"Jüdischer Schrein" ist Grabmal des Vaters von Johannes dem Täufer

Der Archäologe Joe Zias.

Jerusalem. Ein seit Jahrhunderten als jüdisches Heiligtum verehrtes Monument in Jerusalem hat sich jetzt als Grabmal für den Vater von Johannes dem Täufer entpuppt. Einem Bericht der Tageszeitung "Haaretz" zufolge entzifferte der Archäologe Joe Zias eine bisher praktisch unlesbare Inschrift in neun Metern Höhe, die das Monument als "Grabmal des Zacharias, des Märtyrers, Hohen Priesters (...) und Vater des Johannes (des Täufers)" ausweist.

Stark verwitterte Inschrift

Bisher waren Archäologen und gläubige Juden davon ausgegangen, dass es sich bei dem Stein im Jerusalemer Kidron-Tal um ein Monument für Absalom, den Sohn König Davids, handelte, der etwa 1.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung lebte.

"Absalom aber hatte sich eine Säule aufgerichtet, als er noch lebte; die steht im Königsgrund. Denn er sprach: Ich habe keinen Sohn, der meinen Namen lebendig erhält. Und er nannte die Säule nach seinem Namen, und sie heisst auch bis auf diesen Tag ,Absaloms Mal'." Auf diese Stelle im 2. Buch Samuel (18, 18) gründet sich die Interpretation eines 20 Meter hohen Denkmals im Jerusalemer Kidron-Tal als "Yad Avshalom", als Monument für den Sohn Davids, der sich gegen seinen Vater auflehnte. Jüdische, christliche und auch moslemische Pilger pflegten in ritualisierter Empörung kleine Steine auf den Stein zu werfen.

Archäologen freilich datieren das Monument ins erste Jahrhundert n. Chr., zirka 1000 Jahre nach David und Absalom, die beide ausserbiblisch nicht bezeugt sind. Den neuesten Erkenntnissen zufolge wurde das Grabmal hingegen etwa im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung errichtet, die Inschrift jedoch erst im 4. Jahrhundert angebracht. Wegen Verwitterung war der vor zwei Jahren entdeckte Text praktisch unlesbar geworden. Der Archäologe Zias fand nach dem Aufbau eines Gerüsts jedoch zufällig heraus, dass der 1,20 Meter lange Text nur zu lesen ist, wenn die Sonne in den Sommermonaten vor Einbruch der Dunkelheit den Stein aus einem bestimmten Winkel beleuchtet.

Nun hat, wie die Zeitung "Haaretz" berichtet, Joe Zias, Archäologe in Jerusalem, einen Silikon-Abdruck angefertigt und mit dem Philologen Emile Puech entziffert: "Das ist das Grab von Zacharias, dem Märtyrer, dem Hohepriester, dem Vater des Johannes."

Nach Lukas (1, 5) war Johannes der Täufer ein Sohn des Priesters Zacharias. Doch die Inschrift stammt laut Puech aus dem vierten Jahrhundert, sei also 300 Jahre nach Errichtung des Denkmals aufgebracht worden. Damals, in byzantinischer Zeit, war es offenbar ein christliches Heiligtum. Für Verwirrung sorgt, dass in der Nähe die "Pyramide des Zacharias" steht: Diese wird aber von Gläubigen dem Propheten Zacharias zugeordnet, der laut 2. Chronik (24, 21) auf Befehl des Königs Joas gesteinigt wurde.

Puech, auch an der Entzifferung der Qumran-Rollen beteiligt, meint in einer weiteren Zeile den Namen "Simon" zu sehen: So hiess laut Lukas 2, 25 ein Mann, der das Jesuskind als Messias identifizierte. Laut christlicher Überlieferung des vierten Jahrhunderts wurden Zacharias, Simon und Jakob, ein Bruder Jesu, gemeinsam im Kidron-Tal begraben. Das Wort "Märtyrer" liesse sich mit einer Stelle bei Josephus erklären, nach der ein Priester namens Zacharias ermordet und ins Kidron-Tal geworfen wurde.

Quellen: Haaretz/Print-Presse/dpa/NZZ

Datum: 24.07.2003

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