Edward Grinnan

«Das Leben spuckte mich immer wieder auf die Strasse»

In früher Kindheit verlor Edward Grinnan seinen älteren Bruder. Mit 13 begann er, Alkohol zu trinken und nach dem Studium landete er mit 30 auf der Strasse. Er bettelte um Geld, um seine Sucht zu finanzieren. Sie ahnen nicht, was heute sein Job ist…
Edward Grinnan (Bild: Guideposts)
Edward Grinnan, vorne Mitte, auf einem Familienfoto aus den frühen 1960er Jahren.

«Ich war das jüngste Kind der Familie, meine Eltern waren schon etwas älter, als ich zur Welt kam», erinnert sich Edward Grinnan. «Ich hatte zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester. Mein nächstältester Bruder, Bobby, hatte das Down-Syndrom. Das war interessant – ich wuchs in einem Umfeld auf, in welchem man sich intensiv um ein Kind kümmert. Das öffnete mir die Augen dafür, welche Bedürfnisse die Menschen füreinander haben.»

Ein Jahr nachdem die Familie an einen neuen Ort, nach Michigan, gezogen war, war Bobby plötzlich verschwunden. «Er war ein Gewohnheitstier, deshalb war es beunruhigend, dass er nicht zu finden war. Ich weiss noch, dass ich an diesem Tag aus der Schule geholt und nach Hause gebracht wurde. Als ich nach Hause kam, standen überall im Vorgarten Fernsehwagen und Kameras, und bald wurde bekannt, dass ein Kind mit Down-Syndrom vermisst wurde.»

«Es war schwer, der Welt noch zu vertrauen»

Schwer Tage folgen. «Die Tage und Wochen vergingen, und die Polizei suchte und suchte und suchte. Es wurde angenommen, dass er entführt worden war. Und unsere Familie machte vier oder fünf Wochen lang eine furchtbar schwierige Zeit durch.»

Dann wurde Bobby gefunden: «Schliesslich fand man die Leiche meines Bruders im nahe gelegenen See, einem See, der in den Wochen seines Verschwindens immer wieder abgesucht wurde. Niemand konnte sich erklären, wie seine Leiche in den See gelangt war, und es gelang nie, den Fall abzuschliessen. Aber natürlich hatte dies einen enormen Einfluss auf die Familiendynamik. Es ist schwer, der Welt danach noch zu vertrauen.»

Edward Grinnan stammt aus einer Familie mit einem sehr starken christlichen Glauben. Doch wenn ein Kind verloren geht, kann dies eine Ehe zerstören. «Meine Eltern sind zusammengeblieben. Ihre Ehe war so stark wie eh und je, und das nur, weil sie sich in jeder einzelnen Minute dieser Krise und in jeder einzelnen Stunde danach auf ihren Glauben verlassen haben.»

Der Alkoholismus schlägt Wurzeln

Edward war viel jünger als sein Bruder und seine Schwester. Sie gingen aufs College und zum Militär. «Und als jüngstes Kind hatte ich eine Menge Freiheiten.»

Bei ihm begann der Alkohol seine Wurzeln zu schlagen. «Als ich etwa dreizehn war, war ich mit ein paar Kindern im Wald unterwegs, und jemand hatte irgendwo eine Flasche Whiskey gestohlen und wir reichten die Flasche herum. Ich weiss noch, wie ich die Flasche an meine Lippen setzte. Es war Vollmond in einer Herbstnacht und irgendetwas an dem Alkohol, der durch mein Blut und mein Gehirn floss, gab mir ein Gefühl, wie ich es nie zuvor empfunden hatte. Ich erinnere mich, dass ich dachte, ich möchte mich die ganze Zeit so fühlen. Das sollte die nächsten 20 Jahre so bleiben.»

Eine Zeitlang sei dies möglich gewesen, er achtete darauf, dass er akademisch in Topform blieb. «Die Alkoholsucht frass mich langsam aber sicher auf, so dass ich, als ich mit Ende zwanzig, Anfang dreissig die Bildungsstätte verliess, im Grund ein obdachloses Wrack war.»

Er lebte immer wieder auf der Strasse und bettelte um Geld, nur damit er weiter trinken konnte. «Dazwischen gab es viele Dinge, College, Jobs, Reisen, Vagabundieren, Studium, aber am Ende spuckte mich das Leben immer wieder auf die Strasse.»

Am Fenstersims des Todes

In Kopenhagen, Dänemark, war Edward etwa zweieinhalb Jahre nüchtern. Er dachte, er könne wieder trinken – und vergass dabei, dass er Alkoholiker war. «Es lief hoffnungslos und schrecklich aus dem Ruder.»

