Gericht

Gericht ist Scheidung, Entscheidung

Gericht heisst im Griechischen krisis. Das bedeutet: Klärung, Scheidung, Entscheidung und dann auch Urteil, Verurteilung, kategorische Ablehnung des Bösen, manchmal auch Verdammnis.

Jesus sagt den Frommen seiner Zeit, sie brächten mit peinlicher Korrektheit jedes zehnte Anis- oder Kümmelkorn dar, aber sie versäumten das Gericht und die Barmherzigkeit (Matth. 23,23; Luk. 11,42). Als eine Hauptschuld jener Frommen ist es hier hingestellt, dass sie nicht klar scheiden zwischen gut und böse (göttlich und widergöttlich) und dass sie das erkannte Böse nicht radikal ablehnen.

In allem, was wichtig ist, nehmen sie eine Kompromissstellung ein. Sie drücken sich um die Entscheidung. Sie wollen weder dem Bösen noch der Not des Bruders an die Wurzel greifen. Im oberflächlichen Tun, in dem, was scheinbar wohltätig oder gegen das Böse gerichtet ist, sind sie überaus eifrig.

Das hereinbrechende göttliche Licht führt jedesmal zu einer Krisis

Ganz anders der himmlische Vater. Er kennt keine halben Massnahmen. Er bringt alles zur Klärung und zum Austrag. Es entspricht nicht seinem Wesen, der Welt das Verdammungsurteil zu sprechen.

Er sendet seinen Sohn, um sie zu retten (Joh. 3,17). Aber er kann sie nur so retten, dass er das volle Tageslicht scheinen lässt in das bei ihr herrschende Helldunkel, damit jeder völlig erkennen kann, was denn gut und was böse ist. Wer freilich dann, wenn Gott das volle Licht sendet, es vorzieht in der Finsternis zu bleiben, kommt unter das ablehnende Urteil Gottes, er gerät vollends in die Finsternis der Gottesferne.

Solange es dunkel ist (solange keine gottgesandten Männer da sind), mag eine unbestimmte Haltung hingehen. Wenn das Licht von oben kommt, muss jeder sich entscheiden, wohin er sich wendet (Joh. 3,19; Apg. 17,30).

Der Tod Jesu ist das Gericht über die Welt

Wie ernst es Gott damit ist, die radikale Scheidung zwischen gut und böse durchzuführen, in die letzten Schlupfwinkel der Finsternis hineinzuleuchten und der Heuchelei ihr Urteil zu sprechen, das zeigt uns der Tod Jesu.

In diesem Sterben vollzieht sich das Gericht über die Welt (Joh. 12,31). Hier schäumt alles heraus, was vorher unter dem Deckel grosser Frömmigkeit verborgen gewesen war. Die, die den einzigen ganz Guten und Reinen aus ihrer Mitte stiessen und umbrachten, haben sich damit selbst das Urteil gesprochen, dass sie im Grunde ihres Wesens gottlos und unrein sind. Das ist ihr Gericht. Und weil wir Menschen es in diesen Weltzuständen im günstigsten Fall zu solch einer Scheinfrömmigkeit bringen, darum ist, was am Karfreitag geschah, unser aller Gericht.

Nicht nur über uns selber wird uns hier das Urteil gesprochen, sondern Gott hat im Kreuz Jesu die Sünde im Fleisch verurteilt und gerichtet (Röm. 8,3). Dort »wurde unser alter Mensch mit ihm zusammen gekreuzigt, damit der Leib der Sünde vernichtet werde« (Röm. 6,6). Mit diesem Kreuz meinte Gott uns, es ist das Gericht über alle Sünde und alles Fleisch. »Das Kreuz Jesu ist das gewaltsame Gericht über unsere Sünde, hier wurde unser alter Mensch totgeschlagen« (Adolf Schlatter).

Gottes Gerichte erfolgen in einem bestimmten Moment und einmalig

Die grossen Scheidungen und Entscheidungen, die Gott herbeiführt, erfolgen immer zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte, und zwar einmalig und unwiederbringlich. Werden solche Gelegenheiten versäumt, so sind sie nicht mehr einzuholen.

In solchen Zeiten hängt das Schicksal eines ganzen Volkes (oder einer Kirche) an der Haltung der Führer. Ein ganzes Volk ist für Jahrhunderte in Blindheit und Materialismus dahingegeben, weil seine Leiter in einem bestimmten geschichtlichen Augenblick die Botschaft Jesu und seiner Apostel nicht annahmen.

Das Neue Testament zeigt uns den lichten Ausblick, dass auch solch ein Verhängnis noch einmal gewendet werden kann, dass auch mit solch einem Gericht schliesslich auf eine grosse Zurechtbringung abgesehen wird (Röm. 11,32). Aber daneben sehen wir im Neuen Testament, welche erschütternden Folgen es auf lange hinaus hat, wenn einmal gegebene Gottesstunden verkannt oder verträumt werden.

Alle Gerichtszeiten in der Geschichte sind Vorboten und Vorbereitung des Jüngsten Gerichts, der letzten grossen Scheidung und Entscheidung (Matth. 25,31-46).

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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