Paul
Kingsnorth ging einen unglaublichen spirituellen Zickzack-Weg auf seiner Suche
nach Realität. Bis er – fast gegen seinen Willen – erlebte, dass die
langweilige Religion seiner Kindheit eine ganz andere Seite hatte.
Mit 15 oder 16 Jahren schrieb
er mit seinen Freunden in das Kirchenbuch einer kleinen alten Kirche in
England: «Stirb, Nazarener! Der Sieg ist mein!» und unterschrieb mit «Satan». Ein
pubertärer Streich, gewiss – aber zu langweilig, moralisch und verstaubt war das
«Christentum», das er im England der 1980er Jahre kennenlernte, wie er es in dem lesenswerten
Aufsatz «The
Cross and the Machine» (Das Kreuz und die Maschine) beschreibt, in
dem er seinen spirituellen Weg nachzeichnet. Religion war autoritär und abergläubisch
und völlig irrelevant für den aufgeklärten Heranwachsenden.
Visionen
Aber da war etwas in ihm, das
er am deutlichsten spürte, wenn er mit seinem Vater in den Bergen wanderte und
zeltete; eine spirituelle Sehnsucht, die ihn sich eins fühlen liess mit der
Natur. Das «intensive Wunder und das Geheimnis der natürlichen Welt», das wurde
jetzt seine Religion.
«Es folgten Jahre des Umweltaktivismus. Ich arbeitete für NGOs, schrieb für
Zeitschriften, kettete mich an Dinge, marschierte, besetzte: Was auch immer man
tat, man musste etwas tun, denn der Zustand der Erde war schrecklich», beschreibt
er seine aktiven Jahre. «Die Rebellion gegen Gott manifestierte sich in einer
Rebellion gegen die Schöpfung, gegen die gesamte Natur, ob menschlich oder
wild. Wir würden die Erde bis zum letzten Nanopartikel umgestalten, um sie
unseren Wünschen, die wir jetzt 'Bedürfnisse' nannten, anzupassen.
Unsere neue Welt würde globalisiert, einheitlich, vernetzt, digitalisiert,
hyperreal, überwacht und immer eingeschaltet sein. Wir bauten eine Maschine, um
Gott zu ersetzen.»
Tiefes
spirituelles Unwohlsein
Immer deutlicher erkannte er,
«dass so etwas wie der Klimawandel oder das Massenaussterben kein 'Problem' ist, das durch Politik, Technologie oder Wissenschaft 'gelöst' werden muss, sondern Ausdruck eines tiefen spirituellen
Unwohlseins. Selbst ein Atheist könnte erkennen, dass unsere Versuche, Gott zu
spielen, in einer Katastrophe enden würden.»
Zu seinem 40. Geburtstag
gönnte Kingsnorth sich eine einwöchige Zen-Retraite in den Bergen. In den
nächsten Jahren praktizierte er Zazen und studierte die Lehren Buddhas. Aber
etwas fehlte ihm: «Es war voller Mitgefühl, aber es fehlte an Liebe.» Vor allem
aber: «Ich suchte etwas, dass ich anbeten konnte. Ich wollte verehren.»
Wicca-Priester
Dieses Element der «Verehrung»
fand er daraufhin im Wicca-Kult, einer okkulten Tradition voll magischer
Lehren, Zauberei mit Ritualen im Wald bei Vollmond. «Endlich war ich zu Hause,
wo ich hingehörte: im Wald, um eine Naturgöttin unter den Sternen zu verehren.
Ich durfte sogar einen Umhang tragen. Alles schien wie am Schnürchen zu laufen.
Bis ich anfing, Träume zu haben.» Eines Nachts träumte er – von Jesus. «Der
Traum war lebhaft, und als ich aufwachte, schrieb ich auf, was ich ihn hatte
sagen hören, und ich zeichnete, wie er ausgesehen hatte.»
Monatelang begann er nun,
Christen zu treffen. Er hatte gar keine Lust auf diese alte verstaubte
Religion, aber wie C.S. Lewis «konnte ich 'die ständige, unerbittliche
Annäherung dessen, dem ich so sehr wünschte, nicht zu begegnen', nicht
ignorieren».
Die
Geschichte, die die Welt am besten erklärt
Nach langem Widerstand gab er
nach und liess sich vor 1,5 Jahren in einer orthodoxen Kirche taufen. In der
Konsequenz aller Lehren, denen er bisher gefolgt war, erkannte er: Wir sind
Rebellen, die dabei sind, die Welt nach unserem Bild zu formen und dabei
kaputtzumachen. Diese «grosse Geschichte» der Bibel erklärt die Welt am besten.
Ohne Umkehr von dieser Rebellion wird die Welt und die Schöpfung nicht zu
retten sein.
Er schreibt heute: «Ich bin in
dem Glauben aufgewachsen, den man allen modernen Menschen beibringt: dass
Freiheit das Fehlen von Zwängen bedeutet. Die Orthodoxie lehrte mich, dass
diese Freiheit gar keine Freiheit war, sondern eine Versklavung an die
Leidenschaften: eine treffende Beschreibung der ersten dreissig Jahre meines
Lebens. Die wahre Freiheit, so stellt sich heraus, besteht darin, den eigenen
Willen aufzugeben und dem Willen Gottes zu folgen. Sich selbst zu verleugnen.
Es kommen zu lassen. Darin bin ich noch ein schrecklicher Anfänger, aber
wenigstens verstehe ich jetzt den Weg.»