Unrecht ausmerzen?

«Wir müssen neu verhandeln»

Manager leben oft in einer andern Welt.  Aber auch diese kann plötzlich empfindlich gestört werden. Eine Kurzgeschichte von Hans Esslinger.
Sportwagen

Fredi verliess bestens gelaunt die Firma. Er hatte in den letzten 20 Jahren aus dem kleinen Handwerksbetrieb seines Vaters ein Unternehmen mit weltweit über zweitausend Mitarbeitern gemacht. Es wurde hart und sehr innovativ gearbeitet in seinen Betrieben. Konkurrenz brauchten sie kaum zu fürchten. Zweifellos, auch aus finanzieller Sicht, hatte Fredi ein kerngesundes Unternehmen.

Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften, die sich über Monate hingezogen hatten, verursachten ihm nicht wirklich Kopfzerbrechen, vermochten jedoch seine an sich gute Laune schon einige Male zu strapazieren. Besonders die osteuropäische Abordnung, die sich mit der chinesischen verbündet hatte, war ziemlich hartnäckig. Sie forderte neben massiven Lohnerhöhungen auch unakzeptable Anpassungen bei den Arbeitsbedingungen.

Doch heute gelang ihm persönlich der Durchbruch. Es brauchte halt ab und zu das Machtwort des Chefs. Sein Entweder-Oder zeigte Wirkung. Wer wollte denn schon schuld sein an einem grösseren Stellenabbau?

Noch bevor Fredi seinen Sportwagen auf dem Firmenparkplatz erreicht hatte, begegnete ihm Johann. Ein alter Klassenkamerad aus der Primarschule. Ausgerechnet der! Jetzt, wo alles so gut gelaufen war.

Warum ist der überhaupt auf dem Firmengelände? Johann hatte die unangenehme Gewohnheit, jedem, von dem er glaubte er brauche dringend Belehrung von oben, Bibelsprüche um die Ohren zu hauen. «Salü Fredi» hüstelte Johann etwas verlegen hervor, «habe gehört, du hättest dich heute mit den Gewerkschaften geeinigt! Gratuliere!»

Noch während Fredi den Gruss einigermassen anständig zu erwidern versuchte, drückte ihm Johann ein Couvert in die Hand und entfernte sich ungelenk mit den Armen winkend flink aus dem umzäunten Gelände.

Das konnte nun mal nichts Gutes bedeuten. Während er den Motor startete, öffnete Fredi das Couvert. «Brings hinter dich», dachte er. Umständlich kramte er den leicht zerknitterten Zettel aus dem Umschlag und las: «Jakobus fünf, Vers eins bis sechs». «Also doch! Zumindest ist er sich treu geblieben, der Johann», sinnierte Fredi.

Dann begann er den Abschnitt zu überfliegen. Wirklich lesen wollte er ihn ja sowieso nicht. «Und nun zu euch Reichen…» Fredi rutschte ungeduldig auf dem lederbezogenen Fahrersitz umher, «den Arbeitern, die eure Felder bestellten, habt ihr den Lohn vorenthalten – ein Unrecht, das zum Himmel schreit!»

Umständlich versuchte Fredi den Zettel wieder zu glätten, den er gerade in unsäglicher Wut zu einem runden Knäuel zusammengeballt hatte, um ihn weit fortwerfen zu können «…ihr habt euch alles gegönnt, was euer Herz begehrt, und habt euch damit höchstpersönlich für den bevorstehenden Schlachttag gemästet, den Tag des Geri…»

«Eine Frechheit sondergleichen!», sagte Fredi verärgert zu sich. «Dieser unverfrorene Johann! Was nimmt der sich nur heraus? Garantiert hat er das alles selber geschrieben! Denn so etwas, konnte doch unmöglich in einer seriösen Bibel stehen. Mal schauen, ob ich noch eine zuhause habe.»

In den bequemen Ohrensessel seiner Bibliothek versunken legte er nachdenklich die Bibel seines verstorbenen Vaters wieder beiseite. Mehrmals hatte er die sechs Verse in Jakobus gelesen.

Ihm war unwohl, doch sein Entschluss stand fest. Er griff nach seinem Handy und begann zu tippen. Sichtlich erleichtert steckte er sein Handy wieder in die Tasche. Es war ihm gerade noch gelungen, die Abreise der beiden Gewerkschaftsdelegationen um einen Tag hinauszuzögern. «Neuverhandlung!» war seine Begründung.

Hans Esslinger entwickelte neu die App «Lebens-Cockpit».

Datum: 30.06.2012
Autor: Hans Esslinger
Quelle: Jesus.ch

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