Paralympische Schwimmerin

Jessica Long: «Warum hat Gott mich anders gemacht?»

Die Russin Jessica Long wurde ohne Unterschenkelknochen geboren. Sie kämpfte mit ihrer Identität. Und als sie einmal «nur» Bronze holte, fragte sie ihre Adoptiveltern, ob sie sie noch lieben…
Jessica Long (Bild: Instagram)
Jessica Long bei einem Wettkampf

«Ich sah die Weltrekordhalterin und merke, dass ich sie mit jedem Zug ein wenig überholte. Irgendwann waren wir 15 Meter vom Ziel entfernt und ich sagte mir einfach: 'Ich bin nicht hierher gekommen, um Zweite zu werden'», erinnert sich Jessica Long. «Wir berührten die Wand so nah beieinander, dass man auf die Anzeigetafel schauen musste, um zu sehen, wer gewonnen hat.» Schliesslich stellte sich heraus, dass Jessica gewonnen und gleichzeitig auch noch einen olympischen Rekord aufgestellt hatte.

Vorausgegangen waren bereits etliche Triumpfe: 2004, im Alter von zwölf Jahren, war Jessica Long die jüngste Paralympionikin, die eine Goldmedaille gewann – und noch bei den gleichen Spielen kamen zwei weitere Goldmedaillen dazu.

Jessica erinnert sich: «Etwa 20'000 Menschen hatten sich das Rennen angesehen, und ich versuchte einfach nur, Luft zu holen, ich war aufgeregt und konnte es kaum erwarten, meine Familie zu sehen.»

Eine neue Heimat

Jessica wurde in Russland ohne Unterschenkelknochen geboren. Dort wurde sie aus einem sibirischen Waisenhaus von Steve und Beth Long, einem Ehepaar aus Baltimore, Maryland adoptiert.

«Sie sahen ein Bild von mir und einem anderen kleinen Jungen», sagt Jessica. «Sie spürten einfach in ihrem Herzen, dass wir die Kinder waren, von denen Gott wollte, dass sie von ihnen adoptiert werden.»

Mit 18 Monaten trafen die Longs die schwierige Entscheidung, Jessicas Unterschenkel zu amputieren – die erste von 25 schmerzhaften Operationen begann.

Jessica erinnert sich: «Einem Mädchen ohne Beine braucht man nicht zu sagen, dass es anders ist... Ich wusste, dass ich anders war. Mir fehlte die Hälfte meines Körpers. Aber ich hatte wirklich unglaubliche Eltern, die mir beigebracht haben, dass Gott immer einen besonderen Plan für mich hatte.»

«Warum?»

Jessica erinnert sich, wie sie jeden Sonntag nach dem Besuch in der christlichen Gemeinde bei den Grosseltern im Swimming Pool spielte. Im Alter von zehn Jahren trat Jessica dem örtlichen Schwimmteam bei. Das Schwimmbad gab ihr Sinn und sie fragte sich, warum Gott sie anders gemacht hatte.

«Ich weiss noch, dass ich sehr wütend war», blickt Jessica zurück. «Ich weiss noch, dass ich nichts mit Gott zu tun haben wollte und alle drei Monate operiert werden musste. Und ich meine, ich hörte immer nur, dass Gott mich so gemacht hat, und ich dachte: 'Ich glaube, das gefällt mir nicht.'»

Wut schürt Wettbewerbsdrang

Diese Wut schürte ihren Wettbewerbsdrang. Im Jahr 2006 gewann die vierzehnjährige Jessica bei den Weltmeisterschaften in Südafrika neun Goldmedaillen. «Ich glaube, das Schwimmen ist einfach zu meiner Identität geworden, denn bei den Paralympics 2008 habe ich nicht so gut abgeschnitten, wie ich es gerne getan hätte. Ich war die Weltrekordhalterin im 100 Brustschwimmen, aber ich bekam die Bronzemedaille. Und eines der ersten Dinge, die ich meine Eltern fragte, war: 'Liebt ihr mich noch?' Und sie antworteten verblüfft: 'Wovon redest du?'»

