Philosophische Thesen

Wenn die Grundhaltung der Bibelkritik nicht in Ordnung ist, wenn wir so viele Einwände gegen die Methoden der Kritiker anführen können, wenn sich ihre eigenen Argumente gegenseitig widerlegen und wenn die Archäologie sie mehr und mehr Lügen straft, warum halten die Kritiker dann noch so beharrlich an ihren Theorien fest? Die Antwort ist die gleiche wie auf die Frage, warum so viele Naturwissenschaftler noch an der Evolutionstheorie festhalten: Beide Gruppen sind Evolutionisten, die nicht so sehr aufgrund wissenschaflicher Beweise auf ihren Theorien bestehen, sondern vielmehr aufgrund ihrer evolutionistischen Vorurteile. Hinzu kommt die Furcht vor der einzigen Alternative: den Aussagen des inspirierten, unfehlbaren Wortes Gottes.

Die Bibelkritik kam im 18. Jhdt. vor allem auf dem Hintergrund der Aufklärung zur Blüte, die von der Einstellung ausging, dass Gott, wenn er überhaupt existiert, nicht mehr in die natürliche Ordnung des Weltalls eingreift, und dass es darum auch nicht (Hugo de Groot) so etwas wie eine übernatürliche Offenbarung geben kann. Der Huinanismus hatte durch den Deismus (Hobbes, Simon), vor allem aus England, den Weg geebnet für diese radikale historische Kritik in Deutschland, in der für Gottes Handeln in der Geschichte kein Platz mehr war. Die Geschichte von einem Mann wie Mose, der zweimal vierzig Tage bei Gott auf dem Berge Sinai weilt und dort den Befehl zum Schreiben bekommt (1. Mose 34,27), wird von vornherein als unmöglich abgetan! Die dunkle Brille, die die Kritiker aufsetzen, macht es ihnen unmöglich, ein Auge für die bunten Farben zu haben, mit denen die Bibel ihre göttliche Offenbarung zum Ausdruck bringt.

Als Alternative äussert man den Gedanken, Geschichte und Religion hätten sich langsam und auf natürlichem Wege entwickelt. Diesen Weg der Entwicklung betrachtete man zuerst nach der Denkweise der Romantik (J. G. Herder, J. G. Eichhorn, W. M. L. de Wette) und später vor allem nach der Denkweise des deutschen Idealismus von Hegel, der das Bild der Geschichte "dialektisch" interpretierte (W. Vatke, H. Ewald). Als Darwin diesen Begriff "Dialektik" in der Naturwissenschaft als "natürliche Selektion" wiedergab und so zu einer modernen Evolutionstheorie kam, die sowohl die Entwicklung des Lebens als auch die der Kultur betraf, eroberte diese Theorie die ganze wissenschaftliche Welt und damit auch die Theologie. Die Theorie einer Entwicklung vom primitivsten Animismus bis hin zum hochentwickelten Monotheismus passte ausgezeichnet in Hegels Dialektik und Darwins Evolutionstheorie. Hauptsächlich war es Wellhausen, der sich dessen bewusst wurde und dem es gerade auf diesem Hintergrund gelang, der Quellenscheidungstheorie zu ihrer enormen Popularität zu verhelfen. Die Schule Weihausens ging also von der total unbegründeten Annahme aus, Israels Religionsgeschichte wäre genau wie alle anderen rein menschlichen Ursprungs und könne darum nur ausschliesslich evolutionistisch erklärt werden. Dass keine einzige andere religiöse Glaubensrichtung sich jemals zu einem echten Monotheismus entwickelt hat, machte ihm dabei nichts aus: Auch Israel könne nicht anders als mit Animismus und grobem Polytheismus angefangen haben. Die überwältigenden Beweise dafür, dass seit 1. Mose Israels Religion hochstehend und von Anfang an rein monotheistischer Art war, wurden einfach weginterpretiert, indem man sie als spätere Hinzufügungen und Verdrehungen deutete. Unsere Antwort hierauf ist folgende:

(1) Die Naturwissenschaft hat uns nach Meinung Tausender heutiger Naturwissenschaftler gelehrt, dass es genug wissenschaftliche Gründe dafür gibt, das Evolutionsmodell zu verwerfen und ein Schöpfungsmodell zu bevorzugen (siehe Teil II dieser Buch-Serie). Damit ist die Basis für den theologischen Evolutionismus verschwunden.

(2) Die Archäologie hat überzeugend gezeigt, dass nicht nur im Land Israel, sondern auch in dessen Nachbarländern die Religion bereits in den Jahrhunderten vor David, obwohl vermischt mit allerlei Vielgötterei, überwiegend monotheistisch war (siehe Albright). Dem steht das Volk Israel von Anfang an mit einem reinen Monotheismus gegenüber, was auch die Vorstellung unsinnig macht, nach der Israels Monotheismus sich durch eine dialektische Wechselbeziehung zu den Nachbarländern entwickelt haben soll: Von Anfang an gibt es enorme Unterschiede zwischen Israels Religion und der seiner Nachbarn. So rechnete das Volk Israel seinem Gott kein Geschlecht zu, kennt keine Mythen der Gottheit und auch keine weibliche Gottheit. Dass Israel trotzdem oft viele Götzen verehrte und den Bilderkult einführte, ist leider nur allzu wahr - aber es waren dies nur Götzen (und Bilder) ihrer Nachbarn; niemals bauten sie Bildnisse von Jahwe!

(3) Die Wissenschaftsphilosophie sollte die Kritiker gelehrt haben, dass ihre Abneigung gegen das Übernatürliche nur ein philosophisches Vorurteil ist, und dass ihr System demnach nicht von vornherein besser ist als die Auffassung, dass die Wirklichkeit nicht nur aus dem (naturwissenschaftlich) Wahrnehmbaren besteht, sondern in einer engen Wechselbeziehung mit dem Nichtwahrnehmbaren erkannt wird. Der Unterschied zwischen diesen beiden Auffassungen ist, dass die letztere das Zeugnis der ganzen Bibel hinter sich weiss, die erste aber nicht.

Datum: 20.06.2005
Autor: Willem J. Glashouwer
Quelle: Die Geschichte der Bibel

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