Kreuz Christi

Das Kreuz Christi ergibt sich mit innerer Notwendigkeit aus seinem Leben

Der Kreuzestod Jesu ist nicht loszulösen von seinem ganzen Leben und Wirken. Es ist nicht so, dass Christus überhaupt erst durch seinen Tod für die Menschheit Bedeutung erlangt hat; sondern sein Tod ist so bedeutungsvoll, weil er den Abschluss dieses Lebens bildet.

Nicht dadurch, dass er sein Leben liess, ist er zum Hirten geworden, sondern weil er der Hirte war, hat er sein Leben gelassen (Joh. 10,12-14). Sein Tod ist der Brennpunkt, in dem alle Strahlen seines Lebens zusammenlaufen; erst die Strahlen, die in ihm zusammengefasst sind, machen den Brennpunkt zu dem, was er ist.

Der Tod Christi ergibt sich aus seiner Schicksalsgemeinschaft mit den Menschen

Der orientalische Hirte teilt alles mit seiner Herde. Er ist Tag und Nacht mit ihr in der Wüste oder wo der Weg sie hinführt. Er erträgt mit ihr alle Unbill der Witterung, Mangel, Durst. Er weiss sich als den verantwortlichen Führer des Ganzen, aber auch als Beschützer jedes einzelnen. Er ist der, der die Richtung anzugeben, überall vor dem Riss zu stehn und jedem drohenden Angriff die Stirn zu bieten hat.

Das ganze Leben Jesu zeigt uns ihn als den, der auf das innigste den Menschen verbunden ist, derart, dass er alles mit ihnen teilt und alle ihre Not unmittelbar als die seine empfindet. Er ist sich dessen bewusst, der Führer der Menschheit zu sein (»Ich bin der gute Hirte, das Licht der Welt«), an dem allein alle übrigen sich orientieren können.

Er hat die Richtung anzugeben. An ihm ist es, die Menschen durch alles Dunkel und Dickicht hindurch ans Ziel ihrer Bestimmung zu bringen. Geht es nicht anders, so gibt er sein Leben daran. Es geht ihm um den Durchbruch aus dem Elend der Gottesferne, in dem er seine Mitmenschen sieht, zurück zur oberen Heimat.

Das Kreuz Christi ist aktiver Kampf gegen die Religion ohne Gott

Das grösste Hindernis für den Menschen auf dem Weg zu Gott ist die gottferne (gesetzliche) Frömmigkeit. Denn gerade da, wo Menschen abseits von Gott fromm werden, sind sie am hoffnungslosesten von ihm geschieden. Darum steht Christus von vornherein im Kampf mit den Trägern dieser Religion.

Diesen Kampf führt er mit zunehmender Schärfe bis zum letzten grossen Konflikt. Es ist nicht so, wie man oft denkt, als wäre die Passion ohne sein Zutun über ihn gekommen, als hätte er seinen Tod bloss erduldet. Den grossen Entscheidungskampf zum Schluss hat Christus gewollt; er hat ihn, als es soweit war, bewusst herbeigeführt.

Mit dieser Absicht schlägt er auf der letzten Wanderung die Richtung »stracks nach Jerusalem« ein. Sein ganzes Tun (Auferweckung des Lazarus, Einzug in Jerusalem, Tempelreinigung usw.) und Reden (Weherufe gegen die Pharisäer, Matth. 23 usw.) zielt darauf ab, den Kampf zum Austrag zu bringen.

Jesus tut das vor allem im Hinblick auf seine Jünger. Sie sollen die Träger seines Werkes sein. Es besteht aber die äusserste Gefahr, dass die tiefversteckte Heuchelei der damaligen Frommen sie verblendet und sie um das bringt, was Jesus ihnen gab. Sind aber erst die Jünger blind gemacht, so tappt die ganze Welt im dunkeln. Darum gilt es, die herrschende Frömmigkeit zu entlarven, damit es niemand verborgen bleibt, wie verlogen und gottfeindlich sie ist.

Wie der Hirte nicht erst wartet, bis der Wolf seine Herde zu würgen beginnt, sondern ihm zuvorkommt und ihn seinerseits angreift, so geht Jesus zum Angriff über gegen die, die ihm sonst sicher seine Jünger verführen werden. Den entscheidenden Schlag gegen sie führt Jesus durch seine Passion. Seine Passion ist die höchste Aktion.

Gerade dadurch, dass er seinen Feinden keine Gewalt entgegensetzt, führt Christus sie dazu, dass sie mit ihrer ganzen versteckten Bosheit herauskommen: die Frömmsten lästern, die Spitzen der Gesellschaft spucken einen Sterbenden an, hohe kirchliche Würdenträger und angesehene Theologen erweisen sich als Spötter und Verächter der göttlichen Wahrheit, die Höchstgebildeten als jeder Roheit fähig. Sie sind ihrer Gottlosigkeit überführt.

Das Kreuz Christi ist Durchbruch durchs Gesetz

Durch den Bankrott der Gesetzesfrommen ist gleichzeitig das Gesetz erwiesen als durchaus unfähig, den Menschen Gott näher zu bringen, ihn innerlich zu wandeln. Es ist ein für allemal erwiesen, dass das Gesetz den Menschen nur scheinheilig, niemals aber heilig machen kann. Damit ist das Gesetz als Weg zu Gott erledigt.

