Fernsehen

Wieviel Katastrophe tut unseren Kindern gut?

Wie Eltern und Kinder mit Bildern von Gewalt und Tod im Fernsehen umgehen können.
„Heute braucht es gar keine Horrorfilme. Die Nachrichten bieten schon genug Schreckensbilder.“
„Im gemeinsamen Gebet können Eltern und Kinder aussprechen, was sie bedrückt.“

Nein, Eltern können ihren Kindern das Bild von einer heilen Welt beim besten Willen nicht erhalten. Spätestens seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 oder den Bildern der schrecklichen Flutwelle in Südostasien vor wenigen Wochen, sind die Bilder von Gewalt und Terror, von Katastrophen und Schrecken vor aller Augen und in aller Munde.

Schrecken ungeschminkt

In der Berichterstattung über den Irankrieg und über die Flutkatastrophe setzt sich eine Entwicklung fort, die schon im ersten Golfkrieg begann: Die Medien stellen das Unglück und die Schrecken von Terror, Krieg und Naturkatastrophen immer schneller, ungeschminkter und direkter dar. Es scheint so gut wie unmöglich, Kinder vor der Wirklichkeit einer Welt zu bewahren, in der es immer neue Kriege gibt, in der Menschen verhungern, Naturkatastrophen und Unglücksfälle an der Tagesordnung sind und Kinder, die nur zum Spielen aus dem Haus gingen, ermordet aufgefunden werden. Da braucht es gar keinen übermäßigen Fernsehkonsum, keine Action- oder Horrorfilme – die ganz normalen Nachrichten bieten schon genug Gewalt- und Schreckensbilder, die Kinder beunruhigen und ängstigen können.

Viele Eltern fragen sich besorgt: „Wieviel Katastrophe kann ich meinem Kind zumuten? Was richten die Bilder vom Leiden anderer Menschen in der Seele meines Kindes an?“ Dass selbst ein radikaler Medienverzicht für die ganze Familie kaum eine Lösung ist, liegt auf der Hand: Der nächste Fernseher, das nächste Radio, die nächste Zeitung findet sich mit Sicherheit bei Freunden und in der Schule (oder sogar schon im Kindergarten) sind Schreckensnachrichten ein Thema. Der Nachwuchs lässt sich einfach nicht lückenlos vor dem medial vermittelten Leid schützen.

Günter Gugel, Geschäftsführer des Instituts für Friedenspädagogik in Tübingen, rät gar von einer solchen „Bewahrungspädagogik“ ab. Er hält es nicht nur für wenig aussichtsreich, sondern auch für wenig hilfreich, Kinder rigoros abzuschirmen. Der Hamburger Medienpädagoge Norbert Neuß weist allerdings darauf hin, dass längst nicht alles, was Erwachsene schreckt, Kinder im gleichen Maß beunruhigt. So sei das Ausmaß der Anschläge von New York vielen Kindern erst durch die Reaktion ihrer Eltern deutlich geworden. Sein Kollege Stefan Aufenanger betont, dass jüngere Kinder von abstrakten Fernsehnachrichten wenig berührt werden. Betroffen sind sie vor allem dann, wenn Bilder von verletzten, weinenden Menschen in Nahaufnahmen und womöglich mit emotionsgeladener Musik unterlegt gezeigt werden. Kinder können dann kaum Distanz aufbauen und sie neigen dazu, sich mit den Opfern zu identifizieren. Und ängstlich fragen sie, ob der Krieg jetzt auch zu ihnen kommt, ob ein Flugzeug auch in ihr Haus rasen kann, ob die Welle sie auch erreicht oder ob sie selbst Opfer von Kinderschändern werden können.

Fernseher (r)aus?

Was hilft, solche schlimmen Nachrichten und Bilder zu verarbeiten? Grundsätzlich gilt: Der Fernseher, der – wie in vielen Familien üblich – einfach nebenher läuft, ist hier sicher nicht hilfreich. Auch sehr kleine Kinder bekommen „nebenbei“ viel mehr mit, als Erwachsenen wahr haben wollen. Schon einjährige Babys begreifen, welche Gefühle im Fernsehen vermittelt werden und lassen sich in ihrem Handeln beeinflussen, fand die amerikanische Psychologin Donna Mumme heraus. Oft setzen sich Bilder, die Erwachsene als nebensächlich „ausblenden“, bei Kindern fest und bekommen vor allem dann ein eigenes Gewicht, wenn es keine Gelegenheit gibt, darüber zu reden.

Deshalb sollte grundsätzlich die Regel gelten, dass zumindest Vorschulkinder bei der Berichterstattung über Terror, Krieg und Gewalt nie ohne Anwesenheit Erwachsener fernsehen sollten. Allein die Tatsache, nicht allein zu sein, vermittelt ihnen das so wichtige Sicherheitsgefühl. Auch dort, wo der Fernseher bewusst an- und ausgeschaltet wird, brauchen Kinder die Gelegenheit, Körperkontakt aufzunehmen, Fragen zu stellen, Befürchtungen zu äußern, Ängste im Spiel aus zu agieren. Und sie brauchen das Gefühl, dass der eigene Alltag trotz allem Mitgefühl und aller Angst „normal“ bleiben darf und von verlässlichen Beziehungen getragen ist: „Toben, spielen, spazieren gehen und kuscheln sind gute Möglichkeiten, Normalität und Gewohntes in den Alltag zurückzuholen“, rät Wolfgang Zenz vom Kinderschutzzentrum Köln.

Belastende Bilder verarbeiten

Auf keinen Fall sollten Eltern die Ereignisse, die ihre Kinder durch die Medien als Furcht erregende Realität erleben, leugnen oder verniedlichen. Dazu gehört auch, dass Eltern die eigene Angst, Sorge oder Traurigkeit zugeben. „Ja, das ist wirklich schlimm, was dort passiert ist. Die Menschen dort tun mir sehr Leid. Können wir vielleicht etwas tun, um ihnen zu helfen?“ Wichtig ist, mit den Kindern ihrem Alter angemessen über das Geschehene zu reden, ohne sie mit zu vielen Informationen und Zusammenhängen zu überfordern.

Gerade bei der Verarbeitung belastender Bilder, Angst erregender Gewaltszenen und schlimmer Nachrichten kann auch einem gemeinsamen Gebet am Abend eines Tages eine wichtige Rolle zukommen. Hier können Eltern und Kinder gemeinsam aussprechen, was sie bedrückt – oder Eltern sprechen stellvertretend für ihre Kinder aus, was sie bewegt. Dabei müssen keineswegs die Bitte um den eigenen Schutz und die eigene Bewahrung ganz oben stehen. Schon Kinder haben einen eigenen Zugang zu einer Form des Gebetes, in der vor Gott die Fragen und die Klage darüber ausgesprochen ist, dass Menschen leiden und sich nach einem Leben ohne Krieg, Katastrophen und Gewalt sehnen. Auch der Dank dafür, dass es Menschen gibt, die sich für Frieden, Versöhnung und Hilfe einsetzen, und der Dank für ein Leben, das bisher vor dem Schlimmsten bewahrt geblieben ist, hat hier Raum.

Karin Vorländer, verheiratet, vier Kinder, arbeitet als freie Journalistin.

Buchtipp zum Thema:
Tilmann Gangloff
Schlechte Nachrichten – schreckliche Bilder
Mit Kindern belastende Medieneindrücke verarbeiten
158 Seiten, EUR 8,90, Herder (Freiburg)

Autorin: Karin Vorländer

Datum: 26.05.2005
Quelle: Neues Leben

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