An der Grenze

Erkundet alles, was offen steht: Aaron
„Hallo, es ist Zeit!“

Die Grenze kennen und bei ihr haltmachen. Stopp! Nicht darüber hinaus. Wer kann das? Wollen wir nicht vielmehr das Gegenteil? Grenzen überschreiten, aufheben, hinter uns lassen – als läge darin das Leben verborgen!

Wer hoch hinaus will, erlebt es: Uns sind Grenzen gesetzt. Als Menschen können wir nicht überall sein, wir sehen am Tag mehr als in der Nacht, wir ermüden, wir altern (vom ersten Tag an).

Und doch können wir uns in den Grenzen entfalten, wachsen, das Leben gestalten, Erstaunliches auslösen, Gutes tun, Freude schenken und Befriedigung gewinnen. Dies gelingt auch – oder vielleicht besonders dann – wenn wir die Grenzen annehmen, die uns gesetzt sind.

Dies kam mir kürzlich zum Bewusstsein, als wir Aaron zu Besuch hatten. Er weiss, was er will, der Kleine. Aaron ist 16 Monate alt. Mit seinen zwei Geschwistern und den Eltern hat er einen langen Sonntag verbracht. Beim Eindunkeln ist die Familie für ein Znacht zu uns gekommen.

Danach wird in der Stube eifrig gespielt. Aaron ist dabei – aber das genügt ihm nicht; er geht auch auf Entdeckungsreise. Denn er gehört zu den Wesen auf zwei Beinen. Die tragen ihn in alle Ecken der Wohnung. Mehrmals tappt er durch den Korridor, um sich das Aquarium anzugucken. Zwischendrin reibt er sich die Augen. Der Papa drückt ihn an sich – er will wieder los.

Aaron ist müde. Sein Köpfchen sagt ihm, dass Bettzeit ist. Für einen Moment entschwindet er um die Ecke – und kommt zurück, mit seinen Schuhen in den Händen. Er stellt sie bei der Stubentüre auf den Boden. Reden kann er noch nicht, aber er meldet: „Hallo – es ist Zeit, ich möchte nach Hause.“ Kein Jammern, kein Drängeln. Da stehen die Schuhe: „Hallo – ich möchte nach Hause.“

Ich staune: An der Grenze reagiert er, um den langen Tag zum guten Ende zu bringen. Schaffen wir das, die Grossen? Oder schiessen wir – wie die tollkühnen Snowboarder – für den Kick über die Grenzen hinaus? Treibt uns ein unfassbarer Trieb in jene Zonen, für die uns Erfahrung und Fitness fehlen?

Gewiss gehört es auch zu uns als Menschen, dass wir über die Grenzen hinaus träumen, mental den Aktionsradius erweitern und etwas Grösseres ins Auge fassen. Think big!, sagen die Amerikaner. Es macht das Leben aufregend, dass wir jenseits des bisher Erfahrenen denken können. Zugleich gibt es die Grenzen, die wir achten sollten, zu unserem eigenen Wohl.

Die Weisungen Gottes, der uns geschaffen hat, können als Grenzmarken gelesen werden. „Du sollst nicht…“ sagt er – nicht um uns einzuengen. „Versuche nicht, etwas an dich zu bringen, das deinem Mitmenschen gehört“: Das letzte der Zehn Gebote geht auf das Verlangen nach mehr – nach dem, was mir nicht zusteht (auch wenn ich noch so sehr danach verlange). Ich soll mit dem zufrieden sein, was Gott mir gegeben hat, und daraus das Beste machen. Das vierte Gebot schafft eine andere wohltuende Grenze: Ich soll in sechs Tagen alle Arbeit tun, damit ich weiss, was Ruhen heisst.

Das erste Gebot: Ich soll Gott als Gott ehren und nichts und niemand in meinem Leben absolut gelten lassen. Keinen Job, keine Passion, kein Idol. Denn der Schöpfer allein kennt mich durch und durch – und liebt mich. Er weiss um mein Potenzial. Er setzt mich frei, dass ich Gutes tun kann. Er schützt mich davor, dass ich mich selbst an seine Stelle setze und im Taumel abstürze. Er will mich bewahren vor dem Zugriff unheimlicher Mächte, denen ich nicht gewachsen bin.

Das alles hat Aaron noch nicht erfasst. Aber er holt die Schuhe. Denn es ist Zeit heimzukehren.

Datum: 07.03.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch

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