Wie Gott liebt

Rahab – Annahme, die alle Grenzen sprengt

Bedingungslose Annahme hört sich gut an. Doch bei uns findet solche Annahme manchmal schon ihr Ende, wenn sie mit unseren Annehmlichkeiten kollidiert. Ausgerechnet ein alter Text aus dem Ersten Testament in der Bibel unterstreicht sehr deutlich, wie grenzüberschreitend Gott Menschen annimmt. Menschen wie Rahab. Menschen wie dich und mich.
Die Liebe und Annahme ist grenzenlos.
Annahme und Liebe die Grenzen sprengt

Das Volk Gottes steht gerade an einem Wendepunkt – und das ist jedem bewusst. Die Gefangenschaft in Ägypten ist vorbei. Die 40-jährige Wanderung in der Wüste ist abgeschlossen. Aber eine echte Zukunft ist noch nicht in Sicht. Okay: in Sichtweite schon, aber eben unerreichbar. Denn das sogenannte «verheissene Land» ist bewohnt und befestigt. In dieser Lage schickt Josua, der Anführer der Israeliten, zwei Kundschafter ins Land. Ihr Undercover-Einsatz schreibt nicht nur Geschichte und bereitet die Eroberung Kanaans vor. Die Bibel stellt ausserdem Rahab in den Scheinwerferkegel. Sie bleibt eine Nebenfigur in der Handlung, doch mit ihr unterstreicht die Bibel, dass Gott in seiner Annahme von Menschen alle Grenzen sprengt. Und die Auswirkungen davon sind bis heute wesentlich grösser als die durch Jerichos Eroberung.

Gesprengte Gewohnheiten

Es geht damit los, dass die ausgesandten Kundschafter so unauffällig wie möglich nachts nach Jericho hineingehen. «Die Israeliten lagerten zu dieser Zeit in der Gegend von Schittim. Von dort schickte Josua, der Sohn Nuns, heimlich zwei Männer los. Sie sollten das vor ihnen liegende Land auskundschaften, besonders die Stadt Jericho. Die beiden machten sich auf den Weg und erreichten gegen Abend die Stadt. Auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht kamen sie in das Haus einer Prostituierten namens Rahab.» (Die Bibel, Josua, Kapitel 2, Vers 1) Das Normale für Neuankömmlinge in einer Stadt war der Gang ins Tor, wo sich die Verantwortlichen der Stadt trafen, der Gang auf den Marktplatz, wo gehandelt und geredet wurde, oder auch der Gang an eine Haustür, um nach orientalischem Brauch ein Bett für die Nacht zu bekommen. Doch an der Situation der Kundschafter ist nichts normal. Bestimmt gehen sie nicht üblicherweise bei Prostituierten ein und aus. Doch jetzt tun sie es. Ohne Angabe von Gründen. Und Rahab nimmt sie auf. Auch ohne Angabe von Gründen. Die Prostituierte verleugnet sie sogar bei ihre Landsleuten und hilft ihnen bei der Flucht. Und sie lässt sich versichern, dass sie und ihre Familie nicht sterben müssen, sondern am Leben bleiben dürfen, wenn das Volk Israel gewinnt.

Warum gehen die Kundschafter ausgerechnet zu Rahab? Warum handeln sie gegen ihre Gewohnheit und gegen jeden gesunden Menschenverstand? Das Neue Testament schaut viel später auf Rahab und ihre Situation zurück. Und es gibt uns zwei Erklärungen dafür – die allerdings wenig erklären. Im Hebräerbrief, Kapitel 11, Vers 31 wird deutlich, dass Rahab «durch Glauben» gerettet wird. Doch ist ihr Glaube bereits im Vorfeld da? Suchen die Kundschafter in Jericho etwa nach einer gläubigen Hure? Dazu kommt, dass Jakobus zu einem ganz anderen Schluss kommt: «Auch die Prostituierte Rahab ist dafür ein Beispiel. Sie fand bei Gott Anerkennung, weil sie die Kundschafter der Israeliten bei sich versteckte und ihnen auf einem sicheren Weg die Flucht ermöglichte.» (Jakobus, Kapitel 2, Vers 25) Als einzige Erklärung scheint übrigzubleiben, dass Gott diese Frau annehmen will und es deshalb tut. Und damit sprengt er Gewohnheiten, mehr noch: Gesetze.