Das Kreuz Christi ist der Durchbruch durchs Gesetz. Es hat dargetan, dass ohne neue Schöpfung der frömmste Mensch weltenweit von Gott geschieden und der Gebildete nur ein Zerrbild des göttlichen Ebenbildes ist (Gal. 6,12). Darum sind die Anhänger des Gesetzes Feinde des Kreuzes (Phil. 3,18). Darum ist das Wort vom Kreuz den (gesetzeseifrigen) Juden ein Ärgernis und den (bildungsstolzen) Griechen eine Torheit.

Wer Verbindung mit Christus hat, dem ist die ganze Welt, die fromme wie die unfromme, gekreuzigt (Gal. 6,14).

Das Kreuz Christi ist Durchbruch durch ein göttliches Verhängnis

Das Kreuz Christi ist zugleich der Durchbruch durch das auf den Menschen lastende göttliche Verhängnis. Denn es ist von oben her über den schuldigen Menschen verhängt, dass er unter der übermächtigen Einwirkung finsterer Mächte steht (Matth. 18,34. 35; Röm. 1,24. 26; vergleiche das Wort Jesu vom Lösegeld: man löst Menschen aus der Schuldhaft, Mark. 10,45); wäre das nicht göttliches Verhängnis, es könnte gar nicht sein.

Christus, obwohl er sich selbst frei weiss von aller Schuld, macht sich dennoch verantwortlich für die Schuld seiner Mitmenschen; sie lastet auf ihm so schwer, wie nur je eigene Schuld drücken kann. Das zeigt sich schon in seiner Taufe: diesen Akt der Busse vollzieht er um der gewaltig auf ihm lastenden Not seines Volkes willen. Er sagt: »Es gebührt uns« (Matth. 3,15). Johannes hat gerade bei der Taufe den Eindruck empfangen, dass Christus die Schuld der Menschheit schwer aufliegt (Joh. 1,29. 36).

Der Weg zum Durchbruch ist der völlige Gehorsam

Das unmittelbar bevorstehende Offenbarwerden der äussersten Schmach seines Volkes (seiner Jünger, der Menschen überhaupt), dessen künstlich geheimgehaltene Gottesfeindschaft nun nackt und riesengross sich zeigen wird, wirft ihn in Gethsemane zu Boden.

Davor, dass es dahin kommen muss, schreckt er anfangs zurück. Aber muss es so gehn, so weigert er sich auch dessen nicht und geht mit in diese Finsternis und ist mit hineingeworfen in die letzten Abgründe der Gottverlassenheit. In alledem geht er den Weg des unweigerlichen Gehorsams, der nicht danach fragt, was günstig oder aussichtsvoll erscheinen mag, sondern einzig danach, wie er von oben geführt wird. Allen eigenen Bedenken, allen Widerständen, allen Nöten zum Trotz hält er fest an der göttlichen Führung.

Da, wo es als besiegelt erscheint, dass dieser Weg rettungslos im Abgrund endet, bleibt Christus dennoch dabei, dass der Vater, der ihn ihm gewiesen, ihn eben auf diesem Weg zum Sieg führen wird. Er glaubt mitten in der Hölle an Gott. Er glaubt trotz des teuflischen Antlitzes, das die Menschheit ihm zeigt, dennoch an ihre göttliche Herkunft und Bestimmung. Er lässt seine Mörder nicht in den offenen Schlund des Verderbens fallen, sondern hofft und betet für sie.

Es findet sich innerhalb der Menschheit doch einer, der die Treue hat, zu glauben und zu lieben, wo alle anderen versagen. Dieser eine Tapfere sprengt die Schranken des göttlichen Verhängnisses; er dringt wieder durch in die nächste Nähe Gottes. Dadurch, dass mitten aus der äussersten Finsternis der Menschheit einer der ihren durchgebrochen ist, ist nun überhaupt ein Durchbruch vorhanden. Es ist Bresche eingelegt in die das Menschenleben umlagernden Finsternismächte. Der Weg zum Vater ist wieder frei.

Christus drückt es auch so aus: Was alle anderen schuldig geblieben waren, hat einer erstattet - dadurch ist die Tür des Schuldgefängnisses für alle geöffnet (Mark. 10,45; Röm. 5,18.19). Die Verbindung mit der oberen Welt ist wiederhergestellt. Das Kreuz Christi bringt die Versöhnung mit Gott (Eph. 2,16).

In seinem ganzen Wirken hatte Christus schon so oft im einzelnen die Schranken der gottfernen Menschheit durchbrochen; das Sterben am Kreuz war der Generaldurchbruch aus dem Gefängnis ins Vaterhaus.

Es ist zu beachten, dass die Apostel das Kreuz Christi nie loslösen von der Person des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Nicht das richtige Prinzip der Erlösung verkündigen sie, sondern den gegenwärtigen Erlöser. Wo Christus nicht gegenwärtig ist, kann das »Kreuz Christi« nicht wirken.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service