"Gravierender, als angenommen"

Ist die Genfer Ökumene am Ende?

oekumene

Angesichts der gegenwärtigen Krise im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) will der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) die Mitarbeit in den ÖRK-Gremien verstärken. Dies kündigte Gottfried Locher, Leiter der Abteilung Aussenbeziehungen beim SEK an.

Bis Ende 2003 muss der Ökumenische Rat der Kirchen neun Millionen Franken aus seinem Budget streichen. Zugleich setzen dem ÖRK die stärker gewordenen Spannungen zwischen den orthodoxen und protestantischen Kirchen arg zu. Die Vollversammlung des ÖRK-Zentralausschusses zeigte laut Locher, dass die Krise des Weltkirchenrates "gravierender ist, als wir gemeint haben".

Die finanzielle Krise "greift so tief, dass man die bereits gekürzten Programme noch weiter zusammenlegen oder teilweise streichen muss", betonte Locher. Zudem werde der ÖRK im kommenden Jahr wahrscheinlich auch Leute entlassen müssen. "Noch tiefer aber als die finanzielle sitzt jene Krise, die die Mitgliedschaft und Strategie dieses Weltkirchenrats betrifft", so der reformierte Theologe.

"Vom SEK aus schalten wir uns jetzt in Genf ein, soweit wir dies können", erklärte er. Zwar sei der SEK nicht einer der grossen Geldgeber, aber zusammen mit seinen Werken und Missionen leiste er einen namhaften finanziellen Beitrag. Zudem befinde sich der ÖRK-Sitz auf Schweizer Boden, "und das verpflichtet". Das Einschalten des SEK bedeutet laut Locher, "die Mitarbeit in den ÖRK-Gremien zu verstärken, in denen wir bereits sind". Bei der anstehenden Umstrukturierung des Weltkirchenrates werde der SEK aktiv mittun. So sitze ein SEK-Vertreter in der vierköpfigen Taskforce, die in den nächsten Wochen das Konzept zur Umstrukturierung ausarbeiten muss.

Schwierige Diskussionsrunde

Bei den Arbeiten des Zentralausschusses vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf ist es kürzlich recht "harzig" zugegangen. Richtig voran kamen die 158 Delegierten und Delegierten der 342 Mitgliedskirchen zunächst nur mit der Aussage, dass christliche Wachsamkeit gegen jede Form von Rassismus auch nach dem Ende der Apartheid in Südafrika weiter nötig ist.

Eine ganze Flut von Festlegungen in politischen Fragen folgten. In diesem Bereich liegen anscheinend die Hauptprobleme dieses in seinem 55-jährigen Bestehen oft recht weltlich und unkirchlich gewordenen Kirchenrates. Dazu kommt die Problematik, dass der ÖRK paradoxerweise unter den Folgen der Wende im Ostblock leidet: Waren die - vorwiegend orthodoxen - Kirchen unter kommunistischer Herrschaft dankbar für das Forum in und jede Hilfe aus Genf, so sind sie mit der neuen Freiheit oft recht selbstbewusst oder gar selbstherrlich geworden und wollen nur mehr wenig von ökumenischer Brüderlichkeit wissen.

Uneinigkeit Trumpf

Schon weniger einig konnte man sich daher im Grossen Sitzungssaal des Ökumenischen Zentrums, das in nächster Nachbarschaft zu den anderen internationalen Organisationen am Genfer See liegt, über die Folgen des 11. September 2001 werden: Ist die "neue Terrorwelle" wirklich eine Folge der - wie sich die griechische Theologin Anastasia Vassiliadou ausdrückte - "unheiligen" Globalisierung? Und bezüglich der Hauptthemen beim diesjährigen Treffen des Leitungsgremiums des Weltkirchenrats, der schwer angeknackten Finanzen und der von den orthodoxen Mitgliedern geforderten Strukturreform, war fast bis zum Ende Uneinigkeit Trumpf.

