Sind andere Religionen toleranter als das Christentum?

Ich habe es noch im Ohr, wie der indische Professor Radakrishnan den Teilnehmern der Weltkirchenkonferenz 1961 in Neu Delhi knallhart sagte: "Die Christen sind ganz gewöhnliche Menschen mit ungewöhnlichen Ansprüchen für ihren Glauben!" Das klang von dem Hindu wie ein Kapitulationsangebot: Entweder verzichtet ihr auf den Anspruch, dass Jesus allein das Licht der Welt ist, oder wir können euch nicht mehr ernst nehmen! War das nicht aber anmassend? War das nicht von dem Hindu intolerant? Mit dem Brustton absoluten Anspruchs wurde die Wahrheit vertreten, dass es viele Wahrheiten gibt, jedoch nicht die Wahrheit.

Auf andere Weise intolerant ist der Islam. Im Koran (Sure al Tawba 9,29-30) ist zu lesen: "Kämpft (gemeint ist: mit Waffengewalt) gegen jene, die nicht an Allah ... glauben und nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter (Mohammed) verboten haben, und sich nicht nach den Grundsätzen der wahren Religion (Islam) richten ... Die Juden sagen, Esra sei der Sohn Gottes. Die Nazarener sagen, Christus sei der Sohn Gottes ... Allah schlage sie tot! Wie sehr sind sie doch irregeleitet!" Solange dies in der heiligen Schrift des Islam zu lesen ist, ist es Vernebelung zu behaupten, so etwas verträten eben nur Fundamentalisten, Fanatiker! Nein, sie nehmen die Grundsätze ihres Glaubens ernst. Andersdenkende sind entweder liberal angekränkelt oder spielen aus taktischen Gründen herunter, dass der Islam politisch und religiös auf Macht und Sieg aus ist.

Religionen haben einen Wahrheitsanspruch. Es wird alles konfus, wenn jeder Mensch sich eben nach seinem eigenen Geschmack seinen Glauben zurechtfeilt, um dann das Ergebnis als "Christentum", als "Islam" oder als "Hinduismus" auszugeben. Aber gibt es nicht doch so etwas wie einen "gemeinsamen Nenner" der Religionen? Oft wird doch gefordert: Gerade ihr Religiösen aller Schattierungen müsst doch untereinander einen Weg zu mehr Gemeinsamkeit finden! Letztlich geht es doch in allen grossen Religionen um Nächstenliebe! So hat schon vor nahezu 220 Jahren Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) in seinem "Nathan der Weise" behauptet. Die Parole ist seitdem immer neu begeistert aufgenommen worden. Sogar Joseph Goebbels, der nationalsozialistische Propagandaminister, konnte seine Ideologien in diesem Raster unterbringen. Er sagte: "Während die grossen Kirchen und Religionen sich noch um die Wahrheit stritten, haben wir schon Hungrige gespeist und Frierende gewärmt!" Viele, die auf solche Parolen hereingefallen sind, haben nicht mehr nach der schrecklichen Wahrheit gefragt, die hinter dem Nationalsozialismus und seinen vordergründigen Parolen stand.

Solche Folgen konnte Lessing weder ahnen noch auch wollen. Aber schon bei ihm wurde deutlich, welcher Preis für den "gemeinsamen Nenner" der praktizierten Nächstenliebe gezahlt werden muss. Der getaufte Aufklärer Lessing riss bewusst einen garstigen Graben auf zwischen toleranten und zwischen missionarisch-aktiven Christen. So heisst es im "Nathan": "Ach, die arme Frau - ich sag's dir ja - ist eine Christin - muss aus Liebe quälen. Ist eine von den Schwärmerinnen, die den allgemeinen, einzig wahren Weg nach Gott zu wissen wähnen und sich gedrungen fühlen, einen jeden, der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken." Ein gemeinsamer Nenner liesse sich nur erreichen, wenn alle Religionen bereit sind, wesentliche Konturen ihrer Wahrheitsüberzeugung abfräsen zu lassen. Andernfalls werden sie in höchst intoleranter Weise als dem Wahn verfallene Schwärmer diffamiert. Oder als nicht ernst zu nehmende Fundamentalisten. Oder als "bornierte Selbstsichere".

