Wir müssen diese Theorien hier aufführen, weil sie in der modernen Theologie eine so grosse Rolle spielen. Später werden wir noch ausführlicher darauf zurückkommen. Für den Augenblick genügt es uns zu betonen, dass wir diese Theorien ablehnen, weil sie nicht auf exegetischen und hermeneutischen Argumenten beruhen, sondern vielmehr auf einer Art philosophisch-spekulativen Denkens aus der Zeit der Aufklärung (18. Jhdt.). Dieses rationalistische Denken beeinflusste unsere ganze Kultur und schliesslich auch die Theologie. Dieser Einfluss äusserte sich vor allem auf zweierlei Weise. Erstens durch Ablehnung alles übernatürlichen. Der Gedanke der "Inspiration", das Reden Gottes und die Wunder der Bibel wurden damit in das Reich der Fabel verwiesen. Man wollte den Menschen glauben machen, dass Wunder "unwissenschaftlich" seien. Wir werden aber später sehen, dass dies ein Missverständnis ist. Ob man an Wunder glaubt oder nicht, ist ein philosophisches oderreligiöses Problem, das nichts mit Naturwissenschaft zu tun hat. Die zweite Auswirkung des "aufgeklärten" Denkens in der Theologie war die Evolutionstheorie, die ein anderes Licht auf die Entstehung der Welt und des Menschen, aber auch auf die religiöse Entwicklung warf. Die Geschichte und Religion Israels wurde von vielen Theologen nunmehr evolutionistisch interpretiert; das taten sie, weil sie meinten, dies der neuen Entwicklung der Naturwissenschaft schuldig zu sein. Als Nicht-Biologen hatten sie, sicherlich in dem ersten stürmischen Aufkommen der Evolutionstheorie, Mühe damit, Philosophie von Wissenschaft und Thesen von Tatsachen zu unterscheiden. Auch nach Aufkommen der Neo-Orthodoxie, einer Reaktion auf den Modernismus, der im 19. Jahrhundert aufkam, beharrten viele Theologen gegenüber der Öffentlichkeit darauf, dass das moderne wissenschaftliche Weltbild den "modernen" Menschen veranlassen müsste, sein traditionelles Verständnis über die Entstehung und den Inhalt des 1. Buches Mose gänzlich zu revidieren. Soviel darüber im Moment. Zusammen mit Tausenden Naturwissenschaftlern und Theologen der ganzen Welt sind wir überzeugte Gegner dieses Anti-Supranaturalismus (Ablehnung alles Übernatürlichen) und der Evolutionstheorie, und wir haben nicht das geringste Bedürfnis, die traditionelle, auf die Bibel gestützte Schau über Genesis (1. Buch Mose) und den Rest des Pentateuchs preiszugeben! Ausserdem wissen wir, dass wir in dieser Hinsicht die Archäologie auf unserer Seite haben. Wir haben heute zahllose archäologische Hinweise auf das hohe Alter des Pentateuchs, wie wir oben schon gesagt haben. Die Archäologie hat uns zum Beispiel Informationen verschafft über das Alter der literarischen Struktur der Bücher des Pentateuchs und hat uns auch sehr viel erzählt über den historischen und kulturellen Hintergrund des Zeitalters, das in der Genesis beschrieben wird. Dadurch wissen wir, dass die Geschichten der Erzväter nicht legendären Charakter haben. Auch hat sie uns, durch viele Parallelen mit den Gesetzen anderer alter Völker des Altertums, das hohe Alter des Pentateuchs bestätigt.
Datum: 09.11.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel