«Ich habe ein Kind verloren und ein anderes wiederbekommen»
Auch die dritte Schwangerschaft von Uta Pohl verlief problemlos. Völlig unerwartet wurde ihr Sohn tot geboren. Wie kann nach so einem Trauma die Seele heil werden? Hier erzählt Uta Pohl ihre Geschichte.
Uta Pohl (Bild: zVg)
Mein Mann und ich hatten uns
immer drei bis vier Kinder gewünscht. Nachdem wir zwei gesunde Kinder bekommen
hatten, war ich mit 31 Jahren das dritte Mal schwanger. Alles verlief
problemlos. Kurz nach dem errechneten Termin setzten die Wehen ein. Wir fuhren
ins Krankenhaus. Plötzlich waren die Herztöne des Kindes nicht mehr zu hören.
Es begann ein emsiges Treiben, Untersuchungen,
Blutabnahme… Dann kam der Chefarzt zu uns ans Bett und sagte das Unfassbare: «Ihr
Kind ist tot, ein Kaiserschnitt würde zu lange dauern und wäre aussichtslos.»
Wir waren fassungslos. Das konnte unmöglich wahr sein. Gerade noch hatte das
Kind gestrampelt. Und hatte nicht vor ein paar Wochen eine Frau prophezeit,
dass wir bei der Geburt die Hilfe des Herrn erfahren würden? Wo war die Hilfe?
Wo war Gott? Wie konnte er das zulassen?
Wieder zuhause
Die Entbindung war schwer. Dann war er da – ein
Junge, 3'800 Gramm, und, wie uns die Obduktion später verriet, völlig gesund.
Die Todesursache war ein kleiner Defekt zwischen Nabelschnur und Gebärmutter.
Durch die Wehen riss die Nabelschnur dort, sodass das Baby nicht mehr versorgt
wurde.
Während ich ein paar Tage im Krankenhaus bleiben
musste, räumte mein Mann Andreas zu Hause alle Babysachen weg. Mir graute
davor, nach Haus zu kommen. Die ersten Tage traute ich mich nicht nach draussen.
Irgendwann kam der erste Einkauf, bei dem ich auch noch eine Frau aus der
Gemeinde traf. Freudestrahlend fragte sie mich, wie unser Kind heisst. Unter
Tränen sagte ich ihr kurz, dass unser Sohn Johannes tot war; danach konnte ich
nur noch heulend nach Hause rennen.
Wie wird die Seele heil?
Eine junge Frau, die kurz zuvor zum Glauben
gekommen war, sagte zu mir: «Uta, ich kann Gott nicht verstehen. Wie kann er das
zulassen, gerade bei euch, wo ihr euch in der Gemeinde so engagiert und für
Gott einsetzt?» Ich versuchte, es ihr zu erklären, aber ihr Satz blieb bei mir
haften. Nach aussen zeigte ich mich tapfer, unbeirrbar und fest im Glauben.
Aber in meinem Inneren schrie alles. Ich war verletzt, zornig und enttäuscht
von Gott. Ich hatte nichts gemacht, hatte nicht wie David Schuld auf mich
geladen… wie konnte er da mein Kind sterben lassen? Ich hatte das nicht
verdient!
Ich suchte in der Bibel nach dem Warum und Weshalb.
Und wie konnte meine Seele heil werden? Ich machte Gott Vorhaltungen und
zweifelte an seinen guten Wegen für uns. Ich war weit weg von ihm. Heute glaube
ich, dass allein die Gebete von lieben Freunden und meinem Mann mich in dieser
Zeit «über Wasser» gehalten haben. Mein Gottesbild hatte sich jedenfalls völlig
verändert. Oder kam es hier womöglich erst zum Vorschein?
Ein Wunder
Ein Jahr später: Wir fuhren zum Gottesdienst. Mit
unserem vollbeladenen Auto parkte Andreas gerade ein, als unser 11-jähriger
Sohn Lukas von der Seite angerannt kam. Andreas hatte ihn nicht gesehen und
überfuhr ihn. Ich sprang aus dem Auto, kniete neben ihm nieder. Alles krampfte
sich in mir zusammen: «Herr, lass ihn nicht auch noch sterben.» Krankenwagen
und Rettungshubschrauber kamen; später fuhren wir wie benommen hinter ihnen her
ins Krankenhaus. Im Gottesdienst betete man inzwischen intensiv für Lukas.
Das Warten im Krankenhaus wurde für uns zur
Ewigkeit, angefüllt mit Vorwürfen: Was haben wir nur getan? Wie konnten wir ihn
übersehen? Wird er überleben? Und wenn ja, mit welchen Folgeschäden? Als man
uns zum Chefarzt holte, zitterten meine Knie. «Wir konnten keinerlei
Verletzungen an ihrem Sohn feststellen», sagte er. Lediglich ein paar Äderchen
in den Augen waren geplatzt, sein Fuss war verstaucht, und man sah die
Reifenspuren auf seinem Rücken. Der Arzt hatte so etwas noch nicht erlebt.
Überhaupt sei das Ganze eigentlich unmöglich. Vielleicht könnte ein
zweijähriges Kind, bei dem die Knochen noch weich sind, so etwas überstehen,
aber nicht ein elf Jahre alter Junge. Er hatte keinerlei Erklärungen dafür.
Andreas und ich aber wussten, dass wir soeben Gottes übernatürliches Eingreifen
erlebt hatten.
Wie bei Hiob
Als wir wieder im Warteraum sassen, sprach Gott
ganz leise zu mir: «Du kannst mit mir
nicht rechten. Diesmal wart ihr schuld. Ihr wart unaufmerksam und habt
euren Sohn überfahren. Ich habe ihn auf wunderbare Weise bewahrt.»
Wie Hiob kam ich mir vor. Ich hatte Gott
herausgefordert. Beschämt bat ich Gott um Vergebung, dass ich auf ihn zornig
war, ihn für ungerecht und lieblos hielt und enttäuscht von ihm war. Wie einen schweren
Rucksack legte ich all meinen Groll und Frust vor Gott ab. Ich merkte, wie eine
Riesenlast von mir abfiel. Und obwohl Gott meine Frage nach dem «Warum» nicht
beantwortete, merkte ich, wie meine Seele langsam zu heilen begann.
Ein halbes Jahr später empfand ich beim Spaziergang
in einem Park ganz deutlich Gottes Gegenwart. Ich musste weinen, aber es waren
Tränen der Heilung. Und dann blieb ich an einem Gedenkstein stehen, dessen Inschrift
mich sofort ansprach: «Ich habe dich den langen Weg durch die Wüste geführt, um
dich zu demütigen und dich zu prüfen, damit offenbar würde, was in deinem
Herzen ist… und dir am Ende Gutes zu tun» (5. Mose, Kapitel 8, Verse 2 und 16).