Christen in Israel – eine bunte Minderheit

Auffällig: Christen am Jerusalem-Marsch während des Laubhüttenfestes
Aus allen Herren Ländern: Strassenszene in Israel
Die meisten arabischen christlichen Gemeinden schrumpfen.

Mit der Liquidierung des Terroristen-Führers Yassin und den Racheschwüren auf palästinensischer Seite droht Israel eine neue Gewaltspirale. Von Ausgleich und Versöhnung ist keine Rede; die Christen, die dafür einstehen, sind eine winzige Minderheit.

Aus allen Himmelsrichtungen sind sie nach Israel eingewandert, ins Land der Väter. Die Vielfalt der israelischen Bevölkerung übertrifft die anderer Staaten bei weitem; sie zeigt sich auch in der kleinen christlichen Minderheit.

Gegenüber Livenet gab der Theologe David Boyd, der in Jerusalem das messianische „Israel College of the Bible“ leitet, einen Überblick über die stark gegliederte Szene. Boyd weilte vor kurzem in der Schweiz und Deutschland, um Vorträge zu halten.

Kirchen aus 15 Jahrhunderten

Unter den Arabern gibt es neben den orientalischen, orthodoxen und katholischen Kirchen auch evangelische Gemeinden (Lutheraner, Anglikaner, Baptisten, Pfingstler, Nazarener, Christian and Missionary Alliance) mit einigen hundert oder wenigen tausend Gliedern. Die meisten dieser Gemeinden schrumpfen, weil viele palästinensische Christen im Westen ein besseres Leben und eine Zukunft für ihre Kinder suchen.

Neben den Gemeinschaften messianischer Juden gibt es als dritte Gruppe die christlichen Gemeinden der Ausländer. Die grösste findet sich in Jerusalem (300 Glieder), doch nicht da, sondern nahe den Industriegebieten, in Tel Aviv und anderen Städten, sind zahlreiche Gemeinden von Gastarbeitern mit aktuell deutlich über 10'000 Besuchern entstanden (Chinesen, Afrikaner, Filipinos, Lateinamerikaner).

Mehr chinesische Christen

Der kanadische Alttestamentler David Boyd, der seit vier Jahren die messianische theologische Ausbildungsstätte „Israel College of the Bible“ in Jerusalem leitet, predigt von Zeit zu Zeit in solchen Gemeinden (mehrheitlich Pfingstler und Christian Missionary Alliance). Er erwähnt, dass manche unter den Problemen leiden, welche Arbeitskräfte ohne gültige Papiere treffen. Am meisten bewegt sich in den Chinesen-Gemeinden, wo laut Boyd in den letzten sechs Jahren 2’500-3'000 Personen zum Glauben an Christus kamen.

Viele Gastarbeiter bezahlen mehrere tausend Dollar, um die israelische Arbeitsgenehmigung zu erhalten, und bleiben jahrelang im Land, um ihre Angehörigen daheim zu unterstützen. „Sie leben in sehr schwierigen Umständen. Aber weil hier die strikten Beschränkungen wegfallen, welche das kommunistische Regime in China auferlegt, können sie etwas freier denken. Das Evangelium schlägt in ihrem Leben Wurzeln, und sie schicken nicht nur Geld nach Hause, sondern kommen schliesslich auch innerlich verändert heim.“

Junger Staat – jüdische Identität

Wie geht Israel mit den Christen in seinen Grenzen um? Boyd betont, dass der einzige jüdische Staat der Welt grundsätzlich auf die Pflege seiner Identität bedacht ist. Im Sinne des Selbstschutzes werden alle Einflüsse, die diese jüdische Natur des Staates schwächen, abgewehrt. Aber Hürden für Einwanderer gibt es ja auch in Ländern wie der Schweiz, merkt Boyd an. „So geht Israel bestimmt nicht in aussergewöhnlicher Weise mit Christen um; aber es hilft ihnen auch nicht.“

Viel mehr Aufmerksamkeit ziehen die Gruppen auf sich, in denen Juden den Glauben an den Nazarener, den Messias Jeschua bekennen. Damit schliessen sie sich den frühsten Christen an, die alle Juden waren, und schlagen eine Brücke zwischen den beiden Religionen – eine Brücke über einen gähnenden Abgrund jahrhundertelanger Verachtung und Verfolgung. In den Augen traditioneller Juden jedoch verlassen (verraten) messianische Juden ihre angestammte Religionsgemeinschaft.

Russen und Falaschen

Boyd geht von 5-7'000 messianischen Juden im Land aus – ein Tausendstel der israelischen Gesamtbevölkerung. Sie treffen sich in rund 100 Gemeinden und Gruppen; wenige haben mehrere hundert Besucher. Die Szene ist sehr bunt: Man zählt neun äthiopische Falaschen-Gemeinden mit insgesamt 600-800 Personen.

Russen und Ukrainer stellen infolge der Einwanderungswelle der 90-er Jahre die grösste Einzelgruppe der messianischen Gläubigen im Land (schätzungsweise 3’000 Personen). In manchen Gottesdiensten, die auf Ivrith (Neuhebräisch) gehalten werden, gibt es eine Russisch-Übersetzung.

Einwanderer aus Mischehen

Viele Jesus-Gläubige aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion konnten einwandern, weil sie mit einem jüdischen Gatten verheiratet waren oder ihre Papiere eine jüdische Grossmutter auswiesen. Die Mischehen, die unter Hammer und Sichel geschlossen wurden, führen nun unter anderem dazu, dass in der israelischen Armee Neue Testamente verlangt werden, was ihren Oberrabbiner nicht freut.

Israel reagierte erst recht unwirsch auf christliche Angebote speziell für die russisch-sprachigen Einwanderer. Als bekannt wurde, dass Boyds College Programme in Russisch anbot, wurde den Dozenten auch schon mal die Ausweisung angedroht…

Kaum eine Gesellschaft ist so multikulturell wie die israelische. Etwa die Hälfte der 5-7'000 Messias-gläubigen Juden hat westliche oder orientalische Wurzeln. „Auch die zweite Generation hat noch Verbindungen zum Land, aus dem die Eltern einwanderten.“ Die Jungen unterscheiden sich durch ihren Akzent und kulinarische Vorlieben oder auch durch die Kleidung.

Auf der Schattenseite

Wie sind die messianischen Gemeinden altersmässig zusammengesetzt? Boyd weiss von einzelnen Holocaust-Überlebenden. Die Gläubigen über 50 sind jedoch deutlich in der Minderheit. Dass auf zwei aktive Männer drei Frauen kommen, trifft nicht nur auf die messianische Gemeinschaft, sondern auf die meisten Kirchen weltweit zu.

Der hohe Anteil der kürzlich Eingewanderten bringt den Gemeinden beträchtliche soziale Lasten. Viele beherrschen die Landessprache Ivrith noch nicht und verdienen wenig; die Wirtschaftskrise verschlechtert ihre Chancen drastisch.

Die äthiopisch-stämmigen Juden fallen auf; ihnen wird das Jüdisch-Sein noch von manchen Israeli abgesprochen. Dagegen sind unter den russisch-stämmigen Gläubigen, die Ivrith gelernt haben, recht viele beruflich erfolgreich. Ärzte, Lehrer und Anwälte sind in den messianischen Gemeinden dünn gesät.

Ein weiterer Artikel über die innere Dynamik und Herausforderungen in den messianischen Gemeinden folgt.

Artikel über das Israel College of the Bible: www.livenet.ch/www/index.php/D/article/180/13003/

Infos über die messianischen Juden in Israel bei: www.amzi.org

Datum: 24.03.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service