«Opferkind»: Licht ist stärker als die Dunkelheit
Sie haben als Kind Furchtbares
erlitten. Schon beim Lesen Ihres Buches darüber ist vieles kaum zu
ertragen. Warum haben Sie sich entschieden, das zu beschreiben?
Astrid
Dauster: Es geht ja um zwei Dinge: Zum einen um das Unvorstellbare, was
einem an Bösem passieren kann. Zum anderen durfte ich die göttliche
Hilfe erfahren. Hätte ich nur über Letzteres ein Buch geschrieben, würde
das Gegenstück fehlen. Im Vergleich zu dem, was ich erlebt habe, ist
das, was ich im Buch beschreibe, sehr minimalistisch. Doch diese
Grausamkeiten wenigstens teilweise zu beschreiben war erforderlich, um
die Gespräche mit dem Schäfer zu verstehen. All den Fragen, die ich ihm
gestellt habe, ging ja immer etwas voraus.
Ihr
Vater war der Kopf einer Satanistengruppe. Fast ein ganzes Dorf wusste
über die Gräueltaten dieser Menschen Bescheid – und schwieg. Wie ist das
nachzuvollziehen?
Es war ein
kleines Dorf und die Loge war auch darüber hinaus perfekt organisiert.
Ein solches Netzwerk wird Stück für Stück aufgebaut. Da spielen
Erpressung, Drogen, Geld und Macht eine Rolle. Damals wie heute hat man
die Leute damit verführt und so einen Hebel gehabt, um sie zu erpressen.
Wer selbst kein Täter war, schwieg aus Angst.
Hatten Sie nach der Rückkehr Ihrer Erinnerung mit anderen Satanisten-Opfern zu tun?
Ende
der 90er-Jahre hatte ich Kontakt zu einer jungen Frau, die aus der
Satanistenszene aussteigen wollte. Ich habe viel mit ihr geredet und
hörte exakt die Wiederholung dessen, was ich aus meiner Kindheit kannte.
Bis hin zu Morddrohungen, die auch vollzogen werden, wenn jemand
aussteigen will. Weil in diesen Kreisen alles vertreten ist von
Arbeitern bis hin zu Ärzten, Anwälten, Polizisten, ist es so schwierig,
dort auszusteigen. Diese Frau hat sich letztlich aus Angst gegen eine
Anzeige entschieden.
Viele verharmlosen den Teufel oder ignorieren seine Existenz. Sie haben das Böse dagegen als real erlebt…
Mein
Vater wollte mir einmal demonstrieren, wie mächtig sein Herr ist. Er
las mir aus einem Buch entsprechende Texte vor und mir ist noch in
Erinnerung, wie ehrfürchtig mein Vater in dieser Situation war. Ich nahm
einfach nur wahr, dass es in diesem Zimmer dunkel wurde, obwohl eine
Lichtquelle vorhanden war. Es wurde eiskalt und ich nahm nur schemenhaft
irgendetwas wahr. Mit diesem Etwas hat sich mein Vater unterhalten und
ein einziges Mal hat es mich am Hals berührt. Ich sage Ihnen: Das war
eine Kälte, wie ich sie hier auf der Erde nicht kenne. Aber ich hatte
keine Angst, vielleicht deshalb, weil ich wusste: Egal, was mir hier
passiert, Licht ist immer stärker als Dunkelheit.
Warum erscheint Gott in Ihrem Buch als Schäfer?
Ich
habe dem göttlichen Licht als Kind das Aussehen eines Schäfers mit
einer Herde schneeweisser Schafe gegeben. Ich denke, man braucht als Kind
ein Bild. So ist es ja heute noch mit den Menschen: Kein Mensch weiss,
wie Gott aussieht, aber jeder gibt ihm für sich ein Aussehen. Als ich
bei meinem Herzinfarkt vor acht Jahren 27 Minuten reanimiert wurde und
erneut eine Nahtoderfahrung hatte, habe ich nicht mehr den Schäfer
gesehen, aber seine liebevolle Stimme gehört.
Sie
konnten die körperlichen und seelischen Grausamkeiten als Kind nur
überleben, indem sich Ihre Seele zu diesem Schäfer geflüchtet hat. Was
meinen Sie damit?
