«Lieber sterbe ich, als ohne Gottes Wort zu leben»
Alexander Ogorodnikov wuchs in der Sowjetunion auf zu einer Zeit,
in der die Kommunisten alle religiösen Einflüsse von den Menschen
fernhalten wollten. Während sein Vater strammes Mitglied der Partei war,
hinterfragte Alexander mit der Zeit das System. Er wurde Christ, traf
sich mit anderen und wurde schliesslich in ein Gulag-Arbeitslager
gesteckt.
Alexander Ogorodnikov
«Nach
der Revolution erklärten die Bolschewiken den Christen den Krieg»,
erinnert sich Alexander Ogorodnikov. «Es begann damit, dass Leo Trotsky
und Anatoli Lunacharsky Gott die Todesstrafe verordneten und erklärten,
dass er hingerichtet werden müsse.» Dies sei ernsthaft und nicht als
Witz gemeint gewesen, «sie dachten wirklich, dass dies getan werden
müsse. Ihr Ziel war, einen neuen Menschen, den 'Homo Sovieticus', also
den Sowjet zu kreieren.»
Die Verfolgung der Gläubigen war unerbittlich. «Kleriker, Priester,
Diakone, Mönche und Nonnen wurden gekreuzigt, erschossen oder auf andere
furchtbare Art getötet.» Manche seien lebendig begraben worden.
«Augenzeugen berichteten, dass sie sie singen und beten hörten, es war,
als hätte die Erde gelebt.» Der Hass gegen Christen war fanatisch, «das
waren nicht nur Atheisten sondern Anti-Theisten. Das war ihre Religion.
Sie verneinten Gottes Existenz nicht nur, sondern taten alles, was
möglich war, gegen ihn.»
Zweimal aus Bildungsinstitut geworfen
Gulag «Perm 36»
In
diesem Umfeld wuchs Alexander auf. Atheistisch erzogen begann er, die
vorherrschende Ideologie während seiner Zeit auf der Ural-Universität zu
hinterfragen. Die Bildungsstätte entliess ihn schliesslich wegen der
«dissidentischen Art des Denkens», die nicht kompatibel mit der Uni war.
Wenig später wurde er Christ, nachdem es ihm gelang, den Film «Das 1.
Evangelium – Matthäus» von Pier Paolo Pasolini zu sehen, der im Jahr
1964 publiziert worden war.
Mittlerweile studierte er am Institut für Kinematografie in Moskau.
Als sein christlicher Glaube bekannt wurde, verstiess ihn aber auch
diese Schule.
Dennoch gelang es ihm, ein Netzwerk aus jungen Christen der
Intelligenzija zu formen, die Untergrundgruppe nannte sich das
«Christliche Seminar». In diesem wurde gemeinsam in der Bibel gelesen
und über den Glauben gesprochen.
Im Gulag-Lager
Nach und nach erhielten die Behörden Hinweise über die Gruppe. Als
Leiter wurde Alexander zunächst verhaftet, bald danach wurden die
meisten anderen Mitglieder ebenfalls eingekerkert. In Show-Prozessen
wurden die Christen vorgeführt und dann in Arbeitslager verfrachtet.
Alexander wurde anno 1976, im Alter von 25 Jahren, in eine
psychiatrische Institution gesteckt, wo er mit antipsychotischen
Medikamenten eingedeckt wurde. Sein Glaube wurde als mentale Störung
taxiert.
Nach zwei Jahren wurde auch er ins Lager geschickt und blieb dort von
1978 bis 1987. Hier wurden ihm seine Bibel und das Kreuz, das er um den
Hals trug, weggenommen. Alexander ging in den Hungerstreik. «Lieber
sterbe ich als dass ich ohne Gottes Wort lebe.»
Brief-Überschwemmung
Baracke im «Perm 36»
Nach
fünf schrecklichen Jahren verfasste Alexander einen Brief an Mikhail
Gorbatschow und erklärte diesem, dass er als Christ im Gulag lebe und in
diesen fünf Jahren keinen Brief und keinen Besuch erhalten habe.
Selbstmord erachtete er als Sünde, doch am liebsten wäre er daheim bei
Jesus gewesen und fragte deshalb, ob er nicht von einem Kommando
erschossen werden könnte.
Dan Wooding, ein christlicher Journalist, hatte von Alexander gehört
und er konnte dessen Camp – «Perm 36», nahe an der sibirischen Grenze –
ausfindig machen. Er rief in einem christlichen Fernsehprogramm dazu
auf, für Alexander zu beten und das Lager mit Briefen zu überschwemmen,
was daraufhin auch geschah.
Säcke voller Briefe
Margaret Thatcher bekam ebenfalls Wind davon. Bei einem Besuch der
britischen Premier-Ministerin in Moskau kam sie auch auf Alexander zu
sprechen und bat Gorbatschow um dessen Freilassung. Tatsächlich willigte
er ein.
Wenige Jahre später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, traf
Wooding Alexander in Moskau, wo dieser mittlerweile ein Haus für
geschundene Frauen und Kinder führte.
Tatsächlich hatte Alexander Ogorodnikov all die Briefe erhalten,
berichtete er Wooding bei dessen Besuch. «Sie führten mich in einen Raum
voller Säcke mit Briefen. Sie haben sie mich aber nicht lesen lassen.»
Doch das Gefühl zu sehen, wie sich die Menschen um ihn kümmern, sei
unbeschreiblich gewesen.
Die Gebete und ein Wunder
Dan Wooding und Alexander Ogorodnikov
Alexander
fragte auch, ob Wooding um Gebet gebeten hatte, dieser bejahte. «Das
dachte ich mir», berichtete Alexander. «Denn nachdem sie mir die Briefe
gezeigt hatten, steckten sie mich in eine Strafzelle in der Hoffnung,
dass ich erfrieren würde.» Er habe nur hauchdünne Kleider tragen können
und die Zelle sei wie ein Eisblock gewesen. «Ich begann zu zittern und
bald stellte sich Unterkühlung ein und ich wusste, dass ich nicht mehr
lange leben würde.»
Doch dann sei ein Wunder geschehen. «Ich glaube, dass Gott jemanden
aufweckte, der die Fernsehsendung gesehen hatte. Diese Person betete
wohl für mich. Es fühlte sich an, als würde Gott seine Arme um mich
legen und Wärme in meinen frierenden Körper abgeben.» So überlebte er.