Sind die Kirchen am Vertrauensverlust selbst schuld?

Vertrauen in die Kirche?

Hamburg. Das schlechte Abschneiden der deutschen Kirchen bei der internationalen Gallup-Umfrage über das Vertrauen in Institutionen (wir berichteten darüber) hat in der evangelischen Kirche ein unterschiedliches Echo ausgelöst.

Unter 17 grossen Organisationen nehmen die Kirchen den letzten Platz ein. Nur 39 Prozent der Befragten setzen ihr Vertrauen in sie, während 86 Prozent der Polizei und jeweils 70 Prozent dem Militär und der UNO vertrauen. Selbst Medien (49 Prozent), Gewerkschaften (50) und Parlament (48) geniessen in Deutschland mehr Vertrauen als die Kirchen.

Bezogen auf alle 47 untersuchten Ländern nehmen die Kirchen Rang vier ein. Während Oberkirchenrat Rüdiger Schloz (Hannover), die Umfrage als “nachdenkenswert, aber nicht dramatisch” bewertete, sprach ein führender Repräsentant des konservativen Protestantismus von einem “bedrückenden und alarmierenden Ergebnis”. Die Kirche habe ihre Meinungsführerschaft in religiösen und ethischen Fragen weitgehend verloren, sagte der Vorsitzende der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Pastor Ulrich Rüss (Hamburg).

Durch Selbstsäkularisierung und Anpassung an den Zeitgeist sowie ihre teilweise widersprüchliche Vielfalt gebe die Kirche ein diffuses Bild. Die Bevölkerung betrachte die Kirchen nicht mehr als selbstverständliche Orientierungshilfe mit besonderer Kompetenz in Sachen Gott und Glauben. Man lehne die Kirche ab, selbst wenn man Jesus Christus bejahe. Nach Ansicht von Rüss kann die Kirche Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie in Seelsorge, Mission und Diakonie zum Glauben an Gott einlädt. Sie solle deutlich machen, dass die Gesellschaft ohne Kirche arm und noch bedrohter wäre. Dies müsse auch in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, insbesondere dem Islam, sichtbar werden.

Beim Berufsprestige rangieren Pfarrer auf Platz 2

Schloz zufolge sollten Pfarrer, die oft zu den grössten Kirchenkritikern gehörten, ihr Ansehen dazu benutzen, um die Bedeutung ihres Arbeitgebers mehr herauszustellen. Regelmässige Studien des Instituts für Demoskopie Allensbach (Allensbach am Bodensee) über das Prestige von Berufsgruppen ergaben 2001, dass Pfarrer mit 38 Prozent nach Ärzten (74 Prozent) das zweithöchste Ansehen haben, gefolgt von Professoren (33) und Rechtsanwälten (31). Am Ende der Skala rangieren Politiker und Offiziere (jeweils 10 Prozent). Für den kirchlichen Dienst sei das Vertrauen zu Pfarrern wichtiger als zu Institutionen, so Schloz. Diese Prestige-Untersuchung relativierten ebenso wie die sozialwissenschaftlichen Allbus-Studien das Gallup-Ergebnis. Diese Studien zeigten, dass das Vertrauen in die Kirchen in den vergangenen acht Jahren gestiegen sei. Dabei schnitt die evangelische Kirche besser ab als die römisch-katholische. Ausserdem müsse man zwischen Ost- und Westdeutschland differenzieren.

Ostdeutschland ist die verweltlichste Gegend der Welt

Eine gesonderte Betrachtung der alten Bundesrepublik mit einer Kirchenzugehörigkeit von 82 Prozent würde zu demselben Ergebnis wie in den anderen untersuchten Ländern führen. Ostdeutschland sei die verweltlichste Gegend der Welt. Nur 25 Prozent der Bevölkerung sei religiös gebunden. Wenn drei Viertel keine Beziehung zu einer religiösen Organisation haben, überrasche das geringe Vertrauen zur Kirche nicht. Das grosse Vertrauen zu Militär und Polizei führt Scholz auf eine allgemeine Verunsicherung zurück. Nach dem 11. September sei es verständlich, dass verängstigte Menschen Sicherheit suchten und dabei mehr auf Ordnungshüter als auf Parlamentarier und Kirchen vertrauten. Das Ergebnis entspreche auch dem Zeitgeist, der vor allem nach dem Nutzen von Einrichtungen frage, was die Kirchen vor grosse Probleme stelle.

Datum: 16.11.2002
Quelle: idea Deutschland

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