«Ich arbeitete gerade an einem Buch für eine Firma, bei der ich angestellt war. Ich war im dreiundzwanzigsten Stock eines Hotels und sass auf der Fensterbank, ein Bein baumelte über dem Abgrund, und ein Bein war noch im Zimmer, mit einem Glas Schnaps auf dem Bauch. Und ich sagte: «Weisst du, ich werde wahrscheinlich ohnmächtig, und wenn ich aus dem Fenster falle, ist das in Ordnung. Und wenn ich zurück ins Hotelzimmer falle, dann ist das auch in Ordnung.»

Er wachte im Bett wieder auf und ein unglaubliches Licht schien durch das Fenster. «Es war mitten in der Nacht, und es hat mich einfach geblendet. Ich setzte mich auf und dachte: Das wird schon wieder. Ich werde wieder gesund.»

Auf der Entgiftungsstation

Zurück in New York landete er auf einer Entgiftungsstation. Ein paar Tage später wurde er entlassen. Er nahm an einem Zwölf-Schritte-Programm teil. Der Betreuer äusserte sich deutlich: «Wenn du wieder anfängst zu trinken, bist du raus, dann bist du wieder auf der Strasse.»

Er bekam einen Anruf von einer Personalvermittlerin, von der er noch nie etwas gehört hatte. «Sie hatte meinen Lebenslauf, obschon ich ihn ihr nie gesendet hatte.» Er wusste nicht, ob es sich um eine Betrugsmasche handelte. «Sie sagte nur: 'Es gibt eine Zeitschrift namens Guideposts, die einen Redakteur sucht. Hätten Sie Lust auf ein Job-Interview?'»

«Vielleicht gibt es Gratisreisen»

Davon hatte er noch nie gehört. «Es klang wie ein Reisemagazin. Ich entschied mich, hinzugehen, vielleicht würde ich ja ein paar Gratisreisen geschenkt erhalten. Vielleicht war das die Belohnung dafür, ein paar Wochen nüchtern zu bleiben.»

Also ging er hinein. «Meine Helfer beim Zwölf-Schritte-Programm sagten, ich bräuchte einen Job und ich sollte mich für ein Jahr verpflichten. Es spielte keine Rolle, was für ein Job das war, ich sollte mich nur zu etwas verpflichten und an meiner Nüchternheit und an meiner Beziehung zu Gott arbeiten. In meinem Alkoholikerhirn sagte ich: 'Na gut, in sechs Monaten bin ich hier raus und finde einen Job bei der 'New York Times' oder bei 'Condé Nast' und 'Vanity Fair'. Das war im Jahr 1986… und seitdem bin ich bei 'Guideposts'.» Inzwischen ist er Chefredaktor des Magazins.

Menschen, die dasselbe durchmachen

Das Magazin wurde vor über 75 Jahren gegründet, um Geschichten von Menschen und ihrem Glauben aus dem Alltag zu veröffentlichen, was damals bahnbrechend war.

«Wir haben etwa 4,5 Millionen Leser pro Ausgabe. Unsere Leser sagen uns, dass sie die Zeitschrift Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt immer wieder zur Hand nehmen, weil sie sich mit den Geschichten und den Problemen der Menschen identifizieren. Es gibt diesen Punkt der Identifikation, an dem der Leser sagt: 'Diese Person ist wie ich. Ich verstehe, wie sie sich fühlt und was sie durchmacht. Und ich fühle mit ihnen, wenn sie in ihrem Kampf triumphieren und ihren Glauben zum Überwinden einsetzen.'»

Am richtigen Ort

Edward Grinnan: «Gott hatte mich an den Ort gebracht, an dem ich sein musste. Ich habe das eine Zeit lang nicht bemerkt, ich war einfach irgendwie krank, so dass ich den Plan nicht ganz durchschaut habe. Was mich jeden Morgen dazu bringt, hierher zu kommen, sind diese unglaublichen Geschichten und dieses unglaubliche Publikum, das sich der Zeitschrift so sehr widmet und diese Geschichten wirklich braucht, um in seinem geistlichen Wohlbefinden zu wachsen und zu gedeihen.»

Er erkannte, dass sein eigener Glaube, der zu der Zeit noch wackelig war, «so schlüpfrig war, als ob ich versuchte, mich an etwas festzuhalten, das mir ständig aus den Händen glitt – ich begann zu spüren, dass mein eigener geistlicher Anker durch diese Geschichten und dieses Publikum gestärkt wurde. Und plötzlich wurde mir klar, dass mein eigener Glaube gestärkt wurde, während ich eine Geschichte mit einem Erzähler durchging. Schliesslich erkannte ich, dass der Deal, den Gott mir anbot, lautete: 'Ich habe dich zu Guideposts gebracht und ich will dich hier haben. Im Gegenzug helfe ich dir mit deiner Nüchternheit und du hilfst mir mit Guideposts.' Das war die Abmachung, die ich 1986 oder so getroffen habe, und an diese Abmachung halte ich mich auch heute noch.»

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Datum: 06.12.2021
Autor: Jesus Calling / Daniel Gerber
Quelle: Eternity News / gekürzte Übersetzung: Jesus.ch

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