Vater Abraham hat viele Söhne…

Karl-Josef Kuschel in Bad Schönbrunn.
Mehr verstehen wollen: Die Tagung im Lassalle-Haus.
Glaubt, dass Traditionen veränderbar sind: Der Weltethos-Professor aus Tübingen.

…und Ismael war sein ältester. Was bedeutet Abraham, der Stammvater der Juden, für die Beziehungen zwischen den drei Religionsgemeinschaften, die sich auf ihn beziehen? Eine Tagung im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn bei Zug bot reichlich Stoff zum Nachdenken.

Die Dialogbemühungen von Christen und Juden nach 1945 und die Versuche, mit Muslimen ins Gespräch zu kommen, sollten zu einem Trialog, einem Dreiecksdialog entwickelt werden. Der Tübinger Theologieprofessor Karl-Josef Kuschel, Vizepräsident der Stiftung Weltethos, hat in seinem neusten Buch "Juden - Christen - Muslime" das dargestellt, was er "die innere Verbundenheit der drei abrahamitischen Religionen" nennt. Im ersten von drei Vorträgen, die Kuschel am 26. Januar hielt, hob er die epochale Bedeutung von Khomeinys Rückkehr nach Teheran 1979 hervor. Dadurch sei der Islam in die Weltpolitik zurückgekehrt, was auch den Muslimen im Westen ein neues Selbstbewusstsein verliehen habe.

Das Potenzial uralter Geschichten heute nutzen

Für Kuschel (59), der von der Literaturwissenschaft zur Theologie kam, ist klar: "Geschichten rühren uns mehr an als Theorien." Er will die Geschichten, welche die drei Religionen erzählen, füreinander durchsichtig machen und aufeinander beziehen. "Die grossen Stoffe der hebräischen und der christlichen Bibel sind auch im Koran aufbewahrt", sagte Kuschel in Bad Schönbrunn. Mohammed und die Muslime hätten sie weiter interpretiert - und dies sei heute für die Verständigung unter den drei Religionsgemeinschaften zu nutzen.

Auch der Koran sehe alle Menschen als Kinder Noahs, sagte der Referent: "Wir haben die Sintflutgeschichte alle traumatisch hinter uns und leben im Bewusstsein, dass die Welt zugrundegehen kann." Kuschel verwies auf die sieben noachidischen Gebote, welche jüdische Gelehrte aus der Geschichte in der Bibel (Genesis 9) ableiteten: universale Gebote für das Leben der Völker, welche die Zehn Gebote nicht kannten.

Abraham dreifach gesehen

Der Theologe führte anhand der Gestalt Abrahams und der Verkündigung an Maria vor, wie die jüdische, christliche und islamische Heilige Schrift miteinander gelesen werden können. Für die Juden ist Abraham der Zeuge und Bürge grosser Verheissungen und Bundeszusagen Gottes - da sie ihm gegeben wurden, können seine Nachkommen ihr Vertrauen ganz auf die Bundestreue des Allerhöchsten setzen. Paulus, als Pharisäer zum Christen geworden, stellte die Weichen für den Einschluss von Nichtjuden in die Kirche, als er darlegte, dass die Verbindung zwischen Abraham und Gott vor seiner Beschneidung geschah: Durch Glauben - wie einst Abraham - steht allen Menschen die Tür zur Gemeinschaft mit Gott offen, ohne dass sie Juden werden und sich beschneiden lassen müssten.

Gott ergeben

Im Koran ist Abraham "Gott gehorsam, ein aus innerstem Wesen Glaubender" (Sure 16,120). Die Sure stammt aus den Jahren, da Mohammed in Mekka um Akzeptanz rang und seinen Ein-Gott-Glauben gegen die Götzenkulte durchzusetzen suchte. So erscheint Abraham als der grosse Kämpfer für den einen Gott. Alle drei Religionen betonen die Gottergebenheit Abrahams, doch benutzen sie ihn gemäss Kuschel unterschiedlich: Den Juden garantiert der Stammvater die Bundeszusagen, die mit dem Land ihre Zukunft eröffnen; den Christen stützt er den Glauben an Christus; für die Muslime legitimiert Abraham ihre Religion als die vollkommene, definitive Religion.

