Stef Reid

«Kein Erfolg heisst nicht, dass Gott einen nicht liebt»

Stef Reid (35) ist fünffache Weltrekordhalterin und amtierende Weltmeisterin im Weitsprung – gegenwärtig startet sie an den Paralympics in Tokio. Nach einem Bootsunfall musste ihr rechter Fuss amputiert werden.
Stef Reid (Bild: Instagram)
Stef Reid im Sprung

Die in Neuseeland geborene Britin fällt manchmal in einen amerikanischen Akzent, da sie drei Jahre lang mit ihrem kanadischen Ehemann und Paralympics-Kollegen Brent Lakatos in Dallas gelebt hat. 

Stef Reid, die einen akademischen Abschluss in Biochemie erarbeitet, wirkt neben der Leichtathletik als Rundfunksprecherin, Schauspielerin und Model. Schon von klein auf war sie begeisterte Sportlerin. Bereits dachte sie daran, Rugby auf internationalem Niveau zu spielen.

Ein Bootsunfall während eines Urlaubs in Kanada machte ihre Pläne zunichte. Im Alter von 15 Jahren erlitt sie eine schwere Verletzung durch eine Schiffsschraube, und ihr rechter Fuss musste amputiert werden. «Wir verbrachten einen Grossteil des Wochenendes mit dieser lustigen Aktivität namens Tubing, bei der man einen Gummischlauch am Heck eines Motorboots befestigt, das einen zieht und man über das Wasser fliegt. Man fällt ab und zu runter, aber das Boot kommt zurück, und man kann wieder einsteigen.»

«… sonst wirst du sterben»

«Am Montag beschlossen wir, ein letztes Mal rauszufahren. Und wie immer bin ich auch einmal runtergefallen. Ich wartete darauf, vom Boot abgeholt zu werden, aber ich sah, dass etwas nicht stimmte. Das Boot kam viel zu schnell auf mich zu, der Fahrer hatte mich nicht gesehen.»

Sie schaltete in den Überlebensmodus. «Ich dachte nur, dass ich unbedingt den Propeller verfehlen muss, da ich sonst sterben werde. Ich war eine gute Schwimmerin, aber ich wusste, dass ich nicht genug Zeit hatte, um auf eine der beiden Seiten zu schwimmen, also dachte ich, dass meine beste Option darin bestand, zu tauchen. Ich wollte also abtauchen, hatte aber völlig vergessen, dass ich eine Schwimmweste trug, und konnte nicht untertauchen. Zu diesem Zeitpunkt war keine Zeit mehr.»

Vom Boot getroffen

Sie erinnert sich, dass die Leute im Boot in Panik gerieten und sehr besorgt wirkten. «Ich sagte: 'Leute, mir geht's gut. Wow, das war wirklich knapp. Lasst uns unseren Eltern nichts davon erzählen.' Und dann kam eine Welle der Erkenntnis, dass es mir nicht gut geht, aber ich wusste nicht, warum. Ich griff nach unten, um mich zu prüfen. Und da habe ich gemerkt, dass ich grosse Risswunden am unteren Rücken hatte. Ich dachte tatsächlich, ich wäre in zwei Hälften geschnitten worden. Das war der Moment, in dem der Schock einsetzte.»

Es war beängstigend, die Gruppe war mitten im Nirgendwo und Stef verlor viel Blut. «In diesem Moment kam mir in den Sinn, dass ich sterben könnte. Ich spürte dieses tiefe Gefühl von: 'Ich habe das Leben nicht gut gemeistert.' Ich glaube nicht, dass jemand anderes das gedacht hätte; ich war ein guter Schüler und hatte viele Freunde in der Schule. Aber ich hatte Gott nie gefragt, was er für mein Leben wollte. Ich hatte ihn nie anerkannt, ich hatte ihn nie geehrt. Ich habe nie wirklich im Licht dieser grossen Dankbarkeit für die Gnade gelebt, die er mir jeden Tag schenkte. Das traf mich hart, denn ich wusste, dass ich, wenn ich gestorben wäre, wahrscheinlich zu den Menschen gehören könnte, die sagen würden: 'Hey, Gott, ich bin's', und er würde sagen: 'Ich kenne dich nicht.' Das war erschreckend. Und in diesem Krankenwagen betete ich zum ersten Mal: 'Gott, rette mich.'»

«Es war ein Unfall»

Sie wurde operiert, an der Wirbelsäule waren keine Schäden festzustellen. «Es ging mir gut. Dann erfuhr ich, dass sie leider nicht mein ganzes rechtes Bein hatten retten können und meinen Fuss amputieren mussten. Ich war am Boden zerstört. Sport war mein Traum. Dafür hatte ich gelebt. Er war mein Leben. Warum sollte Gott mich retten und mir dann das wegnehmen, was ich am meisten geliebt habe?»

Es sei ihr leicht gefallen, dem Fahrer zu verzeihen «Es war ein Unfall. Ich vermute, dass die Leichtigkeit der Vergebung weniger mit mir als vielmehr mit Gott zu tun hatte. Für den Fahrer war es in vielerlei Hinsicht schwieriger. Er hatte auch viele schwierige Gefühle zu verarbeiten und wahrscheinlich nicht so viel Unterstützung und Fürsorge wie ich.»

«Gott ist gut»

Gott hat vieles verändert von dem, was sie über ihn zu wissen glaubte, erklärt Stef Reid. «Es ging vor allem darum, kindliche Vorstellungen von Gott loszuwerden, wie etwa dass ich bete und er genau das tut, worum ich bitte. Ich musste verstehen, dass Gott wild und ungezähmt ist, aber er ist gut. Ich habe keine Kontrolle über ihn. Ich kann mit ihm sprechen und er wird immer bei mir sein, aber er wird immer etwas geheimnisvoll sein. Und das ist auch gut so.»

