Predigt

Zur Freiheit berufen – an Christus gebunden

Konservative Christen tendieren dazu, in der christlichen Freiheit eine Gefahr zu sehen. Liberale Christen hingegen verteidigen die Eigenverantwortung und Freiheit als höchstes Gut. Felix Aeschlimann, Leiter des Seminars für biblische Theologie Beatenberg, hat sich mit diesem Spannungsfeld auseinandergesetzt.
Felix Aeschlimann

Unsere politische Lebensanschauung beeinflusst manchmal unser theologisches Denken. Konservative Christen tendieren dazu, in der christlichen Freiheit eine Gefahr zu sehen. Um sicher zu gehen, dass sie Gott gefallen, orientieren sie sich gerne an Gesetzen und Vorschriften. Liberale Christen verteidigen die Eigenverantwortung und Freiheit als höchstes Gut. Sie sehen in jeder Form von Geboten und Ordnungen eine gefährliche Rückkehr zur Gesetzlichkeit.

Gefährliche Freiheit?

«Ihr seid zur Freiheit berufen!», schreibt Paulus den Christen in Galatien (Galater 5,13). Aber gerade darin sehen viele Christen eine grosse Gefahr. Wenn Christus die Forderungen des Gesetzes erfüllt hat, dann bin ich doch frei vom Gesetz. Nichts zwingt mich mehr, den Gesetzesforderungen nachzukommen. Er hat mich doch gerade deshalb begnadigt, weil ich das Gesetz unmöglich einhalten kann. Heisst das nun, dass ich jetzt drauflos sündigen kann? Habe ich jede Freiheit in Christus? Auch die Freiheit zu sündigen?

Dies sind keine Fragen, die erst im 21. Jahrhundert gestellt werden. Bereits Paulus musste sich damit auseinandersetzen. Das Evangelium der Gnade führt automatisch zu diesem Vorwurf. Mit der Frage, «was sollen wir nun sagen? Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade zunehme?» (Römer 6,1), greift Paulus die Argumente seiner Gegner auf. Diese werfen ihm vor, seine Theologie würde zur Zügellosigkeit führen. Doch wer die Gnade Gottes in rechter Weise verkündigt, löst damit zuerst einmal diese provokative Fragestellung aus. Dies hat nichts mit liberaler Theologie zu tun. Ganz im Gegenteil. Es war ausgerechnet der überaus konservative Prediger der Westminster Chapel, Martin Lloyd-Jones, der in seinem Römerbriefkommentar auf diese Reaktion aufmerksam machte. Dort schreibt er, dass die wahre Predigt des Evangeliums von der Rettung durch Gnade allein immer zur Möglichkeit dieses Vorwurfs führt. Nur wer Rettung durch Werke predigt, wird nicht anfällig für ein solches Missverständnis. Aber die Bibel setzt der radikalen Sünde des Menschen Gottes radikale Gnade gegenüber.

Das Evangelium der Gnade ist also hochgefährlich! Und dieses Evangelium der Gnade könnte nun in der Tat zur provokativen Frage führen: «Was nun, sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind?» (Römer 6,15). Paulus gibt unverzüglich eine deutliche Antwort auf diese absurde Frage: «Das sei ferne!» Damit zeigt er, dass Leute, die so fragen, das Evangelium nicht begriffen haben. Niemand kann ernsthaft Christ sein, wenn er so weiterlebt, wie vor seiner Umkehr zu Gott. Echter Glaube beweist sich in einem veränderten Leben. Jakobus definiert es am treffendsten: «Der Glaube ohne Werke ist tot!» (Jakobus 2,26). Die Spannung zwischen Freiheit und Bindung löst sich automatisch auf, wenn wir unser altes Leben unserer neuen Stellung in Christus gegenüberstellen.

