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Hannas war in Jerusalem eine graue Eminenz. Das Amt des Hohenpriester war nicht mehr auf Lebenszeit. In den 107 Jahren vom Regierungsantritt des Grossen bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Römer hatte es nicht weniger als 28 Hohepriester gegeben. Das lag daran, dass die Römer missliebige Priester willkürlich durch Kandidaten ihrer Wahl ersetzten. Hannas selbst konnte sich neun Jahre im Amt halten, und nach ihm gelangten noch fünf seiner Söhne auf den Posten. Einer allerdings überflügelte Hannas: Kajaphas. Der schaffte das Kunststück, 19 Jahre Hoherpriester zu sein. Trotzdem blieb das Amt quasi in der Familie. Kajaphas war nämlich der Schwiegersohn des Hannas.
Beide gehörten zu den Sadduzäern. Diese Partei hatte einen zahlenmässig schwachen Anhang, ihre Mitglieder nahmen aber überproportional viele hohe Positionen im Tempel ein. Trotzdem war ihre Machtbasis brüchig. Im Volk genossen sie nur wenig Sympathien, von den Römern wurden sie eher geduldet als geschätzt. Rom gab ihnen ganz einfach deshalb den Vorzug, weil sie in der Regel nicht religiöse Fanatiker waren, sondern Pragmatiker und Kompromissler. Um ihren Einfluss zu behalten, war den Sadduzäern an Ruhe und Ordnung gelegen. Kam es zu einem Aufstand, konnten sie nur verlieren. Gewannen nämlich die Aufrührer, würde das Volk diesen nachlaufen. Behielten hingegen die Römer die Oberhand, erging der Vorwurf an die führenden Sadduzäer, sie hätten das Volk nicht im Griff. Genau entlang dieser Linie dachte Kajaphas, als er schon vor dem Prozess den Rat erteilte, es sei besser, Jesus als Einzelnen zu beseitigen, "als wenn das ganze Volk vernichtet würde".
Und dieser selbe Kajaphas leitet jetzt den Prozess gegen Jesus vor dem Hohen Rat. Nachts. Die Nacht des Pessach, Gedenknacht der Befreiung aus Ägypten. - Das mosaische Gesetz verbot, ein Todesurteil zu fällen, "wenn nicht mindestens zwei Zeugen für die Tat vorhanden sind". Genau das versuchten die Ankläger, aber sie schafften es nicht. Obwohl Jesus nicht einmal den Versuch unternahm, sich zu verteidigen. Es war Kajaphas, der die entscheidende Prozessphase einleitete. Er fragte: "Bist du der versprochene Retter? Bist du der Sohn Gottes?" Jesus bejahte. Der Hohe Rat befand diese Aussage als todeswürdige Gotteslästerung.
Am folgenden Morgen kam es zum zweiten Prozess, diesmal vor dem römischen Prokurator der Provinz Judäa. Pontius Pilatus entstammte dem römischen Ritterstand (dem höchsten nach dem Senatorenstand), welchem nur ein Prozent aller römischen Bürger angehörten. Auch Pilatus war Karrierist. Vom ersten Moment seiner Statthalterschaft an demonstrierte er römische Macht und Sitten. Er liess die Feldzeichen seiner Legionäre - auf denen das Bildnis des Kaisers angebracht war - nach Jerusalem bringen. Darüber erzürnten sich die Juden. Die Stadt hielt nämlich ein striktes Bilderverbot ein. Für die Juden galt der Mensch als geschaffen nach dem Bilde Gottes, und von Gott durfte man sich kein Abbild machen. Dieses eine Mal gab Pilatus nach und entfernte die Feldzeichen. Aber schon bald liess er eine 70 Kilometer lange Wasserleitung bauen und finanzierte sie - aus dem Jerusalemer Tempelschatz. Mehrmals liess Pilatus Tumulte und Aufstände blutig niederschlagen. In den Augen der Juden war er ein Unterdrücker und Provokateur, ein Mann den man gerne losgeworden wäre.
Für Pilatus war die Lage heikel. Die römischen Kaiser verlangten von ihren Statthaltern vor allem zwei Dinge: Ruhe in den Provinzen und hohe Steuererträge. Aufstände bedeuteten, dass die militärischen Ausgaben stiegen und die Steuerkraft im betroffenen Gebiet zurückging. Judäa war ein heikles Pflaster. Wegen religiösem Fanatismus lag ständig ein Revolte ständig in der Luft. Gab sich Pilatus autoritär, provozierte er damit vielleicht diesen Aufstand, übte er Nachsicht, sahen womöglich irgendwelche Rebellen die Stunde gekommen, das verhasste römische Joch abzuschütteln. Ausserdem musste Pilatus damit rechnen, dass man seine politischen Fehler ausnützen würde, um ihn vor dem Kaiser in Rom wegen schlechter Amtsführung anzuklagen. Ein Schicksal, das ihm nach 10-jähriger Amtszeit tatsächlich widerfahren sollte.
Für Jesus, einen Nicht-Römer, war Pilatus bereits die letzte Instanz. Vom unanfechtbaren Todesurteil bis zum Freispruch war alles möglich. Der Prozess begann, wurde aber nach einem seltsamen Verfahren durchgeführt. Kajaphas und die führenden Juden - im ersten Prozess Richter, jetzt Ankläger - wollten den Palast des Pilatus, eines Heiden nicht betreten. Andernfalls hätten sie sich rituell verunreinigt und sicher der Möglichkeit beraubt, das Pessach-Fest zu feiern. Pilatus hörte sich also die Anklage draussen vor seinem Palast an und ging dann zur Befragung des Angeklagten ins Innere zurück. Nach Abschluss der "Beweisaufnahme" kommt er bei sich zu folgenden Schlüssen: 1) Die führenden Juden haben Jesus aus persönlichen Motiven angeklagt, 2) es gibt keinen (oder zumindest keinen genügenden) Grund für eine Kapitalstrafe wegen Volksverhetzung, und 3), was den Anklagepunkt der Gotteslästerung betrifft, so weist er ihn zurück als Straftatbestand, den lediglich das jüdische Gesetz in dieser Form kennt.
Damit hätte einem Freispruch eigentlich nichts mehr im Weg gestanden, wäre Pilatus nicht gezwungen gewesen, nochmals hinaus vor seinen Palast zu treten. Dort war man keineswegs bereit, sein Urteil zu akzeptieren. Der Richter kam nicht heraus zur Verkündigung des Urteils, er kam regelrecht zu dessen Verteidigung. Der psychologische Vorteil lag nicht bei Pilatus, sondern bei den führenden Juden. Sie wussten nicht nur fast das gesamte Publikum hinter sich, sondern machten aus der erregten Volksmenge ein Druckinstrument. Der Richter begann zu wanken. Erst bot er die Freilassung des Angeklagten als Festgeschenk an, dann seine Geisselung. Es blieb nicht dabei. Die Volksmenge, die Jesus fünf Tage zuvor noch mit "Heil"-Rufen enthusiastisch empfangen hatte, war nun entschlossen, ihn hängen zu sehen. Als sie die Loyalität des Richter gegenüber seinem Kaiser in Frage stellte, war der letzte Widerstand des zögernden Pilatus gebrochen. Das Todesurteil wurde unterschrieben und vollstreckt.