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Georges Scherrer: Als der Film "Stirb an einem anderen Tag" im Jahr 2002 erschien, ging ein Raunen durch die "James Bond"-Gemeinde: Der Geheimagent 007 ihrer Majestät wurde in einem nordkoreanischen Gefängnis gefoltert. Im Detail und auch in Zeitlupe wurden die Szenen gezeigt. Hollywood hat unter anderem mit Actiondarstellern wie Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger den geschundenen Körper auf der Leinwand hoffähig gemacht. Gibt es in der Darstellung von exzessiver Gewalt im Film heute keine Tabugrenze mehr?
Thomas Binotto: Seit Jahren kann man beobachten, dass im populären Kino diese Tabugrenze kontinuierlich sinkt. Im erwähnten James-Bond-Film war das besonders auffallend, weil Bond bislang auch die härtesten Actionszenen immer mit tadellos sitzender Kleidung hinter sich brachte. Die Bond-Macher haben anscheinend das Vertrauen in ihren "sauberen“ Helden, der durch Dreck geht und sich dabei nicht schmutzig macht, verloren und ihn den anderen Actionhelden angeglichen. Aber schon spätestens seit "Die Hard" (Stirb brutal) mit Bruce Willis in der Hauptrolle aus dem Jahr 1987 feiert der sichtlich gequälte und geschundene Held im populären Actionkino Erfolge.
Was auf der Leinwand zu sehen ist, läuft indes einher mit dem, was beispielsweise in den täglichen TV-Nachrichten gezeigt wird. Was in einer durchschnittlichen Tagesschau heute an Brutalität, an toten und leidenden Körpern zu sehen ist, hätte vor zwanzig Jahren mit Sicherheit Entrüstungsstürme ausgelöst.
Ist diese Entwicklung zu immer brutaleren Bildern in Kino und Fernsehen Pate gestanden für die Gewaltdarstellung, wie sie nun in Mel Gibsons "Die Passion Christi" zu sehen ist?
Einer von Gibsons Co-Autoren des Drehbuchs sagte, in einer Welt, in der so viel Gewalt gezeigt werde, müsse diese noch gesteigert inszeniert werden, damit man überhaupt noch Aufmerksamkeit erregen könne. Diese Aussage ist einerseits sehr zynisch, andererseits vermutlich aber auch äusserst ehrlich. Sie sagt im Kern nichts weiter, als dass Jesus alle anderen Actionhelden übertreffen müsse, um überhaupt noch Interesse auszulösen.
Was den Umgang mit Gewaltdarstellungen im besonderen Fall von "Die Passion Christi"angeht, muss sicher berücksichtigt werden, dass es hier um Jesus geht. Gibson hat für seinen Film lange keinen Verleiher gefunden. Offenbar gibt es in dieser speziellen Hinsicht also doch noch Tabus.
Wird Hollywood Filme mit noch brutaleren Szenen produzieren?
Nicht zwangsläufig. Möglich ist aber, dass weitere Filme zu religiösen Themen in diesem Stil gedreht werden. Neu an Gibsons Film ist nicht die Gewaltdarstellung an sich, sondern die Verbindung von extensiver Gewalt mit der Gestalt Jesu - offenbar nach dem Motto: Der gute Zweck heiligt die brutalen Mittel. Es gibt bereits Gerüchte, dass Gibson den Makkabäer-Aufstand verfilmen will. (Der in apokryphen, von vielen Kirchen nicht anerkannten Schriften zum Alten Testament geschilderte Aufstand der Juden wird am jüdischen Fest Chanukka gefeiert.) Nach dem kommerziellen Erfolg von "Die Passion Christi"wird es mit Sicherheit zu Nachfolgeprodukten kommen, ich glaube aber nicht, dass damit eine ganze Welle von derartigen Filmen ausgelöst wird.
Hat "Die Passion Christi" generell die Hemmschwelle von Gewaltdarstellung im Kino niedriger gesetzt?
Das glaube ich nicht. Ein einziger Film vermag das nicht. Vielmehr muss man die allgemeine Entwicklung in der amerikanischen und europäischen Gesellschaft genau verfolgen. Die ganze Reality-TV und die sogenannten "Ekel-Shows" beispielsweise, wie sie nun auch in Europa Einzug halten, haben meiner Meinung nach einen grösseren Einfluss.
"Die Passion Christi" wird aber einer Brutalisierung der Bilder kaum Einhalt gebieten…
Die Diskussion darüber, was überhaupt gezeigt werden darf, wo die Grenzen sind, ist nicht neu. Früher haben Kirchenvertreter oft Tabus in der Darstellung von Gewalt mit dem Argument verteidigt: So etwas darf man aus Gründen der Pietät und der Menschenwürde nicht zeigen. Ich bin grundsätzlich immer noch dieser Meinung und opponiere unter anderem deshalb gegen diesen Film. Auch wenn es um das Leiden Jesu geht, und ich dieses nicht verharmlosen will, gehört dieses Ausmass an Gewalt nicht auf die Leinwand.
Gegen die USA wird der Vorwurf gerichtet, die dortige Gesellschaft sei brutalisiert. In keinem anderen industrialisierten Land kommen prozentual gesehen so viele Menschen durch Schusswaffen ums Leben wie in den USA. Ist "Die Passion Christi" Ausdruck dieser Gesellschaft, die Probleme durch Gewalt lösen will?
Wir sollten keinem Klischeebild der USA verfallen! Die Politik von Präsident Bush hat auch in den USA viele Gegner und Mel Gibson ist nur einer unter vielen Filmemachern. Bei weitem nicht alle Amerikaner haben sich durch diesen Film ansprechen lassen. Und viele amerikanische Regisseure pflegen in ihren Filmen einen viel differenzierten und subtileren Umgang mit Gewalt. Erst in ein paar Jahren wird sich wohl zeigen, ob "Die Passion Christi" nach seinem kurzfristigen Erfolg auch eine langfristige Wirkung haben wird. Ich persönlich glaube es nicht. Dafür ist er schlicht zu einfach gestrickt. Einen Film wie beispielsweise "Das Schweigen der Lämmer“ von Jonathan Demme halte ich immer noch für viel verstörender, weil er Ängste in die Köpfe der Zuschauer verpflanzt. Blut und Brutalität alleine genügen nicht, um einen eindrücklichen Film zu machen.
Gibson behauptet allerdings, sein Film zeige die Passion genauso, wie sie wirklich passiert sei.
Dafür hat er ja sogar den Papst als Botschafter bemüht, mit dem Satz "Es ist, wie es war.“ Einmal abgesehen davon, dass ich nicht glauben mag, dass der Papst diesen Satz wirklich gesagt hat, ist schon das Dementi des Vatikans bezeichnend genug. Man ist sich dort offensichtlich bewusst, dass der Anspruch, die Passion absolut historisch korrekt und evangelientreu zu verfilmen, niemals eingelöst werden kann. Film wird immer Fiktion bleiben. Kein Mensch kann von sich behaupten, Jesus ganz und gar erkannt zu haben.