Positive Entwicklungen machen selten Schlagzeilen

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Naturkatastrophen wie noch nie, Kriege und Terror haben 2005 die Schlagzeilen beherrscht. Daneben gingen positive Entwicklungen, zaghafte Neuanfänge und neue Denkansätze unter. Diese näher zu beobachten und zu begleiten, ist eine Herausforderung für wache Zeitgenossen. Einige Blitzlichter:

In der Wirtschaft

Die dominierenden Botschaften in den letzten Jahren, welche in Privatisierungen, Staatsabbau und Steuersenkungen das Heil für die nationale und internationale Wirtschaft suchten, geraten in die Defensive. Neue Bücher, zum Beispiel eine soeben vorgestellte Analyse des Wirtschaftesexperten und Journalisten Marco Färber, machen deutlich, dass der Staat per se das Wirtschaftswachstum nicht unbedingt hemmen muss, sondern dass auch staatliches Handeln zu einer gesunden Wirtschaftsentwicklung beitragen kann und auf längere Sicht unverzichtbar ist. Wichtig ist der Staat zum Beispiel im Bereich der Bildung, ohne welche die Wirtschaft nicht auskommt. Wenn hier gespart wird, hat das problematische Langzeitfolgen. Nun zeigt sich: Die Ideologie der Privatisierer gerät unter Druck.

Die durch die Politik der 90er Jahre und des beginnenden dritten Jahrtausends sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich ist ebenfalls erkannt. Dass mit Obwalden ein zweiter Kanton nach Schaffhausen den ganz Reichen einen sinkenden Steuersatz zugesteht, hat alarmiert. Dass man sich gegenseitig mit immer tieferen Steuern die Reichen abwerben will – letztlich auf Kosten der Allgemeinheit – wird nicht mehr so leicht akzeptiert wie auch schon. Man anerkennt: Hier wird eine bereits privilegierte gesellschaftliche Gruppe weiter privilegiert. Gegensteuer ist angesagt, denn der Reichtum der Reichen wächst viel schneller als das Durchschnittsvermögen, wie eine Tagung des Netzwerkes „ChristNet“ kürzlich in Bern festgestellt hat.

In der Politik

Diesen Monat ist es Nationalrat Heiner Studer dank beharrlichem Dranbleiben gelungen, die grosse Kammer zur Abschaffung der Gewissensprüfung für junge Männer zu gewinnen, die statt dem Militärdienst Zivildienst leisten wollen. Man hat anerkannt, dass diese Leute einen eindrücklichen Tatbeweis erbringen, wenn sie bereit sind, das Anderthalbfache an Zeit hinzugeben, um auf diese Weise einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Man darf damit rechnen, dass auch der Ständerat nachziehen wird.

Auch im zentralen gesellschaftlichen Bereich Familienpolitik darf gehofft werden. Ein gutes Dutzend familienorientierte Organisationen und 20 Mitglieder des Nationalrates unterstützen eine Koalition für die Familie, die am 18. Juni gegründet wurde. Sie steht für eine Familiensicht und eine Familienpolitik, die sich an den christlichen Werten orientiert. Sie betreibt ein sachpolitisches Lobbying und will sich bei den politischen Weichenstellungen in den kommenden Jahren zu Wort melden. Vielleicht gelingt es dem Pflänzchen, so zu wachsen, dass man es nicht mehr übersehen kann.

In der Gesellschaft

Die negativen Auswirkungen der 1968-Revolution werden zunehmend für die Mehrheit des Gesellschaft sichtbar. Die Erziehungsfehler der 68er Eltern werden breit kritisiert, nachdem ihre fatalen Auswirkungen sichtbar geworden sind. Erziehung ist wieder zu einem Thema geworden. Neue Erziehungsstile erhalten Auftrieb, die für die Wertschätzung der nächsten Generation, aber auch für das Setzen klarer Grenzen plädieren. Kurse wie zum Beispiel „Triple P“ sind höchst gefragt.

