Unsichere Ostern für irakische Christen – Jerusalem über Ostern ausgebucht

Ayatollahs Muktada Sadr
Touristen in Jerusalem

Mit der Erhebung des politisch radikalen Teils der irakischen Schiiten eröffnet sich auf Ostern hin eine neue Front gegen die alliierte Militärverwaltung am Euphrat und Tigris. Trotz Gewalt und Terror: Die Pilgerherbergen in Jerusalems Altstadt sind über Ostern ausgebucht.

Die Terrorakte eines kleinen, aber gut organisierten Untergrunds von letzten Saddamisten und neu hinzugekommenen Al-Kaida-Aktivisten waren schlimm genug. Jetzt ist ein breiter Widerstand der schiitischen Anhänger des radikalen Ayatollahs Muktada Sadr dazugekommen.

Seine Milizionäre entfachen einen regelrechten Volksaufstand, eine Intifada nach palästinensischem Vorbild. Die Amerikaner und ihre spanischen Verbündeten versuchten sichtlich zu spät, mit dem Verbot dieser Miliz, der Einstellung von Sadrs extremistischem Hetzblatt und der Verhaftung seines wichtigsten Ratgebers einzuschreiten.

Griff zu den Waffen

Diese Massnahmen brachten den schon lange kochenden Topf eines schiitischen Revolutionsversuchs erst recht zum Überlaufen. Hatten die "Sadrijun" bisher demonstriert, so greifen sie nun zu den Waffen. Nicht nur in Bagdads Armenvierteln, wo der auch sozial engagierte Sadr bisher das Sagen hatte. Seine explosive Mischung von Glaubensfanatismus und politischem Umstürzlertum hat schon das von Haus aus schiitisch-konservative Nadschaf mit seinen Pilgerstätten erreicht.

Milizen als konfessionell-ideologische Wehrverbände waren in Nahost lang eine libanesische Besonderheit. Das konkrete Beispiel gaben dort die Schiiten mit Amal und Hisbollah. Irans Islamische Revolution schuf sich im Pasdaran ihre bis heute in Teheran mächtige Miliz. Jetzt ist der Irak an der Reihe.

Eingeschüchterte Christen

Der neue Oberhirte von um die 600’000 chaldäischen Katholiken, Patriarch Emmanuel III., antwortet auf die Frage, ob es den irakischen Christen heute besser als unter Saddam geht: "Ehrlich gesagt: Nein, zumindest noch nicht! Die Christen sind eingeschüchterter als zuvor, fürchten sich vor Autobomben, Explosionen, Überfällen. Das alles hat es früher wenigstens nicht gegeben."

An die Stelle ihrer politischen Unterdrückung in einer der schlimmsten Diktaturen des Nahen Ostens, der Angst vor Kerker, Folter und Tod sind die Schrecken eines ausufernden Terrors getreten, der sich zunehmend auch gezielt gegen Kirchen, Geistliche und einfache Gläubige richtet. Dazu kommt die Verunsicherung über die Zukunft in einem vom Islam geprägten Nachfolgeregime der internationalen Besatzung.

Die neue irakische Verfassung bekennt sich zwar grundsätzlich zur Religionsfreiheit, hat aber gleichzeitig das islamische Religionsgesetz zur Rechtsquelle erklärt. Der Islam gewährt aber Andersgläubigen keine Religions- und schon gar keine Verkündigungsfreiheit, sondern bestenfalls eine stark eingeschränkte Kultfreiheit.

Neu gewählter Patriarch

Wenigstens hat die chaldäische Kirche in dieser schwierigen Nachkriegszeit den denkbar besten Oberhirten erhalten: Den 76jährigen Emmanuel III. Delly. Seit seiner Wahl und Amtseinführung im Dezember 2003 wird er nicht müde, zur Eintracht zwischen den irakischen Christen verschiedener Konfessionen und Riten aufzurufen. Nur gemeinsam könnten sie die schwierige Situation nach dem Sturz und schliesslich der Gefangennahme von Saddam Hussein meistern. Auf Emmanuel III. konzentrieren sich nun die ziemlich einzigen Hoffnungen aller irakischen Christen.

