Glaube

Glauben heisst im Hebräischen: gewiss sein, sein Vertrauen darauf setzen, ja sagen, ergreifen, festhalten, treu sein; der griechische Ausdruck pistis bedeutet Treue, im Deutschen ist glauben verwandt mit geloben (Treue versprechen, sich zu eigen geben).

Wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass ein Mensch glaubt, so hat das die Grundbedeutung, dass der Mensch festhält an seiner Zugehörigkeit zu Gott, - dass er seiner göttlichen Herkunft treu bleibt, - dass er sich nicht abdrängen lässt von seiner himmlischen Heimat.

Glaube ist Heimweh

Dieses Festhalten, diese Treue äussert sich auf verschiedene Weise, je nachdem, in welcher Lage der Mensch ist. Ist er fern von Gott, so überkommt ihn ein heftiges Heimweh, ein anfangs leiser, aber später immer mächtigerer Drang, zurückzukehren zu seinem Ursprung. Diese Äusserung der Treue zur angestammten Heimat nennt Jesus Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit (gerecht sein heisst: Gott nahe, Gott verbunden sein).

Der Glaube ist beim Menschen, der von Gott geschieden ist, ein elementares, schmerzliches Verlangen zurück zu ihm. Diese tiefe Sehnsucht ist durch nichts zu beschwichtigen, sie ist ein untröstliches Leid, das seinen Trost nur findet, wenn das Ziel der Sehnsucht erreicht ist (Matth. 5,4.6).

  • Glauben heisst: es als unabweisbare Notwendigkeit empfinden, dass man über alles Trennende hinweg wieder zurückfindet, dahin, woher man kam.
  • Glauben heisst: auf jede Weise einen Durchbruch suchen durch die vorhandenen Hindernisse und stürmisch anklopfen an die verschlossenen Türen des Himmels (Luk. 11,9.10).
  • Glauben heisst: bestehen bei der Hoffnung (Hebr. 11,1), dass diese Türen einmal aufgehen.

Glaube ist Heimkehr

Heimweh verursacht Schmerzen. So ist der Glaube, solange dem Menschen die Nähe Gottes fehlt, eine Quelle tiefer Unruhe, qualvoller Leiden. Ein so grosses Verständnis für diese Not spricht aus der Bergpredigt. Sie beginnt mit dem Zuruf an alle Heimwehkranken: Lasst euch diese Schmerzen nicht leid sein! Es ist nicht umsonst, dass ihr Tag und Nacht von Weh verzehrt werdet. Haltet noch ein wenig aus, dann wird euer Leid getröstet, euer Hunger gestillt, eure Armut zur Überfülle.

Festhalten an der Heimat und ihrer Art kann ich auf die Länge freilich doch nur in der Heimat. Der Glaube kommt zu seinem Wesen erst richtig, wenn er nicht mehr nur sucht, sondern auch fand; wenn auf sein Fragen die Antwort, auf das Pochen das Öffnen folgte, - wenn Gott nahe kam, wenn er, der bisher verborgene, zum offenbarten Gott wurde.

Geschah das, dann wurde aus den blassen Vorstellungen der Sehnsucht das Überwältigtsein (Überführtsein, Hebr. 11,1) der Erfüllung, dann wurde das tiefe Leid zur Seligkeit (Matth. 5,4). Der richtige Glaube ist Seligkeit, ist Erfüllung, Heimkehr, Überwältigtsein. Er kommt nur dadurch zustande, dass von oben her Bresche eingelegt wird in alle die Scheidewände, die zwischen Gott und Mensch bestanden; dass der Mensch durch seine Berührung mit dem Schöpfer von seinem Starrkrampf erlöst wird und einen Strom göttlichen Lebens in sich spürt: Wir glauben durch die mächtige Wirkung seiner Stärke, die er gewirkt hat in Christus, als er ihn auferweckte von den Toten (Eph. 1,19.20).