Gesprengte Gesetze

Als die beiden Kundschafter Rahab versichern: «Wenn ihr uns nicht verratet, stehen wir mit unserem Leben dafür ein, dass euch nichts getan wird. Wenn der Herr uns dieses Land gibt, werden wir unser Versprechen einlösen und euch verschonen» (Josua, Kapitel 2, Vers 14), da klingeln bei ihnen selbst alle Alarmglocken. Was wird Josua sagen? Was das übrige Volk? Denn mit ihrem Versprechen haben sie gerade gegen ein Gebot Gottes verstossen. Ihre Annahme sprengt eines von Gottes Gesetzen. Es ist noch nicht lange her, dass Mose das gesamte Volk zusammengerufen hat, um ihnen einzuschärfen: «Der Herr, euer Gott, wird euch in das Land bringen, das ihr in Besitz nehmen sollt. Dort wird er mächtige Völker vertreiben und euch ihr Land geben: die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter - sieben Völker, die grösser und stärker sind als ihr. Der Herr, euer Gott, wird sie euch ausliefern. Ihr sollt sein Urteil an ihnen vollstrecken und sie töten. Verbündet euch nicht mit ihnen, und schont sie nicht! Geht keine Ehen mit ihnen ein! Verheiratet eure Töchter nicht mit ihren Söhnen, und nehmt ihre Töchter nicht als Frauen für eure Söhne!» (5. Mose, Kapitel 7, Vers 1-6). Das ist deutlich. Und es gilt auch für Rahab. Trotzdem stehen nicht nur die Kundschafter zu ihrem Wort. Josua unterstützt sie. Und letztlich auch Gott. Denn die Geschichte von Rahab zeigt deutlich, dass eine scheinbar biblische Regel in Wirklichkeit kein absoluter Massstab ist. Gott selbst sprengt sein eigenes Gesetz, um Menschen anzunehmen. Verstörend? Vielleicht ist es das. Aber noch wesentlich mehr als das ist es ermutigend. Keine Gewohnheit, kein Gesetz kann uns von Gott und seiner Liebe trennen.

Gesprengte Gemeinschaft

Das nächste, was in der Geschichte von Rahab gesprengt wird, ist das Miteinander in der Gemeinschaft im Volk Israel. Ich gebe zu: Davon steht nichts direkt in der Bibel. Tatsache ist nur, dass sie am Leben bleibt: «Von den Einwohnern der Stadt liess Josua niemanden am Leben ausser der Prostituierten Rahab, der Familie ihres Vaters und ihren anderen Verwandten. Denn sie hatte die israelitischen Kundschafter versteckt, die Josua nach Jericho gesandt hatte. Noch heute leben in Israel Menschen, die von Rahabs Familie abstammen.» (Josua, Kapitel 6, Vers 25) Wenn Menschen damals nur ein bisschen so sind, wie Menschen heute, dann war dieses Miteinander nicht unproblematisch. Rahab war eine Heidin («keine von uns») und eine ehemalige Prosituierte (die sich in ihrem Verhalten und ihrer Kleidung wahrscheinlich nicht von einem Tag auf den anderen umgestellt hat). Und plötzlich sollte sie wirklich dazugehören. Jede Kirche und Gemeinde heute erlebt, wie schwer und langwierig solch ein Prozess sein kann, wenn Gott Gebete erhört und Menschen kommen, die ihn wirklich brauchen: kaputte Typen, angeschlagene Menschen und solche, die niemand in seiner Nähe haben möchte. Und sie werden nicht automatisch dadurch liebenswert, dass sie eine Gemeindetür durchschritten haben. Wer Menschen wie Rahab annimmt, muss sich auf einen Prozess der Veränderung einlassen. Und bei dieser Annahme ändert sich nicht nur der Neuankömmling, auch die übrige Gruppe bleibt nicht, wie sie vorher war. Annahme sprengt die alten Grenzen der Gemeinschaft, um eine neue Gemeinschaft wachsen zu lassen.

Gesprengte Geschichte

Jede Familie hat ihre Geschichten, in denen sie sich und anderen erzählt, wie «damals» etwas Schlimmes geschehen ist, aber im Laufe der Zeit etwas Gutes daraus wurde. Das ist bei Rahab nicht anders. Denn das, was wir beim Lesen der Geschichte im Ersten Testament noch als «Unfall» abtun könnten, als «Ausrutscher», das bekommt eine ganz neue Qualität, wenn wir Rahab im Neuen Testament als Ahnin von Jesus wieder begegnen (Matthäusevangelium, Kapitel 1, Vers 5). Als Rahab ihre Koffer packt und zum Volk Israel zieht, kann sich niemand vorstellen, wie die Geschichte mit ihr weitergeht. Sie ist gerettet, okay. Die einen freuen sich mit ihr, andere rümpfen vielleicht die Nase. Aber niemand denkt in heilsgeschichtlichen Zusammenhängen. Gott nimmt Rahab an und sprengt damit Gewohnheiten, Gesetze und Gemeinschaft. Doch sein Ziel geht über die Annahme dieser Frau hinaus: Er will auch noch die Geschichte sprengen. Wenn wir Rahab heute in den Blick nehmen, dann sehen wir nicht mehr die verachtungswürdige Hure. Dann sehen wir eine mutig glaubende Frau und die Ururur…grossmutter von Jesus.

Rahab unterstreicht nachdrücklich, dass Gott jeden Menschen annimmt, wie «unpassend» er oder sie auch sein mag. Dass Gott dafür Grenzen sprengt, und wenn es das eigene Gesetz wäre. Und dass er eine Zukunft für jeden hat, für dich und für mich, die vielleicht sogar die Geschichte umkrempeln wird. 

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Datum: 10.10.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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