In unseren Tagen klingt es fast "biblisch", wenn von den "grossen abrahamitischen Religionen" gesprochen wird, also von Judentum, Christentum und Islam. Der Koran legt einen solchen Rückzug auf den gemeinsamen Nenner des Gottes Abrahams nahe: "Abraham war weder Jude noch Christ" (Sure 3,68). Aber wer als Jude oder Christ auf dies Trittbrett aufspringen will, muss wissen: Muslime werden freudig die aufgeklärte westliche Einsicht "wir haben doch letztlich alle denselben Gott" aufgreifen! Konsequent werden sie uns dazu auffordern: "Wenn wir schon alle denselben Gott, erst recht noch den Gott Abrahams haben, dann werdet doch so rasch wie nur möglich Muslime!" Denn "Mohammed ist das Siegel aller Propheten" (Sure 33,3)! Nach der Überzeugung des Islam stehen diejenigen Abraham am nächsten, die ihm und dem Propheten Mohammed folgen.

Umeinander werben

Europa ist zum Missionsfeld anderer Religionen geworden. Uns bisher nur dem Namen nach bekannte Religionen und Heilsmethoden werben um uns. Sollen wir ihnen den Mund verbieten? Oder sollen wir mit ihnen in ein Gespräch eintreten? In ein unverbindliches - oder in eines, das auch die Konturen unseres Glaubens erkennbar macht? Ja, dies sollen wir; denn Jesus Christus will, dass wir ihn vor den Menschen bekennen und dass auch durch unser Wort Menschen dazu kommen, an ihn zu glauben. Gott will, dass Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Aber zuvor müssen wir alle wieder bewusst ganz elementar in die Bibel hineinwachsen, in die eine grosse Grundlage unseres Christusglaubens! Nur ein Beispiel dafür: Ebenso wie im Judentum spielt auch im Koran des Islam die Gestalt des Propheten Mose eine ganz grosse Rolle. Einst hatte Mose gesagt: "Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen" (oder nach der griechischen Übersetzung: "den sollt ihr hören")! Auf diesen "anderen Mose", den Messias nämlich, wartet Israel bis heute. Der Koran bezieht die Mose-Ankündigung auf Mohammed (Sure 3,75): "Als Allah mit den Propheten den Bund schloss, sprach er: ‚Wahrlich dies ist das Buch und die Weisheit, die ich euch gebe; alsdann wird zu euch kommen ein Gesandter (d. i. Mohammed), bestätigend, was ihr habt. Wahrlich, ihr sollt ihm glauben und sollt ihm helfen!'" Dies, obwohl Mohammed nicht Mitglied Israels war ("aus dir und aus deinen Brüdern").

Die Christen haben seit ihren Anfängen Jesus bezeugt als den, der von Mose angekündigt war: Jesus ist wirklich "erweckt" worden, nicht nur im übertragenen Sinn (so Apostelgeschichte 3,22-26). Bei der Verklärung Jesu hat Gott über dem "Sohn", dem "Auserwählten" ausgesprochen: "Den sollt ihr hören!" Jesus ist der "Prophet, der in die Welt kommen, soll" (Johannes 1,45; 6,14). Das "Kommen" dieses "Gerechten" hat Mose im Auge gehabt (vgl. Apostelgeschichte 7,38 und 52). "Mose war treu in Gottes ganzem Hause als Knecht, Christus aber war treu als Sohn" (Hebräer 3,5-6).

So haben die Christen Jesus Christus als den alleinigen Retter bezeugt: Gewiss und gewissmachend, einladend und um Andersdenkende werbend. Aber auch bereit zum Verlachtwerden und zum Leiden; das ist dann wahre "Toleranz". Sie haben nicht rechthaberisch auf Jesus hingewiesen, sondern authentisch und lockend: "Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden ... Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade" (Johannes 1,16-17). "Gnade um Gnade" ist für alle gedacht, Gnade zum Empfangen und zum Nehmen. Das ist etwas anderes als der Katalog von Forderungen, die erfüllt werden müssen, um zum Heil zu gelangen. Erst recht ist dies etwas anderes als das Drohen mit Gericht und Verdammnis, das sich fast auf jeder zweiten Seite des Koran findet

Datum: 26.03.2002
Autor: Rolf Scheffbuch
Quelle: idea Deutschland

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