Glaube ist persönliche Berührung mit Christus, ist Anschluss an ihn

Es geht wie ein roter Faden durchs ganze Neue Testament: Dieser Einbruch der Gotteswelt in unsere Welt geschieht durch Christus. Er brachte in seinen Erdentagen die Menschen in die Nähe Gottes.
  • Er öffnete ihnen den Himmel und holte unerhörte Kräfte der Heilung und Erneuerung herab.
  • Er hat durch seinen Gehorsam die Mächte der Finsternis entmachtet und durch ihre Reihen hindurch eine Bahn gebrochen zur oberen Welt.*
  • Er ist von den Toten auferweckt, in die nächste Nähe Gottes erhöht und hat teil an der Hoheit des Vaters.
  • Er wirkt von oben herein in diese Weltzustände.
  • Er holt durch sein persönliches Eingreifen Menschen heraus aus ihrer Gottesferne und gibt ihnen die Gemeinschaft mit dem Vater im Himmel wieder.

Es gibt keine zweite Person, die das könnte (Apg. 4,12; 1. Tim. 2,5). Dem bis ins Mark erschütterten Mann in Philippi sagt Paulus: »Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus errettet« (Apg. 16,31), das heisst: Ergreife den hier gegenwärtigen Jesus und halte fest an ihm, so bist du heraus aus deiner Gottesferne.

Es geht den Aposteln nicht darum, dass ihre Hörer festhalten an einer Lehre, sondern darum, dass sie Anschluss finden an eine Person; sie sollen nicht an das Kreuz Christi oder an seine Auferstehung glauben, sondern an ihn, den für sie Gekreuzigten und Auferstandenen. Wenn die Apostel zum Glauben auffordern, so bedeutet das immer, ihre Zeitgenossen sollen die Gelegenheit wahrnehmen, die sich ihnen bietet: in unmittelbare persönliche Berührung mit Christus zu treten und durch ihn mit Gott.

Der Glaube entsteht durch den Dienst der Botschafter, das heisst durch eine jedesmal stattfindende Offenbarung

Dieser Glaube wird nicht durch Lehrvorträge gewirkt. Die Apostel lehren wohl auch, aber immer nur, um den Glauben vorzubereiten oder den schon vorhandenen zu fördern. Der Glaube selbst entsteht nur durch die Botschaft, das heisst: durch die Mitteilung, dass der erhöhte Christus jetzt gegenwärtig und es daher möglich ist, sich an ihn zu schliessen.

Paulus spricht es einmal deutlich aus, dass ohne solch eine Botschaft niemand zum Glauben kommen kann (Röm. 10,14. Luther übersetzt: »Wie sollen sie hören ohne Prediger?« Der griechische Ausdruck lautet: Herolde, Ausrufende).

In der vollmächtigen Verkündigung der Boten ist Gott gegenwärtig, offenbart er seine Gewalt, holt er Menschen herum und legt persönlich Beschlag auf sie. »Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten« (Apg. 10,44). Der Glaube entsteht sowohl durch vergangene Offenbarungen als durch gegenwärtige - nicht so sehr durch gewesene Gotteswirkungen als durch vorhandene -, nicht zunächst durch das einst geschehene Werk der Erlösung, sondern durch eine jetzt geschehende Tat des Erlösers.

Erst solch eine Berührung durch die Person Christi macht das Werk Christi am Menschen wirksam. Die jetzt über mich kommende Offenbarung erschliesst mir erst die früheren. Glauben heisst: da, wo solche Offenbarungen stattfinden, sich überführen lassen, sich mit Beschlag belegen lassen.

Glauben heisst: in die geöffneten Tore der himmlischen Heimat eintreten. Darum macht der Glaube gerecht, das heisst: er macht gottnah, gotterfüllt, gotterleuchtet; er macht normale, echte, rechte Menschen.

Der Glaube besteht dauernd, wo der Mensch festhält an der Führung Christi

Glauben heisst: den Anschluss nach oben haben durch Christus. Glauben heisst aber auch, diesen Anschluss festhalten wie Christus. Er sagt: »Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht« (Joh. 5,19).

So kann der Glaubende nichts tun, als was ihm von Christus gewiesen wird. Solange man noch allerlei tun kann ohne klare Weisungen von oben, ist man kein Glaubender, hält man nicht fest daran, dass Christus der Herr ist, der allein im Leben zu bestimmen hat. Bleibt einmal der Befehl von oben aus, so wird der Glaubende wieder zum Wartenden. Er steht dann wieder fragend, arm, hungernd da und besteht treu darauf, dass das Licht doch kommen wird.

