Vergebung ist wirkungsvoll

Wenn der sexuelle Missbrauch keine Kraft mehr hat

Gabriela Kugler aus Münsingen blickt auf eine Kindheit des Missbrauchs zurück, gleichzeitig aber auch zuversichtlich in die Zukunft. Sie ist nicht mehr Opfer, die schlimmen Erfahrungen haben ihre Kraft verloren.
Gabriela Kugler (Bild: Livenet)

Der Start ins Leben verlief bei Gabriela Kugler (51) problematisch. Ihr alkoholkranker Vater verschwendete das Geld in Kneipen und bei Prostituierten, ihre Mutter versuchte verzweifelt, die Familie irgendwie durchzubringen.

Chaotische Zustände und erster Missbrauch

Als kleines Kind weinte Gabriela stundenlang – doch niemand kümmerte sich um sie. «Ich hatte in der Kindheit und Jugend nie das Gefühl, willkommen zu sein.» Wenn das Geld für die Wohnungsmiete nicht reichte, zogen sie um. «Damals brauchte man hierzu keine Betreibungsauskunft. So zogen wir von einem Dorf ins andere.»

«Als ich vier Jahre alt war, begann mein Papa, an mir rumzufummeln und führte meine Hand an seinen Penis.» Sie wollte Papa gefallen, schliesslich hatte sie ihn in diesen Momenten ganz für sich allein. Als Gabriela neun war, verliess ihr Papa die Familie. Gewaltsame Auseinandersetzungen hörten damit aber nicht auf. Als die Mutter die Gefühle eines Saufkumpans von Papa nicht erwiderte, ging dieser mit einem Messer auf sie los, verletzte sich dabei aber selbst. Es war ein Tumult mit Polizei und einer blutverschmierten Wohnung.

Der Missbrauch geht weiter

Gabriela war elf Jahre alt, als ihre Mutter wieder heiratete. Es dauerte nicht lange, bis sich der Stiefvater an Gabriela ran machte. «Vergeblich versuchte er, auf jede erdenkliche Weise in mich einzudringen.» Bei Gabrielas Freundin war er erfolgreicher, diese wandte sich danach aber an einen Vertrauenslehrer und die Schulpsychologie wurde eingeschaltet. Aber der Stiefvater stellte Gabriela erfolgreich als Lügnerin dar, und die Aussage der Freundin wurde ignoriert.

Als Gabriela beim Ladendiebstahl erwischt wurde, rastete ihr Stiefvater aus und vergewaltigte sie. Von nun an gehörten diese Übergriffe zum Alltag. «Er bläute mir ein, niemandem etwas zu sagen.» Sie zog sich zurück und hatte keine Freunde. «Als ich in die Pubertät kam, fand auch mein Grossvater gefallen an mir.» Auch ihr älterer Bruder missbrauchte sie.

«Gott ist mit dir noch nicht ganz fertig»

«Mit 13 trank ich Alkohol, rauchte täglich und kiffte.» Gabriela schwänzte die Schule und klaute, was den Stiefvater erzürnte. Einmal prügelte er sie fast besinnungslos. «Es war mir egal», erinnert sich Gabriela. Mit 18 bestand ihr einziger Lebenssinn in der Vorstellung, einmal ihren leiblichen Vater aufzunehmen und zu betreuen. «Als ich hörte, dass er sich zu Tode gesoffen hatte, wollte ich mir das Leben nehmen. Die Tabletten lagen schon bereit.» Neben den Pillen lag das Geschenk einer Frau. Darin fand sie eine Karte mit folgender Aufschrift: «Hab Geduld. Gott ist mit dir noch nicht ganz fertig.» Der Satz schlug ein wie eine Bombe. «Ich kannte Gott nicht, doch dieser Satz brachte mich zur Besinnung.»

Langsam begann sich Gabrielas Leben zu ändern. «Ich zog weg, wechselte die Lehrstelle und besuchte eine christliche Jugendgruppe.» Aus Angst, ihren neuen Freunden nicht zu gefallen, bekehrte sie sich. «Gleich nach der Bekehrung kamen die Vorschriften. Es hiess, ich dürfe nicht mehr lügen, rauchen, müsse vergeben und vieles mehr. Ich war rebellisch, und das alles ging mir auf den Geist.» Trotzdem hielt sie an ihrer Entscheidung für Gott fest.

