Eva-Maria

Krebstod meiner Tochter

Eva-Maria

"Ich fühlte mich von Gott verlassen" „Blutkrebs!“ Diese Diagnose bei meiner 15-Jährigen Tochter Eva-Maria traf meine Familie völlig unvorbereitet. Mein Leben war bisher mehr als gesegnet. Als selbständiger Architekt in Egenhausen habe ich beruflich fast alles erreicht, was man erwarten kann, und ich habe im Beruf immer wieder Gottes Führung erfahren. Ich war damals 25 Jahre glücklich verheiratet, meine Töchter ebenfalls gläubig.

Positives Denken?

Dann kam die Krankheit meiner zweitältesten Tochter Eva-Maria. Sie hatte schon ein paar Tage hohes Fieber gehabt. Eine Blutuntersuchung brachte schliesslich den Verdacht auf Leukämie. Unter Tränen sagten meine Frau und ich es unserer Tochter: „Du musst sofort ins Krankenhaus ... mit Verdacht auf Leukämie!“

Eva-Maria schrieb damals in ihr Tagebuch: „Leukämie, Leukämie, Leukämie, hämmerte es in meinem Kopf. Leukämie diese Krankheit ... ich?! ... das kann nicht sein, nicht ich ... das ist unmöglich. Plötzlich bricht es aus mir heraus: ‚Nein, Nein!’ Doch die hohlen Wände des Korridors werfen mir nur ein leeres Echo zurück: ‚Nein, Nein ...’ In der Zwischenzeit hat auch meine alte Kunstlehrerin mitgekriegt, was los ist, und sie nimmt mich in die Arme und meint: ‚Ach Kindchen, du musst jetzt positiv denken und darfst das nicht glauben, lass’ es nicht zu!’ Doch in meinem Innersten wusste ich, dass positives Denken keine Antwort für mich sein würde. Beim Verlassen des Schulgebäudes wurde ich durch ein Plakat wieder an das erinnert, was mir in meinem jungen 15jährigen Leben bisher immer Hoffnung und Hilfe war: ‚Von guten Mächten treu und still umgeben, erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.’“

Eva-Maria kam ins Universitätskrankenhaus Tübingen. Der Verdacht wurde zur Gewissheit: Sie hatte Blutkrebs. Es verging kein Tag, an dem nicht Besucher, Post, Päckchen oder Blumen für Eva-Maria kamen. Selbst ihre behandelnden Ärzte und Schwestern konnten sich an eine solche Anteilnahme bisher nicht erinnern.

Geheilt - dann der Rückfall

Eva-Maria musste anderthalb Jahre lang Chemotherapie, Bestrahlungs- und Langzeittherapie durchlaufen. Keiner wusste, wie es ausgeht. Aber nach diesen anderthalb Jahren galt sie als geheilt. Im März 1998 stellte man dann einen Rückfall fest, und das war sehr hart für Eva-Maria, denn sie hatte so viele Pläne: das Abitur, einen Einsatz in Israel, dann das Medizinstudium ...

Nach ein paar Tagen des inneren Kampfes und Gebets konnten wir uns dieser erneuten Herausforderung stellen. Uns wurde auch gleich mitgeteilt, dass parallel zur Chemotherapie ein Knochenmarkspender weltweit gesucht würde, denn ohne Transplantation hätte sie keine Überlebenschance! Es wurde tatsächlich in Deutschland ein Spender gefunden. Eva-Maria wurde auf die Transplantation vorbereitet. Sie kam in ein keimfreies Zelt, denn ihr eigenes Immunsystem musste vor der Transplantation vernichtet werden. Nach dem Injizieren des neuen Knochenmarks war Eva-Maria acht bis zehn Tage ohne jegliches Immunsystem, und das war für sie lebensgefährlich. Mit viel Gebet und durch die Unterstützung unserer Grossfamilie, unserer Freunde und vor allem unserer Gemeinde konnte Eva-Maria nach 21 Tagen die Transplantationsstation verlassen und langsam in ein normaleres Leben zurückfinden.

„Das war brutal“

Eva-Maria war nach Aussagen der Ärzte immer wieder „für Komplikationen gut“: Ihr Körper stiess das neue Knochenmark vollständig ab. Man stellte fest, dass sich ein Prozess in Eva-Marias Körper abspielt und die Ärzte nicht so recht wussten, was eigentlich los ist. Kurz darauf musste sie dann wieder stationär aufgenommen werden, und es ging ihr täglich schlechter. Es sollten drei Wochen werden, die uns als Familie bis zum Äussersten herausforderten. In dieser Zeit wurde mir jegliche Grundlage meines Lebens entzogen.

Nach aussen hin konnte ich einigermassen stabil bleiben. Nach innen setzte sich der Auflösungsprozess von Tag zu Tag unaufhaltsam fort: Das Gespräch mit Gott wurde von meiner Seite aus schwächer, ich fühlte mich von ihm verlassen. Ich war seit fast 40 Jahren Christ, doch das hatte ich noch nicht erlebt: nichts mehr von Gott zu erahnen, keine Antwort mehr zu bekommen. Das war brutal. Ich war tief zerbrochen und durchlitt das Wort Jesu am Kreuz „Warum hast du mich verlassen?“ in aller Härte. Eva-Maria ging es ähnlich.

Eine Wende - vier Stunden vor dem Tod

Bis vier Stunden vor dem Tod von Eva-Maria habe ich von Gott nichts mehr gespürt. Am Sterbebett sitze ich bei ihr und fühle, wie sie mit ihrem Glauben kämpft und wie sehr sie ihre Fragen an Gott in dieser Stunde quälen: „Papi, ich hadere mit Gott“, sagt sie. Dann tritt eine Wende ein. Eva-Maria und ich sprechen alle vorhandene Schuld zwischen uns aus. Ich spüre, wie ich die Kraft bekomme, ihr diese Last abzunehmen: „Du, ich nehme das auf mich, ich bin dein Vater, du brauchst nicht mehr zu kämpfen.“ Von da an ist Eva-Maria wie verwandelt. Sie wird ruhiger, ihre Stimme trotz Atemnot heller und klarer. Eva-Maria spricht davon, wie ihre Beerdigung ablaufen soll: „Kommt alle in Weiss, sprecht von Hoffnung!“ Die Zeit bis zu ihrem Herzstillstand war von einer unbeschreiblichen himmlischen Atmosphäre gekennzeichnet: Ein tiefer Friede war spürbar. Wir wussten: Unsere Tochter hat das Ziel erreicht!

Das Leid annehmen

Nach dem Tod haben wir uns sechs Monate lang Auszeit genommen, um den Schmerz und die Trauer nicht durch Überaktivität zu verdrängen. Danach haben wir uns mit unserer Tochter Gabriela zusammengesetzt und festgelegt, dass wir uns nun wieder mit neuer Freude und Zuversicht dem Leben und den Aufgaben zuwenden werden. Der Tod unserer Eva-Maria brachte uns neu die Hoffnung, dass unser Leben hier nur vorübergehend ist und wir uns auf das Zukünftige freuen dürfen! Es ist Gottes Wille, dass wir auch in Leid geraten und dieses Leid dennoch annehmen und ertragen. Ich bin jetzt viel freier als früher. Ich habe keine Angst mehr, denn was soll mir noch passieren: Gott hat mir das Kind genommen, und ich sage: „Ja, Herr, ich nehme es an und gehe meinen Weg noch treuer mit dir.“

Datum: 12.05.2002
Autor: Helmut Hauser
Quelle: idea Deutschland

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