Das Sehen

  Der Sehsinn ist die staunenerregende Fähigkeit, von Gegenständen ausgehende elektromagnetische Wellen so umzuformen, dass wir in unserer Umwelt Farben und Formen wahrnehmen. Beim einfachen Hinschauen sind wir uns nicht der Milliarden Schaltungen bewuss t, die unser Gehirn in Zusammenarbeit mit den Augen leisten muss, damit wir die Buchstaben auf diesem Papier wahrnehmen können. Das menschliche Auge ist eine kombinierte Maschine aus Fotoapparat, Filmkamera und Belichtungsmesser. Es hat eine Autofokus-Einrichtung, eine Weitwinkel- sowie eine Zoomlinse und liefert vollfarbige Sofortbilder. Man hat das Gehirn einen Zauberwebstuhl genannt, der die von den Stäbchen und Zapfen (die lichtempfindlichen Rezeptoren im Auge) kommenden Signale zu einem Gobelin verwebt, der genau das abbildet, was draussen vor dem Auge steht. 1 Unser Auge kann Entfernungen berechnen - das ist äusserst notwendig für alle, die Auto fahren, besonders aber für Piloten, damit sie das Flugzeug sicher wieder auf den Boden bringen. Auf den ersten Blick scheinen diese Sinnesorgane recht einfache Bestandteile unseres Körpers zu sein, doch gibt es da eine schier unzählbare Menge von Sinneszellen: sechs Millionen Zapfen zum Farbensehen und etwa 110 Millionen Stäbchen. Diese Stäbchen wiederum enthalten jeweils Millionen von Molekülen des lichtempfindlichen Stoffes Rhodopsin, dessen chemische Umwandlung selbst bei schwächster Beleuchtung noch etwas erkennen lässt. Dem Gehirn liefert das menschliche Auge auf dem Kopf stehende Bilder; aber unser Verstand kommt uns zur Hilfe und dreht sie uns richtig herum. Hat man einen Gegenstand betrachtet und schaut dann weg, so dass man ihn nicht mehr sieht, so ist die Hand doch in der Lage, diesen zu berühren. Um das zu ermöglichen, arbeitet das Sehen mit dem Gedächtnis zusammen. Doch die Wissenschaft kann nicht einmal diese einfache Fähigkeit restlos verstehen. Eine vollständige Erklärung des Wunders des menschlichen Augenlichts entzieht sich der Wissenschaft. Man nennt es zu Recht den "heiligen Gral der Sehforschung". Das Hören Uns bleibt nur das Staunen, wenn wir bedenken, wie das Innenohr Worte in Form von Schallwellen empfängt, diese dann in Nervenimpulse umwandelt und diese wiederum zum Gehirn transportiert. Dort, in der linken Hirnhälfte, befindet sich das Sprachzentrum. Doch die Menschen wissen das Hörvermögen meistens gar nicht zu schätzen - bis sie es verloren haben. Man denke nur an den wunderbaren Filtermechanismus, der es einer Mutter erlaubt, beim Schlafen das raue Schnarchen ihres Mannes zu überhören, jedoch sofort hellwach zu sein, wenn das Baby im Nebenzimmer leise zu weinen beginnt. Eines Nachts wurde ein Vater durch das Telefon geweckt. Beim Aus-dem-Bett-Steigen trat er auf ein Spielzeug und fiel mit lautem Gepolter hin. Seine Frau schlief ruhig weiter. Als der Mann noch am Boden lag, ertönte ein leises Husten aus dem Babyzimmer. Sofort war die Mutter wach und lief zu ihrem Kind. Auf dem Rückweg sah sie ihren Mann vor dem Bett liegen und fragte ihn: "Was treibst du denn da auf dem Fussboden? " In den Ohren befindet sich auch das Gleichgewichtsorgan. Wenn dieses nicht funktioniert, beginnt die Welt um uns herum zu kreisen; uns wird schwindlig. Die Sprache Das Sprechen ist uns fast