Heilige (Menschen)

Heilige sind Menschen, in denen der Heilige gegenwärtig ist

Heilige sind nicht solche, die andere an Tugenden übertreffen, nicht sittliche Helden oder religiöse Genies, nicht solche, die ihre Seelenkräfte zur Höchstentfaltung gebracht haben, auch nicht Idealmenschen, also nicht solche, in denen ein Ideal annähernd oder vollkommen verkörpert ist. Heilige sind im Neuen Testament Menschen, in deren Person der Heilige gegenwärtig ist.

Heilige sind die, in deren Leben etwas hineinstrahlt von der vollkommenen Güte und fleckenlosen Reinheit des himmlischen Vaters. Heilige sind Repräsentanten, Träger, Gefässe eines Willens, der ganz anders geartet ist als der in diesen Weltzuständen herrschende. Heilige sind Menschen, die Berührung haben mit der oberen Lichtwelt.

Im Leben der Heiligen ist der Rahmen der hier unten herrschenden Gewohnheiten, Traditionen, Anschauungen durchbrochen; sie können ihrem Wesen nach den hier gehegten Idealen nicht entsprechen, denn was ihnen gegeben ist, ist weit grösser, als irgendein Ideal vor Augen malen kann. Ihnen ist das offenbart, »was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist« (1. Kor. 2,9. Die Stelle spricht nach dem ganzen Zusammenhang nicht von dem Leben nach dem Tod, sondern vom Leben hier: »uns aber hat Gott es offenbart«, V. 10).

Heilige sind nicht sündlos

Die berühmte Frage, ob Heilige denn vollkommen sündlose Leute seien und - wenn sie es nicht seien - wie man sie dann Heilige nennen könne, ist eine Verstandesfrage, die am Leben vorbeitappt.

Wenn Bach auf einer alten Dorforgel spielt, wird es durch alle Mängel des Instruments klar hindurchzuhören sein, dass ein unvergleichlicher Meister da ist. Und wenn Christus ein Menschenleben zu seinem Instrument macht, mag man es noch so deutlich hören, dass hier etwas verstimmt und da eine Saite gerissen ist: dennoch vermag das unvollkommene Instrument den vollkommenen Spieler nicht ganz in den Schatten zu stellen.

Im Gegenteil: der so deutlich wahrgenommene Abstand zwischen beiden wirkt erst recht erschütternd, lässt den Genius des Meisters erst richtig ausstrahlen und schneidet jede Möglichkeit ab, die Schönheit des Spiels der Güte des Instruments zuzuschreiben (vgl. 1. Kor. 1,26-29).

Im Leben der Heiligen ist der Abstand zwischen ihnen und Christus nicht vertuscht; er ist deutlich wahrnehmbar. Darum leiden solche Menschen nicht am Makel des Gelobtwerdens: um ihrer Werke willen wird der Vater im Himmel gepriesen (Matth. 5,16).

Heilige sind Menschen, mit denen man nicht wagt, Personenkult zu treiben, weil das, was in ihnen lebt, viel zu erschütternd gross ist, als dass man es ihnen zuschreiben könnte. Heilige sind Menschen, bei denen es unmöglich ist, an sie zu glauben, durch die es aber »andern erleichtert wird, an Gott zu glauben« - aus dem einfachen Grund, weil Gott da ist in ihrem Leben.

Heilige sind Menschen, die ihr Bestes schaffen, weil Gott in ihnen wirkt

Am vorher angeführten Bild von der Orgel ist ein Zug nicht auszudeuten: Heilige sind nicht rein passiv wie Instrumente. Sie erleiden die Heiligkeit nicht bloss. Nach einer anderen Seite sind sie Soldaten zu vergleichen, die einen grossen Feldherrn haben. Zwar gestaltet sein Genius das Ganze und beseelt irgendwie alle bis zum letzten Mann mit seinem Willen - und doch ist es so, dass gerade das Vorhandensein eines überragenden Führers für jeden einzelnen ein gewaltiger Antrieb ist, sein Bestes herzugeben. Gerade so ist es bei den Heiligen.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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