Dann kommt es auch, und er wird aufs neue davon überführt, dass er einen Führer hat, auf den Verlass ist. So geht es aus Glauben in Glauben (Röm. 1,17), das heisst: aus dem Glauben, der ein treues unbeirrbares Erwarten ist, in den Glauben, der Überwältigtsein, Erfülltsein, Berührtsein von oben ist.

Glaube ist Entsicherung, ist der Schritt aus dem Gebiet des Berechenbaren in die Zone göttlicher Überraschungen

Der Glaube kann sich nicht mehr an blossen Grundsätzen oder am Gesetz orientieren. Zieht man das Gesetz zu Rate, so muss man doch selbst darüber bestimmen, welches Stück Gesetz jetzt in Frage kommt und wie man es anwendet. Man bleibt auf diese Weise doch sein eigener Herr.

Es kann sich auf die Dauer ein Mensch (oder eine Gemeinde) aus den Grundsätzen und Lehren der Bibel ein System bauen, so fein ausgeklügelt, dass dadurch der ganze Eigenwille, das ganze satte, selbstzufriedene Dasein des Weltmenschen vollständig gesichert ist. - Der Glaube bringt die grosse Entsicherung des Menschen. Er schaltet alle gesetzlichen Ordnungen und Zwischeninstanzen aus und stellt jeden einzelnen unmittelbar vor die Person des Oberherrn, von dem jeden Augenblick ungeahnte und unerhörte Weisungen kommen können.

  • Glauben heisst: das Gebiet des Berechenbaren verlassen haben und fortgesetzt Überraschungen erleben. Die Apostelgeschichte zeigt uns Menschen, die Mal für Mal von einer höheren Führung überrascht werden.
  • Glauben heisst: dieser oberen Führung treu bleiben, und wenn es noch so abenteuerlich wird (2. Kor. 6,1ff.).
  • Glauben heisst: kategorisch darauf verzichten, im Gesetz nachzuschlagen, was man jetzt tun soll, denn das hiesse ja wieder zurückbiegen in den Bereich des Berechenbaren, Selbstherrlichen und sich der Führung Christi zu entziehen (Röm. 7,1-6). Ist der Glaubende frei vom göttlichen Gesetz, wieviel mehr von menschlichen Satzungen und Traditionen! Er steht derart über ihnen, dass er sich je nach der Orientierung, die er für seinen Dienst bekommt, völlig in sie hineinstellen oder aber den entscheidenden Bruch mit ihnen vollziehen kann (1. Kor. 9,20-23).
  • Glauben heisst: nicht nur die allgemeine Überzeugung haben, dass Gottes Herrschaft der Welt nottut, sondern im besonderen daran festhalten, dass jetzt in dieser Lage, für diese Aufgabe, für diesen Menschen seine Nähe unveräusserlich nötig ist, und nicht ruhen, bis mitten im Dunkel einer ganz bestimmten menschlichen Not das Licht der göttlichen Gegenwart aufleuchtet.

Glauben heisst: von Christus ergriffen und in den Strom seiner Liebesenergie eingeschaltet sein

Glauben heisst: das Leben, das aus Gott kommt, ergreifen, aber es heisst ebenso: von Christus ergriffen sein (Phil. 3,12). Das bedeutet nicht bloss, dass der Mensch innerlich hingerissen ist. Er ist tatsächlich von einem höheren Willen hingenommen. Er ist Leibeigener eines anderen geworden.

Es ist sein Schicksal, dem er sich nicht mehr entziehen kann, dass er als Mitwirkender in das Werk dieses anderen hineingestellt ist. Durch die persönliche Berührung mit Christus ist er elementar erfasst von dessen Willen, allen Menschen zu helfen. Darum sagt Paulus: Nur der Mensch hat Glauben, von dem eine wirkende »Energie« der Liebe ausgeht (Gal. 5,6 Urtext).

Glaube ist Ergreifen der Lebenskräfte Christi; ist die unweigerliche Verantwortung dafür, dass die Werke Christi geschehen

Aber mitten in diesem Ergriffensein ist der Glaube doch auch unablässiges Ergreifen; er kommt wie ein Schicksal und ist doch auch ganz persönliche Haltung, bewusster Gehorsam und stete, im Kleinsten sich bewährende Treue des Menschen.