Sklaven der Sünde

Das gesamte Kapitel 6 im Römerbrief ist die Antwort des Paulus auf die Frage: «Was sollen wir nun sagen? Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade zunehme?» Paulus argumentiert hier messerscharf. Manch ein Christ würde ob der Aussage staunen, wenn er dieses Kapitel intensiv studierte. Der Apostel macht hier nämlich eines sehr deutlich: Wir sind nie wirklich frei! Wir sind immer Sklaven! Wir besitzen keine Autonomie! Deshalb führt sich die Frage nach dem Sündigen trotz Gnade ad absurdum. Niemals ist dies möglich! Wo denkst du auch hin! Wie könnten wir denn noch!

Wer denkt, er könne als Christ nach dem Motto leben «Lasst uns essen und trinken und feiern, denn morgen sind wir tot und kommen in den Himmel», der hat das Evangelium grundsätzlich nicht verstanden. Wir gehören doch jetzt einem anderen Herrn an. Wir waren Sklaven Satans, Sklaven der Sünde. Ja, wir wurden als Sklaven geboren. Wir wurden unterdrückt durch unseren ehemaligen Meister, den Teufel. Wir konnten ja nicht anders. Die Sünde war die einzige Alternative. Aber das gehört jetzt endgültig der Vergangenheit an! Wir sind für unseren alten Herrscher tot. «Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde.» (Römer 6,6-7). Ein Narr, wer sich jetzt wieder nach seinem alten Leben sehnt. Können wir uns vorstellen, dass ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz nach seiner Befreiung durch die Rote Armee, sich nach Hunger, Folter, Unterdrückung, Demütigungen, Gaskammern, Krematorien und dem allgegenwärtigen Tod sehnt? Gab es auch nur einen einzigen Befreiten, der seine Retter mit Vorwürfen überhäufte und sagte: «Ihr habt mir mein Leben geraubt, ich will wieder zurück!?» Undenkbar! So eine Person bräuchte psychiatrische Hilfe. Begriffen, was Freiheit bedeutet, hätte sie auf keinen Fall!

Wir sind frei!

Wir sind frei! Frei vom Schuldspruch des Gesetzes. Frei von allen Forderungen des Gesetzes. Frei von der Macht der Sünde und Satans. Wir werden ohne Gesetz gerecht gesprochen. In Römer 7 illustriert Paulus unser Verhältnis zum Gesetz anhand der Ehe. Wie eine Frau nach dem Tod ihres Mannes wieder frei ist, zu heiraten, so sind auch wir jetzt vom Gesetz getrennt und leben in der Freiheit. Aber hier deutet sich bereits eine neue Zugehörigkeit an. Wir sind nicht wirklich frei, sondern gehören jetzt zu Christus, sind, wenn man so will, als seine Braut mit ihm verheiratet.

Ja wir sind frei! Endlich frei! Aus der langjährigen Gefangenschaft und Schinderei in die wunderbare Freiheit entlassen. Aber dort draussen in der Freiheit sind wir nicht unsere eigenen Herren! Wir leben jetzt für ihn - nicht mehr für die Sünde! Jesus gibt uns die Zusage: «Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein» (Johannes 8,36). Und Paulus bestätigt: «Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen (Römer 6,14), für die Freiheit hat Christus uns freigemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten!» (Galater 5,1).

Die Sünde wird nicht mehr über uns herrschen. Diese Zusage steht. Wir müssen nicht mehr unseren Trieben und Anlagen folgen. Gnade ermöglicht die wahre Freiheit. Gnade erweckt, belebt und ermächtigt unsere Fähigkeit, die Sünde zu besiegen und Gott zu gefallen.

Frei – und doch gebunden!

Paulus kann das neue Herrschaftsverhältnis nicht deutlich genug betonen. «Ihr wart Sklaven der Sünde. Nun aber seid ihr von der Sünde frei und Sklaven der Gerechtigkeit geworden. So stellt jetzt eure Glieder zur Verfügung als Sklaven der Gerechtigkeit zur Heiligkeit!», schreibt er in Römer 6.

