«Die Kinder Manasses leben!»

Ihre Zukunft liegt in Israel.
Noch heute singen sie Lieder, die für diesen Stamm typisch sind.
Freude

Die Nachkommen Manasses, eines von ursprünglich zwölf Stämmen des alten Israel, kehren in ihr Land zurück – nach vielen Jahrhunderten in den indischen Staaten Manipur und Mizoram. Mitverantwortlich für die Einwanderung ist die Agentur Amishav*. Livenet.ch sprach mit deren Direktor Michael Freund*.

Daniel Gerber: 800 der Nachfahren Manasses sind bereits nach Israel eingewandert. Was ist der nächste Schritt? Die restlichen 5200 ins Land zu bringen?
Michael Freund: Unser Ziel ist es, alle B’nej Menashe ("Söhne Manasses") nach Israel zu bringen. In den letzten zehn Jahren führten wir 800 ins Land. Unser Chef-Rabbinat prüfte die Echtheit ihrer Abstammung, und nun leben sie hier als israelische Juden. Bis zum Ende dieses Jahrzehnts wollen wir auch die übrigen Mitglieder holen. Im Jahr 2010 will ich alle B’nej Menashe – die nach Israel kommen wollen – in unserem Land sehen.

Sind das nicht mehr als 6000 Menschen? Es müsste doch weitere 10'000 oder 100'000 Nachkommen geben?
Wir führen diejenigen nach Israel, die ihre jüdischen Wurzeln behalten haben und auch einwandern wollen. Im indischen Staat Mizoram sind 95 Prozent der Einwohner Christen. In den letzten Jahrzehnten entstand dort eine Bewegung: Sie besannen sich auf den Glauben ihrer Vorfahren, bauten Synagogen und errichteten vor Ort jüdische Institutionen. 6000 von ihnen sind wieder zum jüdischen Glauben gekommen.

Aber wir sind kein Missionswerk, das die Leben anderer Leute ändern will. Wir führen diejenigen in unser Land, die selber den ersten Schritt gemacht haben und Juden sind. Wir erleichtern ihnen die Rückkehr.

Wie sieht es mit den christlichen B’nej Menashe aus? Wollen die auch nach Israel?
Eine sehr gute Frage. Mizoram ist ein nordöstlicher Staat in Indien mit Grenzen an Burma und Bangladesh. Mizoram zählt rund 800'000 Einwohner. Die meisten sind Christen. Im Prinzip sind sie alle Söhne Israels, ein Teil des verlorenen Stammes Manasse. Die meisten von ihnen sind glücklich über ihre Abstammung, aber auch froh um ihren christlichen Glauben. Nun sind wir nicht Missionare, die andere zum Judentum bekehren wollen. Damit beschränkt sich unsere Arbeit auf diejenigen, die jüdisch sind und in Israel einwandern wollen, also jene 6000, die diesen Schritt machen wollen. Ihnen wollen wir helfen, ihren Traum zu verwirklichen.

Stimmt es, dass sich die B’nej Menashe als Nachfahren Aarons verstehen?
Nein, dies ist eine Verwechslung. Sie sehen ihre Abstammung von Manasse, einem der zehn verlorenen Stämme Israels. In der Bibel ist Manasse eines der beiden Kinder Josephs. Es ist sehr interessant, dass die B’nej Menashe noch heute die Lieder singen, die für diesen Stamm typisch sind. Darin zeigt sich Manasses Identität. Jetzt wollen sie zurück. Denn ihre Vorfahren wurden gegen ihren Willen ins Exil gedrängt. Immer wenn eine Naturkatastrophe oder ein grosser Sturm vorbei ist, rennen sie aus ihren Häusern, heben die Hände zum Himmel und rufen: «Die Kinder Manasses leben! Die Kinder Manasses leben!» Sie haben ihre Herkunft nicht vergessen. Über all die Jahrhunderte haben die B’nej Menashe ihre Identität nicht verloren.