Auch bedeute Christsein nicht, dass man nie mit Schwierigkeiten konfrontiert wird. In den nächsten fünf Jahren erkundete sie den christlichen Glauben. «Ich fühlte in meinem Zimmer einen spürbaren Frieden, ich lernte mehr über den Heiligen Geist und achtete auf Gott.»

Kampf mit der Selbstannahme

Das Schwierigste sei der Blick in den Spiegel gewesen. «Es hat wirklich lange gedauert, bis ich akzeptiert habe, dass ich so aussehe. Man bekommt nicht sofort ein künstliches Bein. Man muss warten, bis die Narben verheilt sind. Anfangs ging ich also auf Krücken herum.» Sie fragte den Orthopädietechniker, als sie ihn zum ersten Mal traf: «Können Sie einen Schaumstofffuss anfertigen, damit die Leute aufhören, mich anzustarren?» Das ging allerdings nicht.

Wenn sie jetzt in einer Schule spreche, habe sie oft die Diskussion mit einem Schulleiter, der möchte, dass sie die Botschaft vermittle: «Du kannst alles erreichen, was du dir vornimmst.» Dem mag Stef nicht nachkommen. «Ich kann das nicht nachvollziehen. Das klingt wirklich hart, aber es ist die Realität. Wir alle leben in einem bestimmten Umfeld, und es ist wichtig, dieses Umfeld zu respektieren und zu akzeptieren, dass Gott uns hierher gestellt hat und dass wir bestimmte Fähigkeiten haben und bestimmte Grenzen.»

Das Comeback

Früher wusste sie nicht wirklich viel über paralympischen Sport. «Als ich an die Universität ging, gab es in meinem Zimmer im Studentenwohnheim ein Mädchen, das Leichtathletik betrieb. Sie war Hürdensprinterin. Ich erfuhr von diesen fantastischen Laufschuhen, besorgte mir einen und begann, mit der Universitätsmannschaft zu trainieren.»

Ihr wurde klar, dass sie recht gut darin war. Sie trainierte weiter und machte Fortschritte. Im Jahr 2006 wussten viele Menschen noch nicht, was die Paralympics sind. «Als ich anfing, habe ich immer gebetet: 'Gott, lass mich gewinnen.' Das war mein Gebet. Aber dann denkst du, na ja, warte mal eine Sekunde. Was ist, wenn jeder an der Startlinie das betet? Was ist, wenn wir alle Christen sind?»

Grosse Fragen – tiefe Erkenntnis

Mitten in diesen reflektierenden Gedanken stellte sie weitere Fragen: «Und wenn Gott das Endergebnis bereits kennt, und wenn Gott die Kontrolle hat, wird er dann nicht sowieso denjenigen auswählen, den er gewinnen lassen will? Warum sollte ich mir also die Mühe machen, zu trainieren? Woher kommt eigentlich meine Anstrengung?»

Dies war ein wirklich komplizierter Prozess, in welchem Stef herausfand, dass, wenn sie keinen Erfolg hat, dies nicht bedeutet, dass Gott sie nicht liebt oder dass sie etwas falsch gemacht hätte. «Ich habe einfach erkannt, dass meine Aufgabe – egal, was ich tue – darin besteht, immer mein Bestes zu geben. Ich muss in der Lage sein, vor Gott zu sitzen und einfach zu sagen, dass ich alles getan habe, was ich konnte. Und darüber hinaus habe ich nicht viel in der Hand.»

Nichts ist garantiert – aber Gott ist immer da

Wir leben in einer Welt, in der ich die Ergebnisse nicht garantieren kann, hält Stef Reid fest. «Vielleicht habe ich in diesen Jahren vor Tokio unglaublich hart gearbeitet. Und dann wache ich vielleicht mit einer Magenverstimmung auf und kann an diesem Tag einfach nicht antreten. Was sagt das über Gott aus und wie werde ich mich dann verhalten? Werde ich ihm immer noch vertrauen?»

Stef Reid führt weiter aus: «Ich glaube, Gott hat mich unter anderem deshalb wieder auf den Weg des Sports gebracht, weil er wusste, dass dies der beste Weg ist, um mir einige der Lektionen beizubringen, die ich hören musste, und um mit einigen meiner Probleme umgehen zu können, die ich habe. Dinge wie Versagen – im Sport versagt man ständig! Manchmal glaube ich, dass er (Gott) eine Therapie begonnen hat: 'Ich werde sie einfach so sehr dagegen impfen, dass sie merkt, dass es mir egal ist, wenn sie nicht immer ins Ziel kommt', denn Scheitern ist ein grossartiges Mittel, um zu lernen, wie man wächst. Aber, weisst du, Sport wird nicht ewig dauern. Und manchmal denke ich: 'Gott, was hast du als Nächstes für mich?'. Dies war definitiv eine Phase der Vorbereitung ... für was, weiss ich nicht genau. Aber das ist aufregend.»

Zum Thema:
Gott persönlich kennenlernen
«Meine ersten Schritte, danke Jesus»: Star-Bodybuilder nach Bein-Amputation
Alles ist möglich: Mann mit Downsyndrom schreibt Geschichte und wird Ironman
Amputierte Air-Force-Pilotin: «Mit Gottes Hilfe ist alles möglich»

Datum: 30.08.2021
Autor: Rachel Matthews / Daniel Gerber
Quelle: Premier / gekürzte Übersetzung: Jesus.ch

Verwandte News
Werbung
Werbung
Livenet Service