"Jeder hat im Leben eine zweite Chance“: Krimineller wird Mann Gottes

Die Hände eines Gangsters – die beiden kleinen Finger verstümmelt. Auf den Lippen ein Gebet. Der Oberkörper tätowiert mit Fabelwesen. So wie er sehen in Japan „Yakuzas“ aus, die gefürchteten Mitglieder der Mafia. Heute leitet er eine kleine protestantische Freikirche in der Nähe von Tokio.

Bandenkämpfe, Prostitution und Glücksspiele gehörten zumTagesablauf von Hiroyuki Suzuki. Er wendete sich jedoch Jesus zu, als seine Spielsucht, Drogen und Krankheit ihn am Rande eines Selbstmords brachten. Er suchte Hilfe in einer Kirche in Shinjuku, in der ihm der Pastor erzählte dass "jedermann wiedergeboren werden kann, egal wie eklig du bist, Gott respektiert und liebt dich."

Suzuki hat inzwischen die „Mission Barabbas“ gegründet, eine Gruppe die sich aus ehemaligen Gangstern oder Yakuza zusammensetzt, die auch Gott gefunden haben. Deshalb haben sie ihre Kirche auch nach einem Kriminellen aus der Bibel, Barabbas, benannt. Dieser war statt Jesus von Pontius Pilatus begnadigt worden.

"Ich lag am Boden."

Hiroyuki Suzuki war Mitglied der japanischen Mafia Yakuza, 17 Jahre lang, bevor er sich zum Pfarrer ausbilden liess. Er leitet heute eine kleine protestantische Freikirche in der Nähe von Tokio. Damals war er ein gnadenloser Geldeintreiber, brutaler Schläger und ein Spieler: "Jeder hat im Leben eine zweite Chance, das weiss ich heute", meint er. "Mein Leben, alles was ich hatte, war ein Trümmerhaufen. Ich lag buchstäblich am Boden."

In der Gemeinde kennen alle seine dramatische Wandlung vom Peiniger zum Prediger. In Japan, wo es nur wenig Christen gibt, erzählt er, dass Jesus ihm die Kraft gegeben hat für einen Neuanfang – trotz aller Sünden. Eines seiner Opfer lag drei Tage im Koma, nur durch Glück, sagt er, habe er niemanden umgebracht. Für eine Weltspiegel-Reportage der ARD, von Mario Schmidt, reist er noch einmal an den Ort seiner kriminellen Vergangenheit: Osaka. Dort musste er sich damals auch die Finger abhacken lassen.

Yakuza bestrafen sich so vor ihrem Boss, wenn sie Fehler gemacht haben. Ein grausamer Treueschwur, der die Rückkehr in ein normales Leben in Japan fast unmöglich macht. "Wenn ich mich zum Beispiel in der Bahn feshalte, sind die Finger auf Augenhöhe der anderen Fahrgäste. Dann erschrecken die sich sofort. Das wird sich auch nie ändern. Menschen, die mich nicht kennen, werden in mir immer nur den Yakuza sehen."

Schutzgelderpressung und Drogen

Abends in Osaka, eine Mafia-Hochburg in Japan. 15 Jahre war er nicht mehr hier, solange liegt seine Flucht zurück. Im Rotlichtviertel „Minami" kontrollieren die Yakuza-Banden fast alles: Prostitution, Karten- und Würfelspiele, Schutzgelderpressung, Drogen. Millionen wandern so jeden Tag über die Tische.

Suzuki war Mitglied des Sakaume-Gumi-Syndikats. Nach so langer Zeit glaubt er, könne er sich wieder hertrauen, aber wohl ist ihm trotzdem nicht. An einer Baulücke bleibt er stehen. Das Haus, in dem er früher ein und aus gegangen ist, gibt es nicht mehr. Suzuki erinnert sich lebhaft an damals: "Hier war unser Büro. Als Mitglieder warteten wir dort, bis ein Befehl vom Boss kam. Dann fuhren wir gemeinsam los, zum Beispiel zu Schuldnern oder zu Schlägereien mit anderen Banden. Anschliessend gingen wir Trinken und Spielen bis zum frühen Morgen. Das war mein Leben."

Kirche als letzter Ausweg

Irgendwann hatte er zu viele Schulden und zu viele Feinde, auch Mitglieder aus seiner Gang wollten ihn umbringen. Der letzte Ausweg damals: Er flüchtet nach Tokio, lebt wochenlang im Untergrund. Frau und Kind hatte er lange vorher verlassen, Freunde waren ihm kaum noch geblieben, und auch die konnten ihm nicht mehr helfen: "Mir blieb eigentlich nur noch der Selbstmord. Ich habe meine Frau um Hilfe angefleht. Sie ist Christin, so kam ich in eine Kirche. Ich betete also vor dem Kreuz und erzählte dem Prediger meine Geschichte. Und der sagte: Du kannst noch einmal von vorne anfangen."