Glaube ist erst ein Hören und Horchen auf Gottes Wort, auf das Evangelium. Dann ist er ein Gehorchen, ein Annehmen, Bewahren und Folgen. So gebraucht Paulus gern die Ausdrücke: »Hören des Glaubens« (akoé pisteos) und »Gehorsam des Glaubens« (hypakoé pisteos). Und er sagt: »Im Evangelium wird Gottes rettende Gerechtigkeit offenbart aus Glauben zum Glauben« (Röm. 1,17), das heisst: aus glaubendem Hören und Lauschen auf das Wort zum glaubenden Gehorchen, Annehmen, Bejahen und Festhalten des Gehörten.

Jesus lehnt es mit gewaltigen Worten ab, eine rein innerlich religiöse Haltung, die das praktische Leben an der Wurzel unverändert lässt, als Glauben anzuerkennen. Er lässt sich mit Andachtsübungen oder korrekter dogmatischer Anerkennung seiner Person nicht abfinden. Zu denen, die nicht den Willen seines Vaters taten, wird er sagen: »Ich habe euch noch nie gekannt.« Und diejenigen, die in den unansehnlichsten unter ihren Mitmenschen nicht seine Brüder ehrten, stellt er den Dienern des Satans gleich (Matth. 7,21-23; 25,41).

An Gott festhalten heisst: festhalten am Wert des Ebenbildes Gottes. Gott treu sein heisst: seinen Mitmenschen treu sein. Mit anderen Worten: An Gott glauben heisst: an den göttlichen Wert des Menschenlebens glauben.

Glaube ist nicht horizontale, sondern vertikale Blickrichtung

Glauben heisst: unverbrüchlich daran festhalten, dass der Allmächtige gewaltig und gütig ist, seine Werke zu tun, wenn auch gar keine Möglichkeit einer Gotteshilfe abzusehen ist (Joh. 20,29; Hebr. 11).

Der Glaubende bleibt nicht stehen bei den Verhältnissen, bei den Widerständen, bei seinem inneren Zustand. Seine Blickrichtung geht nicht der Erde entlang: »Ich glaube an die allmächtigen Verhältnisse, an die unabänderlichen Zustände«, sondern er sieht steil aufwärts: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer.« **

Der Glaube, wenn er vom Schöpfer spricht, meint nicht nur das Perfektum: Gott hat geschaffen, sondern auch das Präsens: Gott schafft. Für das, was geschehen mag, ist ihm nicht massgebend das, was aus einer horizontalen Richtung kommen könnte (was sich aus den Zeitbedingungen entwickeln mag), sondern das, was »senkrecht von oben« kommend alle Wahrscheinlichkeitsberechnungen über den Haufen wirft.

Glaube ist Übermacht über alle Mächte der Welt

Wer allen gegenteiligen Meinungen zum Trotz treu daran festhält, dass ein Machtwort des Schöpfers auch heute noch mitten in wüsten und leeren Weltzuständen etwas Herrliches ins Dasein rufen kann, - der fasst die Allmacht, der macht die Mächte des Himmels mobil, der kann Berge versetzen und Bäume entwurzeln, der wird auch in einer Art allmächtig: »ihm ist nichts unmöglich.«

In diesem Sinne ist das Johanneswort zu verstehen: »Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat« (1. Joh. 5,4). Im Glauben wohnt eine so übermächtige, von oben her kommende Kraft des Guten, dass die gewaltigen Mächte des Bösen innerhalb der Welt davor kapitulieren müssen. Wo Glaube ist, ist das Gute so elementar, so wuchtig, so durchschlagend, dass es auch uralte, stark befestigte Schanzen der Finsternis im Sturme nimmt.

Glaube ist Festhalten am göttlichen Ziel der Geschichte

Endlich: Mit dem Glauben hängt unmittelbar zusammen die Hoffnung, die gewisse Erwartung, dass einmal die ganze Welt, die Menschheit samt der übrigen Schöpfung wiederhergestellt wird zu ihrer ursprünglichen göttlichen Reinheit und Schönheit.

Der Glaube hält inmitten aller Weltkatastrophen und zeitweiligen Triumphe des Bösen treu fest an der Hoffnung, dass Christus einmal wiederkehrt, sich endgültig als Sieger erweist und alles Geschaffene vollendet.

* Siehe den Artikel zu »Kreuz Christi«.
** So lautet die erste Zeile des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. (Livenet)

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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