Geist (des Menschen)

Dreiteilung des Menschen

Das Neue Testament unterscheidet im Menschen Geist (pneuma), Seele (psyché) und Leib (sóma). Manchmal werden die Bezeichnungen Geist und Seele fast unterschiedslos gebraucht (zum Beispiel Luk. 1,46.47: »Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes«). In der Regel aber wird zwischen Geist und Seele deutlich unterschieden.

Der Geist ist das Organ für die Verbindung mit Gott

Der Geist ist das Organ, durch das der Mensch mit Gott in Beziehung zu treten vermag. Der Geist ist dasjenige im Menschen, wodurch er Gott benachbart ist; vom Geist her empfindet der Mensch eine tiefe Unruhe, wenn er Gott fern ist, eine mächtige Nötigung, ihm wieder zu nahen.

»Durch den Geist ist dem Denken des Menschen Gott so eingegründet, dass die Anerkennung Gottes die Voraussetzung und Vorbedingung alles normalen, wahren und vernünftigen Denkens ist. Ist in einem Menschen der Geist gesund, so braucht er nach keinen besonderen Beweisen für das Dasein Gottes zu fragen - er trägt den selbstverständlichen Gottesbeweis in sich. Alle menschliche Denktätigkeit, Weisheit und Wissenschaft würde, wenn in ihr richtig der Geist schaffte, den Gottesglauben als heilige Grundlage in sich haben. Durch den Geist ist auch der Wille des Menschen an Gott gebunden, ihm verpflichtet, vor ihm verantwortlich gemacht« (Adolf Schlatter).

Aber der Geist des gefallenen Menschen ist nicht gesund, sondern krank. 1. Korinther 2,14: »Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes.« »Der Gott dieser Welt hat den Sinn der Ungläubigen verblendet, dass sie nicht sehen können das helle Licht des Evangeliums ...« (2. Kor. 4,4).

Im Geist wurzelt das Gewissen

Vom Geist her regt sich im Menschen das Gewissen, bekommt er das Feingefühl für gut und böse, fühlt er sich mächtig hingezogen zu dem, was göttlichen Ursprungs ist, und abgeschreckt von allem, was anderswoher stammt.

So ist der Geist der göttliche Urgrund oder Hintergrund des menschlichen Lebens. Im Geist liegt die Möglichkeit, in Verbindung zu treten mit der oberen Welt, wie auch der Zug dazu. Aber da der gefallene Mensch tot ist in Sünden (Eph. 2,5), ist sein Gewissen stumpf, und sein unverständiges Herz ist verfinstert.

Die Seele ist das im Menschen, was sein Ich ausmacht

Des Menschen eigenes Denken, Wollen und Empfinden vollzieht sich in seiner Seele. Die Seele ist die Trägerin des bewussten Personenlebens im Menschen. Die Seele ist »dasjenige Organ, wodurch der Mensch ein Ich wird«, das selbst denkt, wählt, bestimmt und handelt.

Wird dieses Ich durch den Geist geleitet, das heisst, bleibt es Gott verbunden, so ist das Menschenleben in Ordnung. Macht das Ich sich aber selbständig, schaltet es die Regungen des Geistes aus, so entsteht der »seelische Mensch« (Luther übersetzt: der natürliche Mensch, vgl. das zweite und fünfzehnte Kapitel im ersten Korintherbrief).

Auch im seelischen Menschen oder der von Gott isolierten Menschenseele sind noch grosse bewundernswerte Kräfte des Denkens und Wollens. Er kann Gewaltiges leisten in Kunst und Wissenschaft, Politik und Technik, er kann auch moralisch hochstehen und tief religiös sein - aber seine Frömmigkeit ist wie all sein Tun und Streben seelisch. Er »vernimmt nichts vom Geist Gottes« (1. Kor. 2,14), er bleibt auch mit seiner Religion von Gott geschieden, gottlos.

Im gottfernen Menschenleben wird der Geist von der Seele geknechtet

Gewiss, auch in diesem Zustand hat der Mensch noch seinen Geist, das Organ, durch das er Gott nahen kann; aber dieses Organ hat nicht mehr die Stellung, die ihm zukommt. Es leitet nicht mehr das Ich, es ist dem Ich unterworfen: es bringt der Seele nicht mehr das Licht des Schöpfers; es wird von der Seele mit ihrem eigenen geschaffenen Licht erfüllt.

Die Seele macht dann den Geist ihren Zwecken dienstbar. Von hier aus ist das Wort Jesu zu verstehen: »Es kommt die Zeit, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit« (das heisst wirklich, Joh. 4,23). Es gibt auch ein Beten mit der Seele; dabei mag der Mensch tief religiös empfinden und mächtig ringen, ja er mag durch Meditation und Andachtsübungen bis zur Ekstase gelangen und bleibt dabei doch in den Grenzen seiner Seele. Das heisst: in der Seele beten.

Im Geist beten heisst: Mittels des Geistes aus sich selbst heraustreten und tatsächliche, nicht gedachte Beziehung zum Vater im Himmel haben. In der Seele beten heisst: isoliert bleiben. Im Geist beten heisst: Kontakt haben mit Gott (Hebr. 4,12). Die tiefe Einsamkeit des Menschen hört auf, wenn Gottes Geist seinen Geist berührt (Röm. 8,16).

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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