Leid ist vor allem dann erträglich, wenn es nicht zu
gross ist oder vorbeigeht. Vaneetha Rendall Risner leidet seit Jahrzehnten an
Kinderlähmung. Doch nachdem sie Gott zuerst verflucht hatte, fand sie
schliesslich durch ihre Erkrankung zu ihm.
Lange Zeit war es für Vaneetha aufgrund ihrer
Krankheit klar, dass Gott entweder ein Sadist war oder unendlich weit entfernt
– falls er überhaupt existierte. Zu tun haben wollte die Inderin nichts mit
ihm.
Fehldiagnose
Alles begann mit einer Fehldiagnose in Indien. Als
Kleinkind brachten ihre Eltern Vaneetha mit hohem Fieber ins Krankenhaus. Die
Ärzte versuchten, dieses Fieber zu senken und merkten nicht, dass ihre
Behandlung dazu beitrug, dass sich die eigentliche Krankheit noch schneller
ausbreiten konnte. Vaneetha hatte Polio und war noch nicht geimpft. Nach
kürzester Zeit war sie stark gelähmt. Auf Anraten der Ärzte verliess die
Familie mit ihr das Land und zog nach Kanada, um ihr eine bessere medizinische Versorgung
zu ermöglichen. 21-mal wurde sie als Kind operiert. Laufen lernte sie erst mit
sieben Jahren.
Verschlossen und verstört
Das Krankenhaus wurde zu Vaneethas zweitem Zuhause.
Einmal lag sie neun Monate in einem Gipsbett. Sie lernte dort, sich in sich
selbst zu verschliessen und einfach zu gehorchen, denn jeder Ungehorsam führte
dazu, dass sie kaltes Essen bekam oder mit Schweigen bestraft wurde. Belva war
eines der wenigen Mädchen in der Klinik, die sich bewegen konnten. Gern
spielten die beiden zusammen mit ihren Barbies. Doch nachdem Belva stärker
erkrankte, war sie eines Morgens plötzlich verschwunden. Ihr Nachtschrank wurde
einfach ausgeräumt. Als Vaneetha nachfragte, sagte man ihr nur, dass sie sich
um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollte.
Die Zeit zwischen den Klinikaufenthalten war auch
nicht angenehmer: In der Schule wurde Vaneetha schikaniert, als «Krüppel»
bezeichnet und sogar mit Steinen beworfen. Sie behalf sich damit, dass sie gute
Miene zum bösen Spiel machte. Wenn sie fröhlich wirkte, war sie wenigstens
nicht ganz allein. Doch innerlich war sie verzweifelt und wütend.
Krankheit als Chance
Um möglichst dazuzugehören, besuchte Vaneetha im
College eine christliche Sportgruppe – mit Glauben hatte das aber für sie
nichts zu tun. Als jedoch eine Freundin von ihr nach einem Sportcamp zurückkam
und davon erzählte, dass Gott wirklich existieren würde, kam sie ins
Nachdenken. Die Andachten hatten sie bisher nicht berührt, aber das war etwas
anderes. So entschied sie sich schliesslich dafür, Gott eine Chance zu geben.
Sie öffnete ihre Bibel im dritten Buch Mose – und verstand nur Bahnhof. Sie
fragte Gott: «Warum ist mir so etwas Schreckliches passiert, wenn es dich gibt
und du es gut mit mir meinst?» Dann öffnete sie die Bibel irgendwo und las: «Und
als er [Jesus] vorbeiging, sah er einen Menschen, der blind war von Geburt an. Und
seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, sodass dieser
blind geboren ist, er oder seine Eltern? Jesus antwortete: Weder dieser hat
gesündigt noch seine Eltern; sondern an ihm sollten die Werke Gottes offenbar
werden!» (Johannes Kapitel 9, Verse 1–3).
Schockiert stellte Vaneetha fest, dass die Jünger dieselbe Frage stellten wie
sie – aber Jesus ihren Blick weg von Schuld und Krankheit lenkte, hin zu einem
tieferen Sinn. Damals, mit 16 Jahren, vertraute sie ihr Leben Jesus Christus
an.
Mehr als Heilung
Mit ihrer Hinwendung zu Gott wurde nichts anders – und
gleichzeitig wurde alles anders. Die Folgen der Polio blieben. Vaneethas Beine
waren immer noch vernarbt, ihre Beweglichkeit blieb eingeschränkt und
verschlechtert sich momentan noch durch ein Post-Polio-Syndrom. Durch den
Fehler eines Arztes verlor sie später einen Sohn. Ihr erster Mann verliess sie
für eine andere Frau. Doch es sind nicht diese Probleme und Schmerzen, die
Vaneethas Leben ausmachen. Sie weiss sich getragen von Gott und ermutigt
andere, ihm ebenfalls zu vertrauen. Das tut sie, indem sie ihre
Lebensgeschichte erzählt, ob im persönlichen Gespräch, für die Zeitschrift «Christianity
Today»,
deren Bericht auch die Basis dieses Artikels bildet, oder durch ihre Bücher.
Trotz allem sieht sie in ihrer Krankheit mehr ein Privileg als ein Problem.