«Menschenverachtende Lehren»

Der Starmoderator und der Gross-Imam

Hat der Islam ein Problem – oder aber der Westen? Oder sind beide in ihrer Existenz bedroht? Stimmen dazu aus dem Osten und dem Westen.
Starmoderator Amr Adeeb
Alexander Görlach

Amr Adeeb, Starmoderator im ägyptischen Fernsehen, rastet zur besten Sendezeit aus: Der Ursprung der Attentate in Brüssel liege im Islam, schimpft er – und mit dieser Religion könne man nicht in Harmonie leben. Rainer Hermann beschreibt den Vorfall in der FAZ: «Aus heiterem Himmel kam der Wutausbruch des ägyptischen Starmoderators Amr Adeeb nicht. Denn Adeeb, der Host der täglichen Sendung 'Kairo heute', war auf den Terroranschlag in Brüssel gekommen, als es aus ihm ausbrach: 'Das wird nicht viele erfreuen, aber die Täter waren ganz klar Muslime. Alle schreien, diese Terroristen sind keine Muslime.'»

Ihnen hält er entgegen: «Nein, ihr lügt! Sie sind Muslime und unter uns.» Auf den Einwand der Co-Moderatorin 'Aber wer hat es den Attentätern beigebracht?' platzt dem 64 Jahre alten Star der Kragen: «Vom Islam haben sie es!» Und seine Stimme überschlägt sich: «Diese schlimmen Dinge kommen aus unserer Religion, unsere Religion ist voll von diesen menschenverachtenden Lehren.» Schliesslich steigert er sich noch: «Weshalb passiert das nur beim Islam?... Wir haben doch ein Problem mit unserer Religion. Wir können mit unserer Religion nicht in Harmonie leben. Wacht doch auf und erkennt diese Realität!»

Gross-Imam setzt auf Aufklärung

Auf der andern Seite steht der Gross-Imam und Scheich der al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al-Tayyib. Auch er versteht die Angst vor dem Islam in Deutschland und Europa. Im Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» hat er aber eine andere Erklärung. Wer den Nahen Osten kenne, könne unterscheiden zwischen dem, was er sieht, und dem Islam als der Religion der Barmherzigkeit. «In Europa können die Menschen auf der Strasse das nicht unterscheiden.» Al-Tayyib sieht die Ägypter als friedliebend an, weil im Land alle vier sunnitischen Rechtsschulen gelebt und nebeneinander gelehrt würden.

In jedem anderen muslimischen Land dominiere dagegen lediglich eine Rechtsschule. Der Islam der Wasatiyya, der Mässigung und «dynamischen Mitte», erreiche die Menschen nicht. «Wir wollen dafür eine Lösung finden und brauchen dazu Mittel und die Kenntnis der modernen Kommunikationsmittel», erklärte der Gross-Imam. «Mit ihnen erreichen wir jeden, so dass ein junger Mensch den wahren Islam verstehen kann.»

Islam und der Westen in der Krise

Noch eine andere Sicht hat Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredaktor des Debatten-Magazins «The European». Anstelle einer multipolaren Weltordnung mit starken supranationalen Entitäten wie der EU und den Vereinten Nationen, auf die man nach dem Kalten Krieg gesetzt habe, stünden wir heute wieder zwischen zwei Blöcken: Die westliche Welt, ihr Liberalismus, ihr Humanismus, ihr Christentum werden herausgefordert, angefeindet und bekämpft von einer Macht, die für sich das Ideal eines Gottesstaates zum Leitbild gemacht hat, der islamistische Fundamentalismus. Dieser verfolge überall auf der Welt religiöse Minderheiten und mache auch nicht Halt vor den eigenen Glaubensgeschwistern, die eine moderatere Auslegung des Islam favorisieren.

Der Islam steckt laut Görlach in seiner tiefsten Krise. Es könne gut sein, dass er daran untergehen und in einigen Jahrzehnten nicht mehr existieren wird. Das gleiche gelte aber auch für die westliche Welt: Das freiheitliche, liberale, demokratische Lebensmodell, für das der Westen von den radikalen Killern im Namen Allahs angefeindet wird, trage er indessen selbst zu Grabe. Durch Unversöhnlichkeit, durch Panik und übertriebene Furcht. Beide Weltanschauungen, die islamische und die westliche steckten für sich in der Krise.

Die Ursache der Krise des Westens

Einer Untersuchung in westlichen Demokratien zufolge seien es vor allem die Jungen, die immer weniger Sinn in einer liberalen Gesellschaftsordnung sehen. Görlach schliesst daraus: «Wer ist eigentlich der Feind des Westens? Der Islam? Nein. Seine Gleichgültigkeit sich selber gegenüber. Im Moment haben die Trumps, Le Pens, Farags, Petrys eine Macht, den Westen zu zerstören, von der jeder Dschihadist nur träumen kann. Denn wenn aus unseren liberalen Demokratien autokratische Systeme werden, ist die freie Welt am Ende.»

Zur Webseite:
Facebook: Islam-Wutrede im ägyptischen Fernsehen

Zum Thema:
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Datum: 04.04.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / FAZ / kath.ch

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