In finanzieller Hinsicht haben der Mitgliederschwund und damit der Verlaust an Einnahmen in fast allen christlichen Gemeinschaften ihre deutlichen Auswirkungen auf die ökumenische Dachorganisation. 2001 erwirtschaftete der Weltkirchenrat einen Fehlbetrag von sechs Millionen Franken, mindestens dasselbe Loch tut sich im 56-Millionen Franken Budget für dieses Jahr auf.

Deutschland nicht überlasten

Die Ausschussmitglieder sollten ein Sparprogramm von über sieben Millionen Franken erstellen, um den ökumenischen Haushalt nur halbwegs wieder ins Lot zu bringen. Sparen ist nämlich der einzige Ausweg: Bei jedem anderen Sanierungsversuch der ins Schleudern geratenen Ökumenismus-Finanzen würden zwangsläufig vor allem die deutschen Mitgliedskirchen des ÖRK zur Kasse gebeten: Sie tragen bereits 34 Prozent der Gesamtkosten. Und das sind nur Deutschlands Evangelische Kirchen sowie die kleine Gemeinschaft der Altkatholiken.

Die katholische Kirche hält sich noch immer offiziell und finanziell vom Genfer Kirchenrat fern. Sie war diesmal nur durch zwei Beobachter vertreten, die immerhin eine Grussbotschaft von Einheits-Kardinal Walter Kasper aus Rom überbrachten. Fett wird davon aber niemand. So musste ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser in seinem Grundsatzreferat vor dem Zentralausschuss ein recht dramatisches Bild zeichnen. Das nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch bezüglich der personellen Entwicklung in den Mitgliedskirchen. Die christliche Jugend sei kaum noch für die Vision der Einigung ihrer Kirchen zu begeistern.

Erstürmung des Saals

Wenigstens diese düstere Prognose hat sich aber dann gerade während des so schwierigen Ringens um die Sicherung der gefährdeten orthodoxen Mitarbeit in Genf wieder aufgehellt. Dabei machte jedoch der von einer Schlichtungskommission erarbeitete Text zur Überwindung der Vertrauenskrise der orthodoxen Ostchristen mit dem ÖRK mindestens ebenso grosse Schwierigkeiten wie das Sparprogramm. Vergebens versuchten einerseits der deutsche evangelische Bischof Rolf Koppe und auf Seite der Orthodoxen Erzbischof Anastasios von Albanien die erregten Gemüter zu beruhigen. Als die Debatte einfach kein Ende nehmen wollte und die zu ihrem Abschluss eingeladenen Jugendlichen draussen vor der Tür zu bleiben drohten, drangen diese einfach in den Saal und entzogen dort mit ihren Sprechchören den vorwiegend älteren Herren das Wort, die sich über den Wünschen der Orthodoxen in den Haaren lagen. Die Jüngeren forderten eine lebendige, zukunftsweisende Ökumene, die alle Menschen, ja die ganze Schöpfung auch ökologisch einbezieht.

"Assoziierte Kirchen"

Schliesslich hat der Zentralausschuss den Bedingungen der Ostkirchen für ihre weitere Mitarbeit doch noch entsprochen. Sie sollen künftig bei Grundsatzabstimmungen nicht länger einfach von der reformatorischen Mehrheit überstimmt werden. Es wird zudem auch eine neue Form der Mitgliedschaft. Neben Vollmitgliedern mit Sitz und Stimme im ÖRK wird es dann die neue Kategorie "Assoziierte Kirchen" geben. Damit will der ÖRK dem jeweiligen Kirchenverständnis bei seinen Mitgliedern besser gerecht werden.