Dass nun der Stamm Manasse gefunden wurde, ist das in Israel ein Zeichen dafür, dass bald der Messias kommt?
Es ist klar ein historischer Event. Der Staat Israel hat auch andere verlorene Stämme gefunden, zum Beispiel wenn man die Alija der äthiopischen Juden anschaut. Sie stammen vom Stamme Dan ab, einem weiteren der zwölf Stämme Israels. Ja, ich denke, man kann das als so ein Zeichen sehen, jedenfalls ein bedeutender historischer Event. Denn er zeigt die Kraft der jüdischen Identität: dass auch über 2000 Jahre nach der Verschleppung durch die Assyrer die Identität nie verlorenging.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die Propheten Jeremia und Hesekiel und andere sagten voraus, dass am Ende der Zeit die Verschleppten nach Israel zurückkehren werden, dass Gott seine verlorenen Juden zurück in ihr Heimatland bringt. Die Rückkehr der äthiopischen Juden und nun der B’nej Menashe wird auch als theologischer Fact angesehen.

Welche anderen verlorenen Stämme sind Ihnen und Ihrer Organisation bekannt? Es wären ja eigentlich zwölf Stämme.
All die Jahre wurde da viel spekuliert, aber auch recherchiert. Zehn Stämme wurden ins Exil verschleppt; ja, was ist mit ihnen geschehen? Wir wissen nicht genau, wo sie überall sind. Aber es gibt interessante Fälle. Itzhak Ben-Zvi zum Beispiel, ein früherer Staatspräsident Israels, beschrieb in einem Buch die jüdischen Gemeinschaften und ihre Siedlungsgebiete. In einem Kapitel sind die Paschtunen im heutigen Afghanistan beschrieben, auch Paschtu genannt. Er zeigt auf, dass auch sie einen der verlorenen Stämme Israels bilden. Viele ihrer Unterclans haben jüdische Namen oder den Vornamen Israel und haben eine ähnliche Gesetzgebung wie die jüdische und so weiter.

Wir wollen mit den Gruppen zusammenzuarbeiten, die zurückkehren wollen. Die Welt ist gross und weit, und es gibt insgesamt zehn verlorene Stämme. Das Hauptwerk werden der Messias und Gott selbst ausführen, wenn das Ende der Tage kommt. Was wir tun, ist unser kleiner Beitrag dazu.

Haben Sie bereits einen weiteren Stamm im Blickfeld, oder sind die B’nej Menashe in den nächsten Jahren ihr Hauptgeschäft?
Wir arbeiten nicht nur mit Nachkommen von Stämmen zusammen, sondern mit verschiedenen Menschen und Gruppen, die historische Beziehungen zum Land haben oder Nachkommen von Juden sind und zurückkehren wollen. Dazu gehören, wie gesagt, die B’nej Menashe, aber auch Gruppen in Spanien und Portugal, die früher zum Katholizismus konvertieren mussten. In Spanien, Portugal und Südamerika gibt es viele solcher Leute, die zurück zu ihren jüdischen Wurzeln und nach Israel wollen.

In Peru sind wir zum Beispiel mit zwei separaten Gruppen im Gespräch. Die Vorfahren der einen jüdischen Gruppe emigrierte vor rund 100 Jahren aus Marokko. Ihre Grosskinder und Urgrosskinder tragen typische jüdische Namen, und auch sie wollen zurück zu ihren Wurzeln.

* Kurz-Glossar:
Amishav: Dieses Werk wurde 1975 gegründet und hat seinen Sitz in Jerusalem. Sein Ziel ist es, jüdischen Einwanderungswilligen aus aller Welt die Einreise zu ereleichtern. Internet: www.amishav.org.il

B’nej Menashe: Steht für «Söhne Manasses». Ihre Vorfahren wurden vor 2700 durch die Assyrer verschleppt. In all den Jahrhunderten behielten sie die jüdischen Gesetze bei, begingen die Feiertage und beteten zum Teil auf hebräisch.

Michael Freund: War unter dem früheren Präsidenten Benjamin Netanjahu stellvertretender Kommunikationsdirektor. Heute ist er Direktor von Amishav. Diese Gruppe erleichtert den «verlorenen Juden» die Rückkehr in ihre Heimat.

Datum: 11.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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