Schwieriges Osterfest im Irak

Wegen der täglich zunehmenden Gewalt steht der Irak nach Worten von Bagdads Weihbischof Shlemon Warduni vor einem schwierigen Osterfest. Trotz der unsicheren Lage würden die christlichen Kirchen jedoch die Feiern der Ostertage begehen, "allerdings in vorsichtiger und gedämpfter Atmosphäre", sagte der Bischof.

Jerusalem: Leises Gebet und lärmendes Spektakel

Trotz Gewalt und Terror: Die Pilgerherbergen in Jerusalems Altstadt sind über Ostern ausgebucht - von einer bunten Schar. Alle Konfessionen - Orthodoxe, Katholiken, Protestanten - feiern am selben Termin Auferstehung Jesu. Wegen unterschiedlicher Kalender ist das nur alle paar Jahre der Fall, zuletzt 2001.

Mit dem ersten Morgenlicht zogen am Karfreitag Gruppen von Pilgern über die Via Dolorosa im Gedenken an Jesu Weg zur Kreuzigung. Schaulustige warten auf eine Gruppe Kalifornier, die seit vielen Jahren kostümiert den letzten Gang Jesu nachstellen: mit römischen Soldaten, weinenden Frauen und einem anscheinend blutig gequälten Leidenden. Mittags wird es eng, vor allem bei der fünften Kreuzwegstation: Christen unterwegs zur Grabeskirche, fromme Juden eilen zur Klagemauer, Muslime streben zum Freitagsgebet auf dem Tempelberg. Eine brisante Mischung, und die Sicherheitskräfte sind froh, wenn die grosse Prozession der Franziskaner, die tausende Beter anzieht, ohne Zwischenfälle bleibt. Dann füllen die Christen die vielen Ecken und Kapellen der Grabeskirche rund um das nun geschlossene "Heilige Grab".

Noch mehr Gedränge am Ostersamstag, den die orthodoxen Pilger prägen: Viele Tausend, meist aus Griechenland, sind gekommen, um einmal im Leben diese Auferstehung zu erleben - mit Klappstuhl und Trinkflaschen, Kerzen und Gehstock. Am Morgen schon ist die Grabeskirche überfüllt, die umliegenden Gassen verstopft. Sie schimpfen auf die Sicherheitskräfte, die aber zu Recht da sind: Vor allem im 19. Jahrhundert gab es immer wieder Tote und Verletzte, wenn nach der orthodoxen Tradition gegen 13 Uhr "das Heilige Feuer vom Himmel fällt". Symbol der Auferstehung: Dann hält die Menschen nichts mehr, und sie wollen nach allem Warten möglichst schnell ihre Osterkerze entzünden, die in Anlehnung an die Lebensjahre Jesu aus 33 kleinen Kerzen besteht. Läufer tragen die Flamme stolz zu den anderen Kirchen, Autos bringen sie zum Flughafen. Von dort geht es per Flieger nach Griechenland. In Jerusalem bricht derweil Osterfreude aus, die verstehen lässt, warum die orthodoxen Christen die Grabeskirche nur "Anastasis" nennen: "Auferstehung".

Der Jubel geht weiter durch die Nacht: Prozessionen kreuzen in der Grabeskirche ihre Wege. Die Griechen singen laut, die Katholiken setzen auf ihre Orgel. Weihrauch kennen sie alle. Wer es romantischer mag, geht Mitternacht hinaus durchs Damaskustor zum "Gartengrab", das die protestantische Gemeinde betreut. Ganz anders geht es bei den Äthiopiern auf dem Dach der Grabeskirche zu, deren Liturgie fremd und leise wirkt. Danach gilt: Wer spät auf den Beinen ist in Jerusalem, ist früh auf den Beinen. Denn dem müden Beter leuchtet der Morgenhimmel heim.

Datum: 10.04.2004
Quelle: Kipa

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