Talk: Melanie und Markus Giger

Nach Lebenskrise sind sie Wegbegleiter

Vor zehn Jahren brach im Leben von Melanie und Markus Giger unverhofft ein Sturm herein, der mehrere Jahre andauern sollte. Im Livenet-Talk berichten sie vom Tod ihres Sohnes und von ihrem Trauerprozess.
Melanie und Markus Giger (Bild: Livenet)

Melanie und Markus Giger freuten sich auf ihr drittes Kind. «Jede Schwangerschaftskontrolle zeigte, dass es dem Baby gut ging.» Wegen Stillstand des Geburtsvorgangs wurde auf einen Kaiserschnitt entschieden. Alles schien soweit gut, doch unmittelbar nach der Geburt wurde der kleine Micha weggenommen. «Da merkten wir, dass es um Leben und Tod ging.»

Stunden des Bangens

Die Stunden zogen dahin. Melanie und Markus konnten nichts tun als für ihren Sohn zu beten. Kurz bevor Micha in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde, konnten sie ihn kurz sehen. Stundenlang wurde ums Überleben des Kindes gekämpft, schliesslich blieben jedoch alle Massnahmen erfolglos und das medizinische Personal drängte sie, sich von Micha zu verabschieden.

In einem wertvollen Gespräch mit den Ärzten erfuhren Gigers, wie sie die letzte Zeit mit ihrem Sohn gestalten konnten. In einem schön eingerichteten Zimmer waren die beiden bei ihrem Sohn, bis er für immer einschlief. «Die Zeit war wertvoll um bewusst Abschied nehmen zu können. In allem Schmerz waren dies sehr kostbare Stunden.» Letztlich wurde Micha 30 Stunden alt.

Im Alltag irgendwie funktionieren

Während Gigers im Spital von unterstützenden Fachpersonen umgeben waren, erlebten sie zu Hause die blanke Überforderung. «Ab diesem Zeitpunkt fielen wir einfach in einen Überlebensmodus.» Die quälende innere Leere und gleichzeitig der Lärm der Kinder – das überforderte Melanie. Nach dem ersten Schock galt es zum alltäglichen Leben zurückzukehren. «Wir wussten damals noch nicht, wie sich das Trauma auswirken würde.»

Als Arbeitgeber stellte sich für Markus schnell die Frage, wann und wie er wieder arbeiten würde. Eigentlich hätte er nach ein paar Tagen wieder im Büro sitzen müssen, war aber letztlich über zahlreiche Wochen kaum arbeitsfähig. Er hatte Konzentrationsprobleme und brauchte für viele Dinge deutlich mehr Zeit als üblich.

Belastungsprobe für die Ehe

In einer Broschüre, die im Spital abgegeben worden war, stand, dass viele Paare nach einer solchen Erfahrung auseinandergehen – wegen der unterschiedlichen Art des Umgangs mit der Trauer. «Dort im Spitalzimmer versprachen wir einander, alles daran zu setzen, um zusammen zu bleiben.» Rückblickend hatten sie damals aber keine Ahnung, welche Herausforderungen die folgenden fünf Jahre bringen sollten.

«Ich bin jemand, der Kapitel schnell abschliessen und Dinge hinter mir lassen kann», beschreibt sich Markus selbst. So wollte er auch diese schmerzhafte Erfahrung abschliessen und positiv die Zukunft und das Leben gestalten. «Die Unterschiedlichkeit im Trauern ist eine Zerreissprobe», hält Melanie fest. Ihre Trauer war emotional intensiv, mit vielen Tränen, verzweifelten Momenten und Besuchen an Michas Grab. Während sie viel über die traurige Erfahrung sprechen musste, kämpfte Markus still und alleine mit Gott. Er entdeckte das Golfspiel und erlebte das Schlagen des Balls als befreiend.

Der Weg ist lang

Melanie erzählt von Freundinnen, die an ihrer Seite ausharrten. Wahrscheinlich sei es meistens aus Überforderung gewesen, wenn sich Menschen von ihnen abgewandt haben. Auch wenn es kaum aus böser Absicht gewesen war, wurden doch die Freunde umso wertvoller, die nahe bei ihnen geblieben sind. «Einmal brachte eine Frau ein Mittagessen vorbei. Ich werde das nie vergessen.»

Wer nie eine vergleichbare Trauer durchgemacht hat, ahnt meist nicht, wie lange diese üblicherweise andauert. «Wir reden heute von fünf bis sieben Jahren, in denen wir in einer Lebensschwere, im Sturm drin gewesen sind.» Viele versuchen, die Trauer abzukürzen. Doch das holt einen früher oder später wieder ein. Im Talk erzählt Markus von einer Islandreise, die für ihn zum Symbol seines Trauerweges wurde.

Erschütterter Glaube

«Mein Glaube wurde erschüttert und in der Folge musste ich vieles neu ordnen», blickt Melanie zurück. Doch sie hält auch fest: «Jesus ist mir heute extrem kostbar. Meine Liebe wuchs in die Tiefe. Es war aber nötig, mich meiner Enttäuschung von ihm zu stellen.» Das Klagen bei Gott bezeichnet sie als Schlüssel auf dem Weg des Trauerns. «Irgendwann sagte ich mir: Entweder bist du Gott gegenüber vollständig ehrlich oder wendest dich von ihm ab. Da gab es nichts mehr dazwischen.» Gott musste sich sehr viel von ihr anhören. «Er hat es ausgehalten und das hat mein Vertrauen in ihn gestärkt.»

In den dunklen Jahren hat Markus neue Facetten Gottes kennengelernt. In dieser Zeit, als Gott ferne und schweigend schien, galt es, einfach an ihm festzuhalten. Schliesslich brachte ihm auch das Forschen zum Thema «Glauben in leidvollen Situationen» grossen Gewinn.

Mit anderen Menschen teilen

In Gigers wuchs der Wunsch, anderen Menschen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Deshalb veröffentlichten sie im vergangenen Jahr das Buch «Mitten im Sturm». Seither begannen sie auch damit, Menschen zu begleiten, Betroffene zu beraten und gemeinsam Seminare zu leiten. «Ziel ist, im Herbst 2022 eine Stiftung zu gründen. Damit soll Betroffenen direkt und unbürokratisch Hilfe zur Verfügung gestellt werden.» Fahrdienste organisieren, Essen liefern und vieles mehr kann Betroffenen enorm helfen. Praktische Tipps zum Helfen finden sich auch im Buch «Mitten im Sturm».

Sehen Sie sich hier den kompletten Livenet-Talk an:

Zum Thema:
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Datum: 22.07.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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