Maria und Jesus

Die Sure 19 des Koran redet von einer Zusage Gottes an "seinen Diener Zacharias", dass er einen Sohn namens Johannes haben werde. Als Zeichen für Gottes Macht kann er, der nie in seinen Gebeten verzagte, drei Tage nicht zu den Menschen sprechen (dagegen in der Bibel als Strafe für ungläubigen Zweifel neun Monate Schweigen). Kuschel betonte, dass der Koran schon Johannes' Geburt als Exempel für Allahs Macht, aus Unfruchtbarem neues Leben zu schaffen, hinstellt. In der Folge wird die Geburt von Isa (Jesus) mit wenigen Sätzen skizziert. Die Passage schildert einen doppelten Rückzug von Maria, zuerst "an einen östlichen Ort" und dann hinter einen "Vorhang", laut Kuschel, um ihre Empfänglichkeit für die Begegnung mit dem "Geist" Gottes herauszustreichen.

"Zeichen für die Menschen"

Der Koran bezeichnet Isa schon hier als "Zeichen für die Menschen", womit er als Offenbarer von Gottes Willen vor Mohammeds Zeit hingestellt wird. Maria ist die einzige Frau, die im Buch mit Namen genannt ist. Weiter legt der Koran Isa bereits als Neugeborenem Worte in den Mund, in denen er seine prophetische Berufung verkündigt ("er lässt mich gesegnet sein, wo immer ich bin"). Während die Evangelisten des Neuen Testaments die Geburt von Marias Sohn in die Geschichte Gottes mit Israel einbetten, kommen die Passagen im Koran laut Kuschel entgeschichtlicht daher - nicht die Einzigartigkeit des Menschen Jesus sei der Fokus, sondern die Macht und Einzigartigkeit Allahs, dem nichts unmöglich ist.

Kommentar

Bezüge und Unterschiede sehen

von Peter Schmid

In ihrer Breite und Sorgfalt beeindruckt die Arbeit von Karl-Josef Kuschel - sein neues Buch behandelt Adam, Noah, Mose, Maria und Jesus in den drei Religionen und geht über 680 Seiten. An den Texten lassen sich tatsächlich zahlreiche Bezüge ablesen und die Akzente, welche die drei Religionen setzen, deutlicher erkennen. Obwohl der Tenach der Juden, das Neue Testament und der Koran nacheinander entstanden, werden sie hier grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander gestellt, um Wege zum gegenseitigen Verstehen zu eröffnen. (Dies wird allerdings nur gelingen, wenn auch Muslime das Buch lesen und ernst nehmen.)

Ob aus dem Wahrnehmen und Aufnehmen der Zusammenhänge genügend Dynamik erwachsen kann, um trotz den aktuellen Ängsten, Vorurteilen und Konflikten ein "gemeinsames Wurzelbewusstsein" und etwas wie "familiäre Solidarität" zu stiften, bleibt zweifelhaft. Und das hat seinen Grund.

Mit dem Allah des Koran verbinden die Muslime ein anderes Gottesbild, als es Christen aufgrund der biblischen Offenbarung Gottes haben; dies ist nüchtern festzuhalten. Nicht wird der Gott der Muslime Mensch, sondern er bleibt in seiner absoluten, erhabenen Jenseitigkeit. Nicht schenkt er sich ihnen als Erlöser, sondern er ist unnahbarer Gebieter und Richter am Jüngsten Tag. Nicht geht er (wie Christus) als Auferstandener ins ewige Leben voran. Allah ist einer; der dreieine Gott der Christen ist Beziehung.

Wollten die Teilnehmer in Bad Schönbrunn dies mitbedenken, als sie dem fürs Weltethos engagierten Professor aus Tübingen zuhörten? Mehrfach war Unverständnis darüber zu vernehmen, dass Christen nicht besser mit den Muslimen umgehen können, wenn sie doch alle an den ‚einen Gott' glauben…

Evangelische Autoren wie Don McCurry haben vor Jahren schon eine christlich-heilsgeschichtliche Perspektive auf das unübersichtliche Feld eröffnet. "Die Heilung der zerbrochenen Familie Abrahams" (deutsch 1996) heisst das Buch des Missionars, der mit Muslimen das Gespräch sucht. Gespräch über Abraham, den Mann, der seinen Erstgeborenen Ismael fortschickte, um Isaak, dem Sohn Saras, den Vorrang zu geben. McCurry sieht Mohammed als den, der sich anschickte, "den verlorenen Platz Ismaels in der Familie Abrahams zurückzugewinnen".

Datum: 29.01.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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