Anlaufpunkt für Verzweifelte und Kriminelle

Durch Bücher und Vortragsreisen ist Pfarrer Suzuki bekannt geworden. Drei Jahre sass er selbst im Gefängnis. Heute geht er dorthin zurück und erzählt Häftlingen, wie ihm sein Gott geholfen hat. Er ist Anlaufpunkt für Verzweifelte und Kriminelle in allen Lebenslagen. Einige, wie Eiji und Yoshito, beide Ex-Yakuzas, haben bei ihm Unterschlupf gefunden.

Sie leben in einem Zimmer neben der Kirche. Yoshito wird von seiner Gang noch immer gesucht. 20 Kilo hat er zugenommen, um nicht mehr erkannt zu werden. Der von Messerstechereien gezeichnete Eiji: "Im Gefängnis hatte ich ein Buch von Suzuki gelesen. Nach meiner Entlassung kam ich mit der Yakuza-Welt nicht mehr klar, machte viele Schulden. Ich wollte da raus. Mit dem letzten Geld bin ich in einen Zug gestiegen und zur Kirche gefahren. Wenn meine Gang mich findet, bringen sie mich um", erzählt Yoshito, ein Ex-Yakuza. Und Eji, ebenfalls ein Ex-Yakuza fügt hinzu: "Hier war der einzige Ort, wo ich noch akzeptiert wurde. Die Kirchenmitglieder haben mir ein Bett und Essen gegeben. Trotz meiner Vergangenheit haben sie mich aufgenommen."

Selbst nach dem Ausstieg werden Yakuzas in der japanischen Gesellschaft ausgegrenzt. Pfarrer Suzuki hat sie jedoch an Firmen vermitteln können, die auch ehemaligen Kriminellen eine Chance geben. "Wir kämpfen für einen Neubeginn. Ich helfe ihnen, wo ich nur kann. Aber ich allein kann sie nicht ändern und retten. Das kann nur Gott. Daran glauben wir – die Jungs und ich."

Er packte seine Chance

Wer bereit ist, seiner Wandlung, dieser krassen Umkehr von Böse zu Gut nachzugehen, liest Suzuki dieses Wort aus der Bibel vor: „Weil du in meinen Augen so teuer und wertvoll bist und weil ich dich lieb habe, gebe ich Menschen für dich und Völker für dein Leben“ (Jesaja 43,4). Mitten ins Herz hinein habe ihn damals dieses Wort aus der Bibel getroffen, sagt er.

Wenn es den Leuten hilft, scheut er sich auch nicht, auf der Kanzel sein T-Shirt auszuziehen und die Tätowierungen zu zeigen. Blauschwarze Karpfen und Fabelwesen bedecken Brust und Schultern des Predigers.

Neben den „ehrbaren“ Bürgern sitzen auch ganz andere vor ihm, jene, die sich in den üblichen Kirchen kaum zu Hause fühlen: Ehemalige Gangster, Prostituierte und Stripperinnen, all die kleinen Strassengauner und Drogenabhängige kommen sonntags zum Gottesdienst. „Diese Leute haben von mir gehört, und finden es ein wenig einfacher, in unsere Gemeinde zu kommen als in eine andere“, sagt Suzuki. „Ich kenne die Welt der Sünde, die voller Vergnügungen ist, aber auch voller Angst.“ Seine Zuhörer sitzen andächtig vereint und lauschen seinen so unorthodoxen und so von Herzen kommenden Worten.

„Ich hatte schon einmal im Leben einen Boss, den "Oyabun" meiner Yakuza-Bande“, predigt er. „Doch dieser Boss verlangte von mir, dass ich ihm notfalls mein Leben schenke, um seines zu schützen. Nun habe ich einen besseren Boss gefunden. Der opferte das Leben seines eigenen Sohnes, um uns zu retten.“

Noch einmal neu anfangen

Seine Erfahrungen helfen ihm heute bei der Arbeit. Er besucht die Insassen japanischer Gefängnisse und die spüren sehr schnell, dass er weiss, wovon er spricht. Suzuki sass selbst drei Jahre ein. Sieben ehemalige Gangster-Kollegen hat er inzwischen zur Umkehr geholfen. Gemeinsam gehen sie durch die Gefängnisse Japans, mit beachtlichem Erfolg. Hunderte von Insassen halten auch nach der Entlassung Kontakt und bitten bei Besuchen oder in Briefen um Rat. „Ich erzähle ihnen gern von meiner Vergangenheit. Es ist sehr wichtig für sie zu hören, dass sie noch einmal neu anfangen können“, meint Suzuki.

Der eigenen Vergangenheit kann man nicht entfliehen – predigt er. Aber jeder Tag biete eine neue Chance, das Leben wieder in den Griff zu bekommen. Das predigt er nicht nur, sondern er lebt es ihnen auch vor.

Quellen: Weltspiegel ARD/Crossnet/soulsaver/Livenet

Datum: 02.06.2004
Autor: Bruno Graber

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