Auch die Aufweichungstendenzen der abendländischen Werteordnung sind erkannt worden. Verflogen ist die Multikulti-Euphorie, welche sich eine Gesellschaft erträumte, in der jede Kultur und Werteordnung nebeneinander Platz hat. Immer mehr macht sich die Überzeugung breit: Wir können nur Menschen in unsere Mitte aufnehme, die auch unsere zentralen Überzeugungen und Werte zu teilen bereit sind. Das bedeutet nicht, dass sie alle kulturellen Eigenheiten aufgeben müssen. Es heisst aber, dass Praktiken, welche menschenverachtend sind, zum Beispiel Zwangsehen, nicht mehr akzeptiert werden, und das ist gerade aus christlichem Denken heraus unterstützenswert. Die Unruhen in Frankreich haben deutlich gemacht, dass zuviel Toleranz in diesem Bereich selbstzerstörerisch wird.

In Landes- und Freikirchen

Wir hatten uns schon fast daran gewöhnt, dass die Landeskirchen, aber auch die reformierten Kirchen und die Freikirchen, meisten gegeneinander stritten, wenn es um politische Fragen und besonders Abstimmungen ging, in der christliche Werte betroffen sind. Die Abstimmung um die Sonntags-Öffnungszeiten in den Bahnhofläden zeigte: Nein, es ist immer noch möglich, dass sowohl die Landeskirchen wie auch die Freikirchen miteinander am gleichen Strick ziehen.

Zurzeit sind die Freikirchenleiter auch daran, ein Konsenspapier zu erstellen, in dem die gemeinsamen Werte und Vorschläge zu ihrer politischen Umsetzung dargestellt werden. Nach einer ersten Lesung hat sich eine Delegation mit interessierten Nationalräten zusammengesetzt, um von ihnen ein Feedback zu erhalten. Dieses wird dazu dienen, praxisorientiere Formulierungen zu machen, sodass schliesslich ein Dokument entstehen wird, das nicht ohne Wirkung bleiben dürfte.

Viel Innovation zeigt sich auch in neuen evangelistischen Modellen, mit denen die zeitgenössische Jugend für das Evangelium erreicht wird. Neugründungen wie die ICF oder Vineyard fordern die Landeskirchen heraus, über Jugendkirchen nachzudenken. Neugründungen wie die Jugendkirche Winterthur und die Streetchurch im vergangenen Jahr belegen, dass die Landeskirche die Freikirchen nicht nur als Konkurrenz sieht, sondern sich auch von gelungenen Beispielen inspirieren lässt. Inzwischen gibt es erfolgreiche Jugendgottesdienste in zahlreichen landeskirchlichen Gemeinden in verschiedenen Kantonen.

In den kirchlichen Organisationen und Werken

Vor Jahresfrist hat das Hilfswerk Tear Fund damit überrascht, dass es sich hinter das Milleniumsziel der UNO-Mitgliedsstaaten stellte, bis 2015 eine Halbierung der weltweiten Armut zu erreichen. Ein auf der Basis der Evangelischen Allianz organisierte Nord-Süd-Tag sowie eine Tagung von ChristNet haben in diesem Jahr die Thematik, die eng mit der Praxis des Bankenplatzes Schweiz zu tun hat, aufgenommen und auf die Probleme und die Lösungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht. Immer evangelische Christen machen deutlich, dass ihnen ein ganzheitliches Verständnis des Evangeliums wichtig ist. Mission, die auf Bekehrung zielt, ist wichtig, weil sie auch Mentalitäten verändern kann, welche für Armut verantwortlich sind. Aber dabei darf man nicht stehen bleiben. Das Evangelium zielt auch auf Veränderungen im persönlichen Leben und in der Gesellschaft ab, wie ein prominenter Theologe aus Sri Lanka an der Nord-Süd-Tagung in Bern gezeigt hat. Hier ist ein erfreulicher Sensibilisierungsprozess im Gange, auf dessen weitere Entwicklung man gespannt sein darf.

Also viel Grund, trotz allem zuversichtlich ins Neue Jahr zu gehen.

Datum: 01.01.2006
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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