte man im Streit laut werden - oder war es oberstes Gebot, ruhig zu bleiben und keine Gefühle zu zeigen?
" Wie wurden in meiner Herkunftsfamilie Konflikte beigelegt? Durch elterliche "Machtworte" oder wurden Lösungen gemeinsam ausgehandelt?
" Mit welchem Kind identifiziere ich mich, weil ich - vielleicht ohne es mir einzugestehen - Ähnlichkeiten zu meiner eigenen Rolle als Kind sehe?
" Habe ich - ohne es zu wollen, ein Lieblingskind oder eines, das mir emotional nicht so liegt und das in Gefahr steht, zum Sündenbock zu werden?

Oft, so die Erfahrung von Familientherapeutin Renate Lang, entladen sich ernsthafte Eheschwierigkeiten in ebenso ernsthaften und bedrohlichen Geschwisterstreitigkeiten. Manchmal gibt es unbewusste Koalitionen, in denen sich etwa Mutter und Sohn gegen Vater und Tochter zusammentun und in denen die Kinder dann "Stellvertreterkämpfe" führen. Hier kann eine professionelle Beratung Klärung und Hilfe bringen, in der das "System Familie" als Ganzes betrachtet wird.

Autorin: Karin Vorländer, verheiratet, vier Kinder, arbeitet als freie Journalistin.

Datum: 16.11.2005
Quelle: Neues Leben

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