Die bisherige Kategorie "angeschlossene Mitgliedschaft" für Kirchen mit Beobachterstatus soll aufgehoben werden und die Mindestmitgliederzahl für Kirchen, die dem ÖRK als selbständige Kirchen angehören wollen, soll von 25 000 auf 50 000 erhöht werden. Die gegenwärtig 342 Mitgliedskirchen des Rates bleiben von den Neuregelungen unberührt. Schluss soll auch mit der bisher oft recht "wilden" Gottesdienst- und Gebetsgemeinschaft unter den Mitgliedern sein. An ihre Stelle wird ein behutsameres gemeinsames Beten, Fürbitten und Gotteslob treten.

All diese heiklen Punkte hatten bisher auch die Mitgliedschaft der Katholischen Kirche im ÖRK verhindert. Was nun die Orthodoxen um den Preis vehementer evangelischer und besonders evangelikaler Kritik durchgesetzt haben, könnte so auch den Weg Roms nach Genf ebnen. Ein katholischer Beitritt würde ausserdem die finanziellen Nöte des Oekumenischen Rates mindern und lindern.

Kommentar

Wolfgang Polzer

„Mrs. Ökumene“, wie die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann auch genannt wird, hat die Brocken im Weltkirchenrat hingeschmissen. Ihr Auszug aus dem Zentralausschuss, dem sie seit fast 20 Jahren angehörte, ist ein besonders spektakuläres Zeichen für den Niedergang der Dachorganisation von heute 342 evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen. Geistlich, sozialethisch und finanziell hat der 1948 gegründete Dachverband unter der neunjährigen Ägide des deutschen Theologieprofessors Konrad Raiser einen Tiefpunkt erreicht.

Finanziell steht der Weltkirchenrat vor der Pleite. Obwohl gerade Raiser nicht müde wird, das Weltfinanzsystem als Wurzel allen Übels zu schelten, hat seine Organisation ihr Geld in Aktien angelegt - und dabei wie viele andere schwere Verluste hinnehmen müssen. Jetzt soll sogar die Genfer Zentrale mit einer Hypothek belastet werden. Und obwohl die Industrienationen seit Jahrzehnten als Sündenböcke gelten, schämt man sich nicht, fast ausschliesslich von ihrem Geld zu leben. Knapp 98 Prozent der Beitragseinkünfte kommen aus Nordamerika und Europa, ein Drittel allein aus Deutschland - und damit aus Kirchensteuern, die nur dann üppig fliessen, wenn es der Wirtschaft gut geht. Trotz eindringlicher Appelle ist es dem Weltkirchenrat nicht gelungen, die Mehrzahl seiner Kirchen dazu zu bewegen, Mitgliedsbeiträge zu zahlen, eine Selbstverständlichkeit in jedem Kaninchenzüchterverein. Auch die orthodoxen Kirchen in Ost- und Südosteuropa, die ganze Nationen als Mitglieder für sich reklamieren, zahlen keine Kopeke - was Frau Käßmann angesichts der hochgesteckten Forderungen der Orthodoxen verständlicherweise erzürnt.

Orthodoxe kontra Frauen im Talar

Realistisch betrachtet ist die kirchliche Einheitsbewegung noch nicht weit gekommen, denn nach den langwierigen Beratungen der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im Weltkirchenrat - unter Mitvorsitz des EKD-Auslandsbischofs Rolf Koppe - wird deutlich, wie seicht das Wasser der Gemeinsamkeiten ist, durch das das Schiff „Ökumene“ treibt. Die orthodoxen Kirchen - zwei haben das Schiff schon verlassen - sehen die evangelischen nicht als gleichwertige Kirchen an (auch die römisch-katholische tut das nicht) - und schon gar nicht ihre Amtsträgerinnen im Talar. Das wurmt Bischöfin Käßmann, die fragt, warum sie ohne Probleme bei Gottesdiensten (ohne Abendmahl) mit katholischen Bischöfen in Deutschland mitwirken kann, dies ihr aber nach den Vorschlägen der Sonderkommission künftig im Weltkirchenrat verwehrt sein soll. Welche Bedeutung hat dann „Ökumene“ noch, für die das Herz der Landesbischöfin schlägt?