so selbstverständlich wie das Atmen. Aber wie bewerkstelligen wir es? Man kann ein ganz normales Leben führen, ohne jemals etwas vom Sprechvorgang gelernt oder verstanden zu haben. Trotzdem werden wir uns hier einige Details anschauen: Wenn wir etwas sagen wollen, so schickt unser Gehirn einen Befehl an die Lungen, damit sie Luft herauspressen. Die Luft steigt durch die Luftröhre in den Kehlkopf und bringt die Stimmbänder zum Schwingen. Wollen wir in einer höheren Stimmlage sprechen, so befiehlt unser Gehirn bestimmten Muskeln, die Stimmbänder zu straffen. Werden die Bänder lockerer gelassen, so senkt sich die Stimme. Natürlich müssen auch Lippen, Zunge, Kiefer und Zähne zu verständlichem Sprechen und (hoffentlich) schönem Gesang mitwirken. Der Tastsinn Haben Sie einmal über das Wunderwerk Ihrer Haut nachgedacht? Sie verwehrt dem Wasser das Eindringen, aber sie lässt Flüssigkeit nach aussen. Sie verleiht Ihnen das Unterscheidungsvermögen, ob Sie ein oder zwei Stücke Papier in der Hand halten. Sie empfindet und misst nicht nur Druck und Schmerz, sondern auch Kälte und Wärme. Das Händeschütteln, das Küssen - all diese Erregungen unseres Tastsinns sind für unser Wohlbefinden wesentlich. Die Haut ist das grösste "Organ" unseres Körpers - ein Geburtstagsanzug, der für uns das ganze Leben lang passend bleibt. Er wiegt durchschnittlich drei Kilogramm, bedeckt eine Fläche von etwa zwei Quadratmetern, bei kleinen Menschen weniger, bei grossen mehr. Wir können froh sein, dass die Haut so ausserordentlich elastisch ist und darüber hinaus mittels vieler Millionen Sinneszellen unzählige Empfindungen registriert. Der Geruch Der Mensch kann im Normalfall 4 000 schätzungsweise verschiedene Gerüche unterscheiden. Einige Experten bringen es sogar auf 10 000! Aber das ist nichts, womit man angeben könnte. Ein Hund übertrifft uns bei weitem. Ein Drittel seines Gehirns ist dem Riechen vorbehalten. Darum kann man Hunde zur Fährtensuche und zur Verbrecherjagd einsetzen. Sie haben ein so ungeheuer gutes Geruchsvermögen, dass sie Düfte unterscheiden können, die selbst in Laborversuchen nicht mehr zu trennen sind. Wirklich erstaunlich ist, dass wir uns an Gerüche erinnern können, die wir seit Kindertagen nicht mehr wahrgenommen haben. Wie kann ein bestimmter Geruch derart lange im Gehirn gespeichert bleiben? Manche Gerüche erregen unseren Speichelfluss, auf andere reagieren wir schlichtweg mit einem "Pfui! ". Die Hand Nichts ist so behände wie die Hand. Stellen Sie sich vor, man würde eine Liste mit allen Aufgaben erstellen, die die menschliche Hand ausführen muss. Gäbe man diese Liste dann in ein Computerprogramm ein, das anhand dieser Vorgaben ein Werkzeug konstruieren soll, welches all diese Tätigkeiten bestmöglichst beherrscht, so würde der Computer als Ergebnis genau die Reproduktion einer Menschenhand ausgeben. Die Hand ist so wichtig, dass für sie im Gehirn ein eigenes Areal reserviert ist. Die Finger hingegen werden von einem anderen Hirngebiet aus gesteuert. Fortsetzung: Das Gehirn
Sehen

1 Mit Erlaubnis aus How Color Affects Your Mood and Health von Lowell Ponte, Readers Digest, Juli 1982.

Datum: 13.10.2006
Autor: William Mac Donald
Quelle: Ein Gott der Wunder tut

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