Bei einem der
ersten Gespräche mit dem Schäfer sagte er mir: «Die Seele ist die
Wohnstatt Gottes, sie ist das Unsterbliche eines jeden Menschen.» Es gab
Momente, in denen ich wusste: Es ist kein Mensch hier, der mir jetzt
noch helfen kann. Dann habe ich mich innerlich meiner Seele zugewandt
und geschrien: «Lieber Gott, hilf mir!» Daraufhin ist meine Seele wie
durch einen Tunnel geflüchtet und ich habe mich meistens auf einer Wiese
befunden und Josef, der Schäfer, war an meiner Seite.
In diesen Momenten haben Sie sich nicht als körperhaft empfunden?
Ich
habe mich selbst als ein Denken oder Empfinden gespürt, aber ohne den
körperlichen Schmerz, aus dem ich geflüchtet bin. Es war ohne Raum und
Zeit, ohne Erdenleid – ich habe mich einfach nur wohlgefühlt.
Nahtoderfahrungen helfen vielen Menschen, wenn ihnen der Tod Angst macht. Wie würden Sie diesen Zustand beschreiben?
Es
war ein Sein in einer bedingungslosen Liebe, die einfach keinen Raum
lässt für irgendwelche irdischen Gefühle oder Gedanken. Das ist nicht
von dieser Welt, deshalb tue ich mich so schwer, es zu beschreiben. In
unserer Sprache gibt es dafür keine Worte!
Als Ihr Vater starb, verdrängten
Sie als Teenager mühsam, was Sie später in einem ebenso schmerzhaften
Prozess verarbeiten mussten. Wie geht es Ihnen heute mit Ihrer
Geschichte?
In einer persönlich
schweren Phase nach dem Herzinfarkt kam der verzweifelte Gedanke in mir
auf: Was soll ich noch hier? Da hörte ich wieder die Stimme des Schäfers
aus der Kindheit: «Du sollst Zeugnis geben.» Darauf sagte ich: «Das
mache ich gerne, aber bitte hilf mir!» Schon bald konnte ich anderen von
meiner letzten Nahtoderfahrung erzählen und dann auch von meiner
Kindheit. Für mich schliesst sich da ein Kreis. Ich habe all das erlebt,
um es weiterzugeben: Vor allem die vielen Schäfer-Gespräche, die die
Essenz des Buches sind.
Was sind für Sie die wichtigsten Aussagen der Schäfer-Gespräche?
Im
Grunde alle! Es ist ja so vielfältig, was mir als Kind erklärt wurde.
Alle Worte sind gleich wichtig. Mir selbst hat sich bei der Arbeit am
Buch immer wieder etwas Neues aufgetan.
Wie reagieren die Menschen in Ihren Vorträgen?
Ich
habe schon vor vielen verschiedenen Menschen gesprochen. Je nachdem,
wer anwesend ist, betone ich andere Aspekte. Immer aber geht es darum,
dass mir Unvorstellbares angetan wurde, das ich nur mit göttlicher Hilfe
überleben konnte. Im Raum ist es dann immer mucksmäuschenstill.
Ihr Buch ist noch mal ein grosser Schritt in die Öffentlichkeit. Wie geht es Ihnen damit?
Im
Prozess des Buches kam mir plötzlich der Gedanke: Wie werden die
Menschen reagieren, die du kennst, wenn die das wissen? Ich oute mich
total, ich werde öffentlich. Ich bin raus in die Natur, es war nur Chaos
in meinem Kopf! Ich dachte sogar, ich stoppe jetzt das Buch. Dann hörte
ich in diesem Gedankenchaos die wohlvertraute liebevolle Stimme: «Die
Schäfer-Gespräche sind die Seele vom Buch und sie werden bleiben. Das,
was du erleben musstest, ist nur der Körper des Buches.» Da war
plötzlich Ruhe in mir. Ich weiss nicht, was weiter geschieht, aber ich
bin immer einen Weg gegangen und gehe auch jetzt einfach weiter.
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Datum: 07.04.2020
Autor: Christina Bachmann
Quelle: PRO Medienmagazin | www.pro-medienmagazin.de