Annahme erfahren

Während der folgenden zwei Jahre quälte Gabriela die Frage, ob sie zu Gott gehörte. In dieser Not wandte sie sich an einen alten Mann. Die beiden sprachen miteinander und beteten. «Bin ich jetzt wiedergeboren?», fragte sie zum Schluss. «Du wirst es wissen», erwiderte er. Am nächsten Morgen hatte sie die tiefe Gewissheit, wiedergeboren zu sein und zu Gott zu gehören. Diese Erfahrung war prägend für ihr Leben.

Die inneren Kämpfe war sie damit aber nicht los. «Vergeblich versuchte ich, ein gutes Leben zu führen.» Gabriela trank, log und suchte ständig Sexpartner. Sie hatte keine Vorstellung von einem «normalen Leben». Irgendwie fühlte sie sich von Gott gedrängt, eine christliche Therapie zu machen. Dort herrschten knallharte Regeln. «Irgendwie konnte ich mich eingliedern und sogar öffnen.» Sie blühte auf. Obwohl Gabriela diese Art von Therapie heute infrage stellt, erlebte sie damals zum ersten Mal in ihrem Leben ein Zuhause.

Ein Leben mit Wellengang

In der Therapie lernte Gabriela einen Mann kennen, den sie kurz darauf heiratete. Die Beziehung war von Anfang an belastet. Ihre gemeinsamen Kinder waren vier und acht Jahre alt, als die Ehe zerbrach. Gabriela war am Ende – wieder einmal. Einige Zeit später fühlte sie sich auf einmal zu Frauen hingezogen. Erst war sie schockiert, durchlitt innere Kämpfe. Nach zwei Jahren begann sie dann aber eine lesbische Beziehung, die zehn Jahre dauerte. Dann erwachte sie eines Morgens und war überzeugt, wieder auf Männer zu stehen. «In den folgenden zwei Jahren führte ich ein zügelloses Leben mit vielen Männern.» In dieser Zeit lernte sie ihre Sexualität erst richtig kennen, war aber innerlich noch immer gebunden.

Gabriela begann wieder in der Bibel zu lesen, zu beten und Gottesdienste zu besuchen. «Ich hatte nicht besonders viel zu tun, und so entwickelte ich eine Leidenschaft, die Psyche von Mördern oder Kinderschändern zu studieren. Ich wollte wissen, was diese Menschen fähig machte, anderen derart weh zu tun.» Sie stellte fest, dass Täter selbst Schreckliches erlebt haben. Sie lernte den Missbrauch durch ihren Papa, Stiefvater, Bruder und Grossvater mit anderen Augen zu sehen. «In meinem Herzen wuchs das Bedürfnis, zu vergeben.»

Die Kraft der Vergebung

Um den Tätern ihrer Jugend Vergebung zuzusprechen, schrieb Gabriela ihnen Briefe. Sie wollte nicht mehr länger Opfer, sondern frei sein. Als Gabriela Monate später ihren Bruder traf, staunte sie. «Es war, als hätte es die Situationen damals nie gegeben.» Vier Jahre später machte sie ihren Stiefvater ausfindig und besuchte ihn im Pflegeheim. «Da war keine Angst und kein Ekel mehr – das ist das Wunder der Vergebung!» Die Annahme Gottes und die Kraft der Vergebung erwiesen sich als wirksam. «Die Wunden der Vergangenheit haben zwar Spuren hinterlassen, doch der erlebte Missbrauch hat keine Kraft mehr über mich.»

Gabriela Kugler direkt per Mail kontaktieren: gabriela.kugler@bluewin.ch

Brauchen Sie Hilfe oder einfach ein offenes Ohr? Dann melden Sie sich bei der anonymen Lebenshilfe von Livenet, per Telefon oder E-Mail. Weitere Adressen für Notsituationen finden Sie hier. 

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Datum: 13.07.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Jesus.ch

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