Als 25jährige hatte sie 1983 bei der Vollversammlung im kanadischen Vancouver - ja, der mit dem Totempfahl - ihre Initiation erlebt. Seither sind für sie die Gottesdienste das „Herzstück“ der Ökumene. Deshalb grämt sie sich, dass diese nun durch „konfessionelle“ bzw. „interkonfessionelle“ Gebetsveranstaltungen (Common Prayer) ersetzt werden sollen, wobei niemand so recht zu sagen weiss, was man sich darunter vorzustellen hat. Ob man allerdings den „ökumenischen Gottesdiensten“ so sehr nachweinen sollte, wie es Frau Käßmann tut, ist fraglich. Denn nicht selten waren sie - nicht nur aus orthodoxer Sicht - ein Ausbund der Religionsvermischung. Erinnert sei nur an den Auftritt der Koreanerin Chung Hyun Kyung auf der Vollversammlung 1991 in Canberra (Australien). Dort beschwor die „buddhistische, schamanistische, feministische Christin“ koreanische Ahnengeister. Auch Frau Käßmann Vorgänger im Bischofsamt, Horst Hirschler, hatte das gerügt. Geistlich könnte es also mit neuen Andachtsformen zumindest nicht schlechter werden.

Beschädigte Glaubwürdigkeit

Auch in der Entscheidungsfindung ist das Abrücken vom demokratischen Abstimmungssystem zu einem Konsensverfahren grundsätzlich positiv zu bewerten. Aus geistlicher Sicht ist Einmütigkeit immer Kampfabstimmungen vorzuziehen - wenn denn wirklich Einmütigkeit vorhanden ist. Und da sind Zweifel angebracht. Auch ist zu fragen, warum sich der Weltkirchenrat dem Druck der orthodoxen Kirchen immer so weit beugen muss. In der Zeit des Kalten Krieges hatte sich „Genf“ zum grossen Schaden seiner Glaubwürdigkeit dazu verleiten lassen, über die Christenverfolgung in kommunistischen Diktaturen den Mantel des Schweigens zu breiten, während man die Vergehen im Westen - insbesondere die Apartheid - an den Pranger stellte und selbst gewaltanwendende Bewegungen aus dem Antirassismusfonds unterstützte. Seit den Jahren dieses Kampfes ist die Stimme „Genfs“ in der Welt immer leiser geworden. Während dem alten, gebrechlichen Papst Millionen junger Leute zujubeln und seine unpopulären Ansichten über Moral Schlagzeilen machen, verschwinden die immer gleichen Verlautbarungen aus Genf unter „Ferner liefen“. Dabei hat unsere von Terror, Ungerechtigkeit, Armut, Hunger, religiösem Wahn, Verweltlichung, Materialismus und Orientierungslosigkeit geplagte Welt die christliche Stimme bitter nötig. Aber woher soll sie kommen, wenn die gemeinsame Glaubensgrundlage fehlt?

Allianz-„Ökumene“ verheissungsvoller

Vielleicht hat ja die ein Jahrhundert ältere „ökumenische“ Bewegung, die Evangelische Allianz, doch den verheissungsvolleren Weg eingeschlagen - nämlich sich zuerst auf die geistlichen Grundlagen zu einigen: den Glauben an Jesus Christus als den persönlichen Heiland, die Bibel als verbindliches Gottes Wort, die Notwendigkeit von Mission und Evangelisation und die Freude auf den wiederkommenden Christus. Allerdings, so muss man ehrlicherweise bekennen, Streit gibt es auch unter Evangelikalen, und von Irrwegen werden auch sie nicht verschont. Eine starke Stimme haben sie schon gar nicht. Aber kommt es darauf wirklich an, wenn Gott in den Schwachen mächtig ist?

Datum: 19.09.2002
Quelle: KIPA

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