Gott wird Mensch

Hat der Glaube seiner Anhänger ihn zum Gottessohn gemacht?

«Wer Jesus nur als Wanderprediger und Sozialreformer sehe, aber nicht als den Mensch gewordenen Gottessohn, beschreibe einen Jesus, den es so nie gegeben hat», sagt Roland Deines, Professor für Neues Testament an der Universität Nottingham (England).
Dass Gott Mensch geworden ist, macht das Christentum im wahrsten Sinne des Wortes menschlich.

Die Weihnachtsgeschichte versuche, göttliches Geschehen in menschliche Sprache zu fassen: «Sie beschreibt und erklärt etwas Einzigartiges, etwas bis dahin Ungehörtes. Das Wunder von Weihnachten widerspricht allen Vorstellungen», beschreibt der Theologe die Menschwerdung Gottes. Roland Deines begründet im unten stehenden Interview, weshalb das so ist.

Weihnachten wird von vielen bestritten. Ich fürchte, die Theologen haben das Christkind umgebracht.


Roland Deines: Das ist eine harte Aussage! Theologen haben über Jahrhunderte hinweg geholfen, dass Menschen im Christkind den Mensch gewordenen Gott und den Erlöser der Welt sehen können. Zugegeben: Seit der Aufklärung gab es einzelne wirkungsmächtige Theologen, die versuchten, dem Christkind den historischen Boden zu entziehen.

Nur einzelne? «Von 100 Hochschultheologen halten vielleicht zwei die Weihnachtsgeschichte für wahr», behauptet der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger.

Was ist «wahr»? Matthäus und Lukas erzählen die Weihnachtsgeschichte aus verschiedenen Perspektiven. Beide betonen dabei unterschiedliche theologische Aussagen, stimmen aber in den wesentlichen Aussagen überein. Die entscheidende Frage lautet dabei für mich: Kommt Gott in diesem Kind zur Welt – oder nicht?

Und – kommt er?

Natürlich!

Woher nehmen Sie diese Gewissheit?

Aus der Erfahrung des Glaubens der Kirche und aus den Erfahrungen, die ich selbst mit Gott gemacht habe. Ich verlasse mich also nicht allein auf meinen Glauben und meine Empfindungen beim Lesen der Bibel, sondern auf deren gesamte Wirkungsgeschichte. Die frohe Botschaft hat über Grenzen, Kulturen, Sprachen und Nationen hinweg Menschen verändert. Deshalb nähere ich mich als Wissenschaftler den Evangelien offen und erwartungsvoll.

Die Evangelien sind keine Märchen?

Folgt man der Mehrheit der zeitgenössischen deutschsprachigen Theologen, sind die Ereignisse der Weihnachtsgeschichte ungewiss bis sogar ausgeschlossen. Sie sind historisch ungewiss, weil es eben beispielsweise kein Visum überliefert ist, das belegt, dass Josef und Maria nach Ägypten geflüchtet sind.

In der Bibel begegnen wir einer Erzählung, die göttliches Geschehen in menschliche Sprache zu fassen versucht. Sie beschreibt und erklärt etwas Einzigartiges. Dass diese Beschreibungen nicht völlig deckungsgleich sind, bedeutet nicht, dass die Ereignisse nicht geschehen sind – sondern, dass es schwer war, dieses überraschend neue Handeln Gottes so in Worte zu fassen, dass die Bedeutung dieses Geschehens erkannt werden konnte. Ausserdem wird die Geschichte aus der  individuellen Perspektive des jeweiligen Schreibers erzählt.

Sind die Evangelisten eher Romanautoren oder eher Reporter, die tatsächliche Ereignisse recherchierten?

Sie waren Evangelisten, das heisst: Sie versuchten, die Heilsgeschichte – die Geschichte Gottes mit seinem Volk – verständlich zu machen, so dass sich spätere Leser dieser Botschaft anvertrauen können. Sie lieferten nicht nur die nackten Fakten, sondern erklärten auch ihre Bedeutung.

Faszinierend finde ich dabei, dass auf psychologisierende Details verzichtet wird. Es geht den Evangelisten also nicht darum, unsere menschliche Neugier zu befriedigen, etwa die Frage zu beantworten: Wie war Jesus als Kind? Die Ereignisse werden in äusserster Zurückhaltung berichtet – nur was zum Verständnis wirklich nötig ist, steht in der Bibel. Hierin zeigt sich für mich der besondere Charakter dieser Texte – wenn Sie so wollen: ihre göttliche Inspiriertheit.

Wie weit geht Gott?

Menschwerdung Gottes bedeutet: Gott ist ab sofort ein anderer – er ist bereit, sein eigenes Wesen aus Liebe zu den Menschen zu verändern. Gottheit und Menschheit vereinen sich. Über die Vorstellung, dass Gott Mensch geworden sei, staunt sogar der atheistische Philosoph Herbert Schnädelbach. Er sagt: «Ich gestehe zu, dass der Gedanke der Menschwerdung Gottes das Tiefsinnigste ist, was das Christentum hervorgebracht hat. Dass Gott Mensch geworden sein soll, macht das Christentum im wahrsten Sinne des Wortes menschlich. Diese Idee ist in der Religionsgeschichte eine Revolution! Ein Gott, der zu den Menschen kommt – für die damaligen griechischen Philosophen war das ein Irrsinn.»

Dieser «Irrsinn» geht im Grunde genommen bis heute weiter! Die Menschwerdung Gottes widerspricht allen Vorstellungen, die wir uns von Gott machen. Dass Gott auf seine Allmacht verzichtet und sich mit seinen Geschöpfen identifiziert, sich also mit ihnen gleichmacht, wie es tiefer und enger nicht geht – das ist bis heute die grosse Überraschung!

Eine von Theologen häufig vertretene Ansicht ist, dass Jesus erst nachträglich zum Gottessohn wurde – durch den Glauben seiner Anhänger.

Das bereitet mir grosse Not! Sicher haben die Jünger erst nach Jesu Auferstehung richtig begriffen, in welch einzigartiger Weise Gott ihnen in Jesus begegnet ist. Das bedeutet aber nicht, dass die biblischen Autoren Jesus erst im Nachhinein zum Sohn Gottes gemacht haben, obwohl sie ihn eigentlich als einfacher Wanderprediger erlebt haben. Sie haben vielmehr im Rückblick entdeckt, was schon von Anfang an da war!

Datum: 27.12.2011
Autor: Karsten Huhn
Quelle: Jesus.ch / Idea.de

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service