Interview

«Werdet wie die Freikirchen»

Der biblisch angehauchte Titel sprang in die Augen: «Werdet wie die Freikirchen!» Die Schlagzeile stand im «St. Galler Tagblatt» über einem Interview mit Hans Schmid. Der Ökonomie-Professor setzt sich in einem neuen Buch mit der Situation und der Zukunft der Landeskirchen auseinander.
Hans Schmid

Hans Schmid registriert, dass die Landeskirchen laufend Mitglieder verlieren. Und damit auch Kirchensteuern. Bald drohe das finanzielle Desaster. Der Professor kommt zum Schluss, die Landeskirchen müssten fitter werden. Sonst gingen sie im Wettbewerb auf dem kirchlichen Markt unter. Sie müssten den Bedürfnissen der modernen Bevölkerung besser Rechnung tragen. Genau wie die Freikirchen. Unumgänglich sei mehr ökonomische Kompetenz.

Freikirchen haben auch Probleme

Anzumerken ist, dass es auch in der Landeskirche gut besuchte Gottesdienste gibt. Und dass auf der andern Seite freikirchliche Gemeinden geschlossen oder zusammengelegt werden. Auch Freikirchen haben ihre Identitätsprobleme. Ihre Wohlstandsauswüchse. Ihre theologischen Verunsicherungen. Und ihre Finanzprobleme. Doch als Freiwilligkeitskirchen und Spendenkirchen nehmen sie die Bedürfnisse ihrer Mitglieder gewiss eher wahr. Und mit ihrem familiären Charakter sind sie heute meist mehr «Volkskirche» als die meisten landeskirchlichen Gemeinden.

Interview

«Es kann nicht Gottes Wille sein, dass die Kirchen leer bleiben »

Von Andrea Vonlanthen

Die Landeskirchen verlieren laufend Mitglieder und damit auch Kirchensteuern. Sie müssten fitter werden für den kirchlichen Wettbewerb. Das meint der emeritierte St. Galler Ökonomie-Professor Hans Schmid in seinem Buch «Kirchen im Wettbewerb - Kirchen mit Zukunft».

Andrea Vonlanthen: Warum machen Sie sich als Ökonomie-Professor Sorgen um die Kirche?
Hans Schmid: Ich bin auf dem Land, im aargauischen Seon, aufgewachsen und erinnere mich noch an die Fünfzigerjahre, als die Kirchen am Sonntagmorgen voll waren und die Pfarrer auch Gehör fanden. Als im Jahre 2005 die Zahlen zur letzten Volkszählung publik gemacht wurden, kam heraus, dass die evangelische und teils auch die katholische Landeskirche in den letzten 40 Jahren einen sehr grossen Mitgliederschwund hinnehmen mussten, während sich die nichtreligiösen Bevölkerungsgruppen verzehnfacht hatten. Ich sprach dann mit zahlreichen Kirchenvertretern. Sie bestätigten mir durchwegs, dass es um die Landeskirchen schlecht bestellt sei. Doch sie hatten keine Antwort, was man dagegen machen könnte. Ich begann daher, nach ökonomischen Erklärungen zu suchen. Ich habe auch geprüft, ob das Beispiel der Freikirchen eine Chance für die Landeskirchen sein könnte.

Sie haben auch Freikirchen besucht?
Das war unerlässlich. Ich habe etliche freikirchliche Gottesdienste besucht, vor allem bei der Pfingstgemeinde Buchegg und beim ICF in Zürich. Da fand ich genau das, was mir auch amerikanische Ökonomen sagen. Hier wird das geboten, was die Leute anspricht. Ich bin überzeugt, dass die Landeskirchen den Erosionsprozess nicht einfach so hinnehmen dürfen. Wenn die Kosten für die Kirchensteuererhebung grösser werden als das Kirchensteueraufkommen, ist das Ende nicht mehr weit. Und genau das kommt auf die Kirchen zu, und zwar bald. Die Frage ist, was sie dagegen tun wollen.

Woher kommt Ihr Interesse am Wohl der Kirche?
Religiöse Entwicklungen haben mich immer interessiert. Meine Mutter war eine strenggläubige Protestantin, und mein Grossvater war Mitglied einer Chrischona-Gemeinde. Mein Elternhaus hat mich schon geprägt. Doch zum Pfarrerberuf habe ich nie eine Berufung verspürt.

Sind Sie regelmässiger Kirchenbesucher?
Ich war es nach meiner Konfirmation, aber heute nicht mehr. Ich halte das kirchliche Angebot seit den Sechzigerjahren für ungenügend.

Was fehlt Ihnen denn?
Ich habe mir eine Liste mit sechs Punkten gemacht, worauf ein Pfarrer bei der Predigt achten müsste: 1. Die innere Begeisterung muss spürbar sein. 2. Freie Rede. 3. Die Predigt muss so überzeugend sein, dass der Besucher in der Woche danach darüber nachdenkt. 4. Die Predigt muss an Alltagserfahrungen anknüpfen. Der Pfarrer muss die Bedürfnisse der Besucher erkennen. 6. Die Predigt muss das Selbstwertgefühl bei den Zuhörern stärken, indem sie erkennen, dass der Mensch nicht zufällig auf der Welt ist und dass er eine bestimmte Aufgabe hat.

Sie betrachten Freikirchen offenbar als fitter für den kirchlichen Wettbewerb.
Freikirchen müssen sich im Wettbewerb mit den staatlich privilegierten Landeskirchen behaupten. Das sieht man schon an der Gestaltung des Gottesdienstes. Die moderne Elektronik wird auch für die Predigtgestaltung voll genützt. Die Mitglieder tragen viel dazu bei, auch finanziell. Das fördert die Identifikation. Die meisten freikirchlichen Besucher sind einfache Leute. Sie suchen und finden ein sinnstiftendes, religiöses Angebot, von dem sie profitieren können.

Was hat Sie bei Ihren Besuchen in freikirchlichen Gottesdiensten gestört?
Als Leiter einer Freikirche würde ich davon absehen, einen gewissen Personenkult zu betreiben, wie ich dies beobachtet habe.

Welche biblische Grundlage motiviert Sie zu Ihren ökonomischen Überlegungen?
Ich bin Christ. Ich glaube an Gott, die starke Macht über uns. Es kann nicht sein Wille sein, dass die Kirchen leer bleiben.

Doch der Christ soll ja glauben...
Was ich unter Kirchenführern erlebe, ist schon mehr Fatalismus als Glaube. Gott hat uns den Verstand geschenkt, um darüber nachzudenken, wie wir aus den Problemen herauskommen.

Wo profitiert die Kirche am meisten, wenn ihre Akteure ökonomischer denken lernen?
Sie bekommt mehr Mitglieder und damit auch ein höheres Steueraufkommen. Damit gewinnt sie gesellschaftlich auch wieder mehr an Bedeutung.

Wo soll die Kirche ansetzen, wenn sie wettbewerbsfähiger werden will?
Bei der Predigtgestaltung und den Hausbesuchen. Wenn das richtig zum Tragen käme, hätte die Kirche schon viel gewonnen.

Das ausführliche Interview kann in der Ausgabe Nummer 5 im Magazin „ideaSpektrum Schweiz“ nachgelesen werden. Dieses Magazin erscheint wöchentlich und bietet News und Meinungen aus der evangelischen Welt. Bestelladresse „ideaSpektrum Schweiz“

Datum: 04.02.2008
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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