Es ist angesichts solcher Aussagen unverständlich, wenn einige Theologen behaupten, man könne Christ sein, ohne Jesus als Herrn anzuerkennen. Zane Hodges, ehemaliger Lehrer am Dallas Theological Seminary, schreibt in seinem Buch «Absolutely Free», dass in der Evangelisation die Unterwerfung unter die Herrschaft Christi nicht verkündigt werden darf. Für ihn sind die Errettung von der Macht der Sünde und ein Leben des beständigen Wachstums in der Gnade keine notwendigen Auswirkungen des Glaubens. Er geht sogar noch weiter und lehrt, dass ein Gläubiger aufhören könne, zu glauben und doch ein Christ bleibe. Zumindest theoretisch könnte also ein Atheist Christ sein, und in der Gemeinde Jesu gäbe es ungläubige Gläubige!

Der Reformator Johannes Calvin besass da eine bessere Erkenntnis. «Es ist der Glaube allein, der uns rechtfertigt, aber rechtfertigender Glaube kann niemals allein bleiben!», schrieb er. Bei der Bekehrung geht es um einen Herrschaftswechsel und nicht bloss um die Sanierung alter Schulden! Das frühchristliche Bekenntnis lautete «Jesus ist Herr!» und nicht bloss «Jesus ist mein Retter».

Martin Luther brachte es in seiner Schrift «Von der Freiheit eines Christenmenschen» auf den Punkt, wenn er schreibt: «Ein Christenmensch ist sein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.» Er hatte begriffen, dass das Freiheitsverständnis im Neuen Testament immer nur als Gesamtpaket einer Freiheit von etwas und einer Freiheit für etwas verstanden wird. So ist auch 1. Korinther 6,12 zu verstehen: «Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist nützlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen.» Absolute Freiheit gibt es nicht, es gibt nur die Freiheit in Christus, oder anders ausgedrückt: Echte Freiheit gibt es nur in der Gebundenheit an Christus!

Das Gesetz der konkreten Liebe

Niemand begegnet seinem Befreier mit Undankbarkeit. «Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten», sagt Jesus in Johannes 14,15. Die Heiligung konkretisiert sich in unserem Verhalten Gott und dem Nächsten gegenüber. All dieses Verhalten fasst das Neue Testament unter dem Begriff «Liebesgebot» zusammen. Wir könnten also nun sagen, dass wir absolut keine Regeln mehr brauchen, uns nur an der vollkommenen Liebe orientieren. Wir tun immer nur das, was Gott ehrt und unseren Nächsten weiterhilft. Aber wie konkret ist das? Liebe drückt sich doch in einem gewissen Verhalten aus, ist also mehr als nur Gefühl oder Hingabe. Es ist die Bibel, die uns zeigt, wie wir unser Leben gemäss den Vorstellungen Gottes gestalten können. Alles, was uns die Bibel für unser Leben mitgibt, wächst aus dem Charakter Gottes heraus. Weil Christus uns vergeben hat, vergeben auch wir einander. Weil Gott heilig ist, leben auch wir in Reinheit. Weil Gott sich barmherzig um uns Menschen kümmert, geben auch wir Hungrigen zu essen, nehmen Fremde auf, versorgen Arme mit Kleidern, trösten Kranke und kümmern uns um Gefangene (Matthäus 25,35-36). Dies alles tun wir nicht aus Zwang, sondern aus Liebe zu unserem Retter. Die Gesetzeserfüllung geschieht also nicht mehr dem Buchstaben nach, sondern aus dem Herzen im Geist (Römer 2,29). Demzufolge erhält das Gesetz im Neuen Testament einen neuen Namen: Es ist das Gesetz Christi, der Liebe, des Glaubens und des Geistes.

Datum: 04.05.2014
Autor: Felix Aeschlimann
Quelle: sbt Beatenberg

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service