Ihre oberflächliche Beziehung zu Gott wich ihrer Identität als Schwimmerin. «Ich glaube, ich hatte das Gefühl, dass ich das alles allein schaffen könnte, und das konnte ich auch, richtig. Ich war diejenige, die sich Operationen unterziehen musste. Ich war diejenige, die mit zwei Beinprothesen herumlief und mir taten jeden Tag die Beine weh und ich wollte mich nicht einmal auf meine Eltern verlassen, geschweige denn auf jemanden, den ich nicht einmal sehen konnte. Und ich habe Preise gewonnen. Ich war auf roten Teppichen in LA. Ich bekam Sponsorengelder...»

50 Goldmedaillen, 18 Weltrekorde – und innere Leere

In den nächsten sechs Jahren sammelte Jessica über 50 Goldmedaillen und 18 Weltrekorde. Bei den Paralympischen Spielen in London 2012 merkte sie aber, dass ihr etwas fehlte. «Ich hatte gerade fünf Goldmedaillen gewonnen, das Leben war grossartig. Ich hatte einen Werbespot mit Coca-Cola gemacht. Aber ich weiss noch, dass ich mich wirklich leer und unzufrieden gefühlt habe, und ich fragte mich, weshalb das war. Ich meine, ich habe alles erreicht, was ich in meiner Schwimmkarriere jemals erreichen wollte, warum fühle ich mich dann immer noch leer? Wieso fühle ich mich immer noch unzufrieden?»

Während ihres Trainings für London besuchte Jessica ein Bibelstudium für Frauen, und mit der Zeit wurde ihr klar, dass sie etwas ändern musste. «Ich glaube, ich war es einfach leid, wütend zu sein. Ich glaube, ich war es leid, dieses ganze Gewicht zu tragen. Ich glaube, dass nichts mehr meine Seele befriedigte, und das war alles, was ich mein ganzes Leben lang gehört hatte: Gott ist der eine, der alle deine Bedürfnisse erfüllen kann.»

Die innere Wende

Eines Abends im Sommer 2013 übergab sie ihr Leben Gott. «Ich ging zu einer Frau, die ich kannte, und betete mit ihr und sagte: 'Ich möchte ihm wirklich mein ganzes Herz geben. Ich möchte beten. Ich will keine Fragen mehr stellen.' Und das war ein ganz besonderer Moment. Ich weiss genau, dass ich ihm alles gegeben habe, und ich erinnere mich, dass ich mich so schwerelos fühlte und zum ersten Mal ein Teil von Gottes Familie war, wirklich ein Teil von ihr. Ich empfinde so viel Dankbarkeit und Liebe für alles, was Gott mir gegeben hat, ich bin einfach so dankbar.»

Als eine der höchstdekorierten paralympischen Sportlerinnen aller Zeiten ist Jessica von ihren Fähigkeiten überzeugt, aber noch sicherer, was ihre Identität anbelangt.

Identität in Jesus

«Meine Identität ist in Christus», sagt Jessica heute, «und ich hoffe wirklich, dass ich das mit meinem Charakter und der Art und Weise, wie ich auf dem Pooldeck agiere, zeigen kann. Ich weiss, dass ich es ohne Gott nicht schaffen könnte. Ich verlasse mich wirklich auf ihn. Und wenn ich schwimme, stelle ich mir Jesus neben mir vor, wie ich das Talent, das er mir gegeben hat, immer noch nutze. Und ich denke, dass ich immer noch meine Bestimmung lebe und dass er sehr stolz auf mich ist.»

Weiter hält sie fest: «Ich würde sagen, dass jeder Sportler oder jeder, der sich jemals so gefühlt hat, einfach nicht zufrieden ist. Es klappt nicht. Du bist nicht zufrieden. Es wird nie genug sein, aber Gott ist genug. Wisse einfach, dass Gott auf dich wartet, mit offenen Armen auf dich wartet und er es nicht erwarten kann, dich als Teil seiner Familie zu haben.»

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Datum: 03.11.2021
Autor: Will Dawson / Daniel Gerber
Quelle: CBN / Übersetzung: Jesus.ch

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