Handschriften

Dieser Handschrift (Codex Aleppus) aus dem 10. Jhdt. ging durch antisemitische Ausschreitungen ein Viertel ihres Umfanges verloren. Sie galt 1947 sogar als völlig vernichtet, wurde aber 1958 wiederentdeckt.
Der Codex Kairo aus dem 9. Jhdt. n. Chr. lag mehrere Jahrhunderte in einer ver­gessenen »Geniza« der jüdischen Synagoge von Alt-Kairo und wurde erst 1890 bei Renovierungsarbeiten entdeckt.
Der Papyrus Nash war, ehe die Qumranrollen gefunden wurden, eines der ältesten Fragmente des Alten Testaments. Das Fragment (Abbildung gibt die Originalgrösse wieder), das im Jahre 1902 durch W. L. Nash in Ägypten gefunden wurde, enthält einen Teil der 10 Gebote und 5. Mose 6,4 ff. Es wird ins 2. oder 1. Jhdt. n. Chr. datiert.

Damit sind wir bei der äusserst wichtigen Frage der vorhandenen Bibelhandschriften des Alten Testaments angelangt. Bis ins vorige Jahrhundert waren die wichtigsten Handschriften, die die Basis für den Bibeltext bildeten, noch immer die der Ben Ascher-Familie. Heute aber können diese an später entdeckten, viel älteren Handschriften geprüft werden. Die wichtigste Ben Ascher-Handschrift ist der Leningrad-Codex aus dem Jahre 1008, der das grösste und einzig komplette Manuskript des Alten Testaments ist. Er wurde nach einem korrigierten Text von Rabbi Aaron Ben Mosche Ben Ascher angefertigt, auf Vellum geschrieben und mit dem babylonischen Lautsystem ausgestattet. Der Codex Aieppus stammt aus dem Anfang des zehnten Jahrhunderts und wurde vermutlich nicht von Aaron Ben Masche selber geschrieben, obwohl er wahrscheinlich Laute und Randbemerkungen hinzugefügt hat. Bis vor kurzem umfasste dieser Codex ebenfalls das ganze Alte Testament, hat aber durch antisemitische Ausschreitungen sehr gelitten. Im Jahr 1947 kursierten Gerüchte, dass der Codex vernichtet sei, aber 1958 wurde er glücklicherweise wieder entdeckt, wenn auch mit dem Verlust eines Viertels seines Umfangs. Dieses kostbare Manuskript wird nun wissenschaftlich studiert, um es für künftige Ausgaben der hebräischen Bibel auszuwerten.

Der Codex Kairo aus dem Jahr 895, der die frühen und späteren Propheten enthält, ist wahrscheinlich die älteste masoretische Handschrift und wurde von Mosche Ben Ascher geschrieben und mit Lautzeichen versehen. Im Jahr 1099 wurde dieses Manuskript in Jerusalem von Kreuzrittern beschlagnahmt, gelangte aber später in die Hände der jüdischen Gemeinde von Kairo, wo er sich auch heute noch befindet. Der Petersburger Prophetencodex aus dem Jahr 916 enthält nur. die späteren Propheten; er wurde 1839 auf der Halbinsel Krim in einer Synagoge entdeckt. Am Ende des vorigen Jahrhunderts machte man eine wichtige Entdeckung, die auf die Geschichte der masoretischen Arbeit ein besonderes Licht warf: Im Jahr 1890 wurde die tausend Jahre alte Synagoge von Alt-Kairo wiederaufgebaut, und dabei entdeckte man eine zugemauerte und in Vergessenheit geratene "Geniza", die einen unvorstellbaren Schatz alter Manuskripte enthielt. Man schätzt die Zahl der gefundenen Fragmente (die fast alle aus dem 6. bis 8. Jahrhundert stammen) auf nicht weniger als 200 000! Darunter waren zahllose jüdische Schriften aller Art, aber auch sehr viele Bibelfragmente in hebräischer, aramäischer (siehe unten) und arabischer Bibersetzung, von denen manche vielleicht schon aus dem fünften Jahrhundert stammen. Diese Schriften geben einen guten Einblick in die Entwicklung der masoretischen Arbeit (schon vor den grossen Masoreten von Tiberias) und zeigen, auf welche Art und Weise die Lautsysteme zustande kamen.

Abgesehen von einem kleinen, 1902 entdeckten Papyrus-Fragment (dem Papyrus Nash) waren die Geniza-Fragmente bis vor kurzem die ältesten Zeugnisse des hebräischen Bibeltextes. Wir haben aber schon angedeutet, weshalb ihr hohes Alter sie nicht notwendigerweise wertvoller macht als die grossen Ben Ascher-Handschriften, die uns das Endresultat einer fünfhundertjährigen wissenschaftlichen Arbeit bieten. Obwohl diese Handschriften etwa 1400 Jahre jünger sind als die jüngsten ursprünglichen Teile des Alten Testaments, haben wir doch Gründe genug (wie wir klarzumachen versuchten), der Genauigkeit ihres Textes zu vertrauen. Nicht genug damit. Die "Textkritik" (das ist die Wissenschaft, die sich mit der Feststellung des ursprünglichen Bibeltextes befasst) hat glücklicherweise noch mehr dazu beizutragen.

Dazu gehört an erster Stelle der samaritische Pentateuch. Wir wissen aus der Bibel, dass die Samariter (Einwohner Samariens) einMischvolk aus Israeliten und assyrischen Immigranten waren (2. Kön. 17), die sich nach der babylonischen Gefangenschaft völlig von den Juden lösten. Sie machten dadurch eine ganz eigene Entwicklung mit und kannten eine ganz eigene Überlieferung des Bibeltextes, nach der sie nur den Pentateuch (die 5 Bücher Mose) als "kanonisch" (zu den heiligen Büchern gehörend) ansahen. Die ältesten Handschriften des samaritischen Pentateuchs datieren aus dem zehnten Jahrhundert. Sie haben eine eigene Schrift und Einteilung und enthalten keine Lautzeichen. Es gibt innerhalb dieser Schriften auch kleine Unterschiede in Buchstabierung und Grammatik, aber nur überraschend wenig Unterschiede zum masoretischen Text. Das ist sehr bemerkenswert für zwei Texte, die doch etwa 1500 Jahre Iang eine eigene, voneinander getrennte Überlieferungsgeschichte hatten. Es ist aber deutlich, dass wir es bei dem samaritischen Pentateuch mit einem Text zu tun haben, der ganz populär auf das Volk zugeschnitten war und keineswegs mit dem so sorgfältig redigierten Masoretentext auf eine Stufe gestellt werden kann.

Datum: 19.10.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel

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